Nach den Volksentscheiden Brexit, österreichische Bundespräsidentenwahl und amerikanische Präsidentenwahl lohnt sich ein Blick auf die Sozialfeldtheorie nach Pierre Bourdieu: Wie erklärt der Bildungsstand Bruchlinien in der Gesellschaft und was kann Bildungspolitik beitragen, um diese Spaltung zu überwinden?
Volksentscheide zeigen neue gesellschaftliche Bruchlinien auf
Der Brexit war im Jahr 2016 der erste Volksentscheid, der eine neue Bruchlinie in der Gesellschaft offenlegte: jene zwischen Menschen in urbanem Umfeld, mit höherer formaler Bildung und mit positiven Zukunftsperspektiven und Menschen in eher ländlichen Regionen, mit eher niedriger formaler Bildung und eher pessimistischen Zukunftsaussichten. Dieses Muster wiederholte sich dann bei der österreichischen Bundespräsidentenwahl und bei der amerikanischen Präsidentenwahl. Dazu kam noch ein unterschiedliches Wahlverhalten von Frauen und Männern sowie jungen und älteren Menschen.
Die Bildungsexpansion hat dazu geführt, dass vor allem jüngere Menschen heutzutage über höhere formale Bildungsabschlüsse verfügen als früher. Die Statistik Austria belegt dies jährlich mit entsprechenden Zahlen: Am Beispiel von Wien sieht man, dass vor allem Städte diese Menschen anziehen. Weiters können wir in der Statistik feststellen, dass ein höherer Bildungsabschluss vor Arbeitslosigkeit schützt, die Wahrscheinlichkeit eines höheren Haushaltseinkommens befördert und auch vor Armut schützt. Darüber hinaus absolvieren Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen auch mehr Fort- und Weiterbildung.
Bildung als Sozialkapital im Sozialfeld nach Bourdieu
Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat einen Ansatz vorgeschlagen, in dem die Gesellschaft als sozialer Raum oder soziales Feld gesehen wird. Damit wird es möglich, nicht nur die Standorte der einzelnen Gruppen (Milieus), sondern auch deren Beziehungen untereinander zu analysieren. Dabei gibt es die Tendenz, dass sich die soziale Ordnung reproduziert.
Anhand verschiedener Kapitalformen kann dieser soziale Raum nun strukturiert werden. Die verschiedenen Akteure investieren nach Rentabilitätsüberlegungen in die jeweiligen Kapitalformen. Bourdieu unterscheidet vier Typen von Kapital: ökonomisches, kulturelles, soziales und symbolisches Kapital.
Die Position der Akteure im Sozialraum hängt vom Volumen und der Struktur ihres Kapitals ab. In der Darstellung des Sozialraums befinden sich unten die Akteure bzw. gesellschaftlichen Gruppen, die über wenig, und oben jene, die über viel Kapital verfügen. Auf der linken Seite dominiert das kulturelle (insbesondere in Form von Bildungsabschlüssen) und auf der rechten Seite das ökonomische Kapital. So verfügen beispielsweise in der Übersicht links unten Facharbeiter insgesamt – abgesehen von ihrer besonderen Qualifikation – über wenig Kapital. Rechts oben sind dagegen die Eigentümer von Industrie- und Handelsbetrieben zu finden. Links oben dominieren Gruppen, die über viel kulturelles Kapital in Form von Titeln und Wissen, aber über relativ wenig ökonomisches Kapital verfügen (z. B. Führungskräfte, freie Berufe …).
Alte und neue Trennlinien entlang der Kapitalausstattung
Bisher funktionierte der soziale Aufstieg auf der linken Seite im sozialen Feld vor allem über Bildung, indem sozusagen in kulturelles Kapital investiert wurde. Bourdieu hat in seiner Darstellung auch die Trennlinie zwischen der traditionellen politischen Linken und Rechten im Wesentlichen zwischen den Feldhälften gezogen, in denen das kulturelle und das ökonomische Kapital dominieren (schwarze Linie in der Darstellung).