Ende November 2014 präsentierte die Statistik Austria die Ergebnisse ihres Ad-Hoc Moduls 2013 „Arbeitsunfälle und arbeitsbezogene Gesundheitsprobleme“. Die teilweise alarmierenden Ergebnisse sorgten für einen entsprechenden Widerhall in den Medien. Acht von zehn Beschäftigten sind am Arbeitsplatz Gesundheitsgefährdungen ausgesetzt. Mehr als ein Drittel klagt über psychische Belastung durch Zeitdruck und Überbeanspruchung. Beunruhigend – allerdings für Experten/-innen wenig überraschend. Die Ergebnisse decken sich weitgehend mit den Erkenntnissen, welche man aus den Krankenstandszahlen, den Neuzugängen zur Invaliditätspension oder dem Arbeitsklima Index der Arbeiterkammer OÖ ableiten kann. Die Vertreter/-innen der Arbeitgeber/-innen sehen jedoch wenig Handlungsbedarf. Im Gegenteil: man treibt gezielt den Abbau von Arbeitnehmerschutzbestimmungen voran.
Verantwortung der Arbeitgeber/-innen
Die Verantwortung für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten obliegt den Arbeitgebern/-innen. Dies ist im § 3 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) und dem § 1157 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) festgelegt. Das ASchG geht von einem umfassenden Gesundheitsbegriff aus. Somit tragen Arbeitgeber/-innen nicht nur die Verantwortung für die Vermeidung von Arbeitsunfällen, sondern auch für den präventiven Schutz vor sämtlichen physischen und psychischen Gesundheitsbelastungen am Arbeitsplatz.
Die Rolle der Arbeitsinspektion
Die Arbeitsinspektion hat die Aufgabe, die Arbeitgeber/-innen bei der Einhaltung der Arbeitnehmerschutzbestimmungen zu kontrollieren und zu beraten. Im Falle grober oder wiederholter Übertretungen kann von der Behörde ein Strafantrag gestellt werden. Die Arbeitsinspektion geht dabei in der Regel durchaus behutsam gegenüber den Unternehmen vor. Im Jahr 2013 wurden laut dem Jahresbericht „Die Tätigkeit der Arbeitsinspektion“ (Seite 32) Strafanträge in der Höhe von 3.780.336 € gestellt. Über die tatsächliche Strafhöhe wird in einem Verwaltungsstrafverfahren befunden, wobei die Strafhöhe im Zuge dessen meist reduziert wird. Tatsächlich bemaß sich das gesamte verhängte Strafausmaß im Jahr 2013 auf 2.519.239 €. In Anbetracht der Wirtschaftsleistung österreichischer Unternehmen ist ein solcher Betrag wohl verkraftbar. Bedenkt man die oben erwähnten Ergebnisse der Statistik Austria bezüglich der Belastungen am Arbeitsplatz, scheint die Zeit reif für ein restriktiveres Vorgehen der Behörde. Die Vertreter/-innen der Wirtschaft hingegen fordern noch mehr Milde. Man spricht von Unverhältnismäßigkeit und fordert „Beraten statt Bestrafen“.
„Beraten statt Bestrafen“ – Die Aushöhlung des Arbeitnehmerschutzes hat System
Die Wirtschaftskammerwahlen stehen vor der Türe. Dass Funktionäre/-innen sich aktuell gegen Belastungen für Unternehmen positionieren ist nicht überraschend. Die Botschaft „Beraten statt Strafen“ (z.B. Pressemeldung des Wirtschaftsbundes vom 28.10.2014) ist jedoch in einem Gesamtbild zu betrachten, bei dem Arbeitnehmerschutzbestimmungen systematisch ausgehöhlt werden sollen. So wurden unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus im Jahr 2014 bereits einige Gesetzesänderungen durchgesetzt, welche das Niveau der Arbeitsbedingungen negativ beeinflussen werden. Beispielhaft sei die Änderung bezüglich des Arbeitsschutzausschusses herausgegriffen. Die gesetzlich vorgeschriebene Zusammenkunft der innerbetrieblichen Arbeitsschutzakteure/-innen muss nun, anstatt bisher zweimal, nur mehr einmal im Jahr stattfinden. Da in diesem Ausschuss auch die Vertreter/-innen der Arbeitnehmer/-innen (Betriebsräte/-innen und Sicherheitsvertrauenspersonen) einzubeziehen sind, werden die Möglichkeiten der Mitbestimmung deutlich reduziert. Sich halbjährlich in einer Sitzung mit dem Thema Sicherheit und Gesundheit auseinanderzusetzen, ist für die Arbeitgebervertretung offensichtlich schon zu viel verlangt. Auch sonst scheint man die gesetzlichen Vorschriften als beliebig auslegbare Empfehlungen zu interpretieren. Im Bereich der Evaluierung psychischer Belastungen widmen sich die Wirtschaftsvertreter/-innen mehr der Ausverhandlung von Übergangsfristen, anstatt deren Mitglieder von der Sinnhaftigkeit zu überzeugen. Schutzvorschriften bezüglich der Arbeitszeitgrenzen sollen fallen. Die Arbeitsinspektoren/-innen werden als lästige Bürokraten/-innen diskreditiert.
Es braucht mehr Schutz der Beschäftigten – nicht weniger!
Die europaweite Unternehmerbefragung ESENER (European Survey of Enterprises on New and Emerging Risks) hat gezeigt, dass Arbeitgeber/-innen gesetzliche Verpflichtungen als den wichtigsten Grund für die Auseinandersetzung mit Sicherheit und Gesundheit im Betrieb ansehen. Der Ruf nach weniger Strafen hält einem Reality-Check also nicht stand. Vielmehr muss der Schutz der Arbeitnehmer/-innen weiterentwickelt werden. Dazu sind nicht zwangsweise neue Gesetze nötig. Die bestehenden Regelungen konsequent umzusetzen, streng zu kontrollieren und ein zielführendes Strafmaß festzulegen würde bereits viel bewirken.
Mehr Kompetenzen und Ressourcen für die Arbeitsinspektion
Derzeit versehen zirka 300 Arbeitsinspektoren/-innen Kontroll- und Beratungstätigkeiten in den österreichischen Betrieben. Um zumindest einen Besuch jährlich in allen Betrieben zu gewährleisten, wären laut einem Bericht des Rechnungshofes (S. 19) 2.020 Mitarbeiter/-innen nötig. Neben mehr Personalressourcen müssen die Sanktionen auch geeignet sein, die Arbeitsschutzvorschriften tatsächlich durchzusetzen. Die derzeitigen Strafrahmen sind hierzu ungeeignet und müssen deutlich erhöht werden. Die ehemalige Leiterin des Zentral-Arbeitsinspektorates, Sektionschefin Mag.a Dr.in Szymanski, forderte, aufgrund ihrer Erfahrungen, sogar deutlich schärfere Sanktionen, bis hin zu Arreststrafen (siehe: Das Recht der Arbeit. Sonderheft 1a/2012. S. 167 u. 168).
Ein gänzlicher Abbau würde außerdem gegen internationale Konventionen verstoßen. Das Übereinkommen Nummer 81 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO legt u.a. fest, dass „sofortige gesetzliche Verfolgung“ durch die Aufsichtsbeamten/-innen zu erfolgen hat, wenn Vorschriften des Arbeitnehmerschutzes nicht eingehalten werden (Artikel 17). Das Konzept „Beratung statt Bestrafung“ ist also nicht nur menschlich und gesellschaftspolitisch bedenklich, es setzt sich auch über internationale Mindeststandards hinweg, welchen sich Österreich unterworfen hat.
Fazit
In Wahrheit ist durch die Aushöhlung von Arbeitnehmerschutzbestimmungen nichts zu gewinnen – auch nicht für Unternehmen. Vor dem Hintergrund einer alternden Erwerbsbevölkerung, der Anhebung des tatsächlichen Pensionsalters und dem vielfach beklagten Mangel an Fachkräften ist es widersinnig, sich gegen Gesetze für gesunde Arbeitsbedingungen zu wehren. Die Vertretung der Arbeitgeber/-innen täte gut daran, Sicherheit und Gesundheit endlich als dauerhafte Managementaufgabe zu erkennen und ihrem Klientel auch so zu vermitteln. Der Schutz der Beschäftigten ist keine kurzfristige Projektarbeit, keine an die Arbeitsmediziner/-innen auszulagernde Nebentätigkeit und keine lästige Pflichtübung zur Befriedigung von Arbeitsinspektoren/-innen. Es ist, im Sinne des Gesetzes, eine zentrale Führungsaufgabe, der sich Arbeitgeber/-innen genauso professionell zu stellen haben, wie sie auch die sonstigen unternehmerischen Tätigkeiten angehen. In vielen Betrieben wurde das schon erkannt. Man betreibt Arbeitnehmerschutz in vorbildlicher Weise und trägt selbstredend auch die Kosten dafür. Wie es sich mit dem Gedanken des fairen Wettbewerbs vereinbaren lässt, dass sich Wirtschaftsvertreter/-innen schützend vor jene stellen, welche die Gesetze nicht einhalten, werden sie den vorbildlichen Unternehmern/-innen erklären müssen.