Die sechsjährige Tochter von Frau Sagmeister (Name von der Autorin geändert) ist schwer behindert. Ihr Pflegebedarf wurde mit der Stufe 7 festgesetzt. Frau Sagmeister ist Alleinerzieherin. Um die Tochter mit dem Auto transportieren zu können, benötigt die Mutter einen besonderen behindertengerechten Autositz, den sie sich aber nicht leisten kann. Den Antrag auf Kostenzuschuss muss sie an drei verschiedene Stellen übermitteln, nämlich an die Bezirkshauptmannschaft, weiters an das Sozialministeriumservice und an die PVA. Es dauert Monate bis das Geld tatsächlich auf dem Konto einlangt, je ein Teil von jeder der drei Stellen. Tatsächlich hat sie in diesem Fall besonderes Glück gehabt: Ihr wird der gesamte Betrag zugeschossen.
System der Zuschüsse und Förderungen durch die öffentliche Hand Die Behauptung, die öffentliche Hand lasse die Eltern von behinderten Kindern im Stich, wäre falsch. Aber die Grenzen des momentan herrschenden Systems sind bald durchschaut:
Unübersichtlich gefächerte Zuständigkeiten; Mehrfachzuständigkeiten; Einmalzahlungen; I.d.R. bloßer Beitrag und nicht vollständiger Kostenersatz; Bindung der Unterstützungsleistungen an sehr geringes Einkommen; Unterschiedliche gesetzliche Grundlagen für die Einstufung des Behinderungsgrades. Wer ist für welche Leistung zuständig? Die behinderungsbedingten Kosten sind nicht zu unterschätzen: durch den notwendigen Umbau des Eigenheims und des Fahrzeuges, durch regelmäßig notwendige Therapien, durch erhöhte Fahrtkosten, durch medizinische Hilfsmittel etc. Oftmals werden finanzielle Zuschüsse gewährt. Die Zuständigkeiten für finanzielle Unterstützungen reichen von den Sozialversicherungsträgern zu den Gebietskörperschaften und vom Sozialministeriumservice zum Finanzamt und sind strikt aufgeteilt.
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(PVA=Pensionsversicherungsanstalt; GKK=Gebietskrankenkasse; FA=Finanzamt; SMS=Sozialministeriumservice; keine abschließende Aufzählung)
Für persönliche Assistenz am Arbeitsplatz ist z.B. der Bund, für persönliche Assistenz im Privatbereich sind die Länder zuständig. Ein Mobilitätszuschuss im Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit wird vom Sozialministeriumservice gezahlt. Der vom Land Niederösterreich gewährte Mobilitätszuschuss für Menschen mit Behinderung setzt gerade keine Erwerbstätigkeit und auch keinen Bezug aus einer Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension voraus. Noch mühsamer stellt sich die Situation z.B. bei einem Zuschuss für den Umbau eines Kraftfahrzeugs dar: In diesem Fall ist der Antrag bei drei verschiedenen Stellen einzubringen. Die Bearbeitungsdauer gestaltet sich für die Betroffenen oft unzumutbar lange, da diese auf das Geld und die sofortige Besorgung des Hilfsmittels angewiesen sind.
Es stellt sich in diesem Zusammenhang die dringende Frage, ob nicht ein eigener Bundes-Kompetenztatbestand „Behindertenwesen“ in die österreichische Bundesverfassung eingeführt werden soll. Durch diesen Weg könnte eine einheitlichere Praxis im Zusammenhang mit Zuschüssen und Förderungen in ganz Österreich gewährleistet werden. Die Einführung eines sogenannten one-stop-shops wäre ebenfalls dringend zu empfehlen. Man sollte Eltern von behinderten Kindern nicht etwas stehlen, von dem sie ohnehin wenig besitzen – nämlich Zeit. Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre aber immerhin schon die Errichtung von Beratungsstellen, die eine einheitliche, allumfassende Beratung zum Thema Zuschüsse und Förderungen gewährleisten können.
Auf welche Leistung besteht ein Rechtsanspruch? Viele Leistungen werden nur im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gewährt, d.h., darauf besteht kein einklagbarer Rechtsanspruch. Für die Betroffenen ist die Entscheidung damit oft nicht nachvollziehbar, da die Entscheidungsgrundlagen nicht transparent und vor allem nicht bekämpfbar sind – aus rechtsstaatlicher Sicht nicht ganz unbedenklich. Das Land Niederösterreich z.B. gewährt Zuschüsse zu Hilfsmittel, Hilfe durch geschützte Arbeit und persönliche Assistenz nur als Träger von Privatrechten. Der Familienhärteausgleich ist eine einmalige finanzielle Überbrückungshilfe, für den das Bundesministerium für Familien und Jugend zuständig ist. Er setzt eine soziale Notlage voraus, d.h., ist an ein besonders niedriges Einkommen gebunden. Ein Rechtsanspruch besteht nicht. Selbst wenn sich eine Person ungerecht oder falsch behandelt fühlt, kann sie die negative Entscheidung nicht bekämpfen.
Bindung an einen bestimmten Grad der Behinderung Regelmäßig werden Förderungen an einen bestimmten Grad, i.d.R. 50%, der Behinderung gebunden. Der Zuschuss zur Erlangung einer Lenkerberechtigung setzt eine Behinderung von 50% voraus. Der bereits erwähnte Mobilitätszuschuss des Landes wird nur begünstigt behinderten Menschen (ebenfalls erst ab 50% möglich) gewährt. Menschen mit Lernschwierigkeiten erreichen aber oft die 50% der Behinderung nicht, sie fallen damit aus diversen Förderprogrammen heraus, obwohl auch sie einen erhöhten Förderbedarf haben.
Unterschiedliche Zuständigkeiten und Grad der Behinderung Die unterschiedlichen Zuständigkeiten können auch zu unterschiedlichen Beurteilungsergebnissen den Grad der Behinderung betreffend führen. Besonders deutlich wird dies bei der Prüfung der Erwerbsunfähigkeit. Von diesem Stempel hängen viele Sozialleistungen ab: Die altersmäßig unbegrenzte Mitversicherung in der Krankenversicherung, der unbegrenzte Bezug der (erhöhten) Familienbeihilfe, der Anspruch auf eine Waisenpension über das Alter von 18 hinaus. Umgekehrt ist das Arbeitsmarktservice für arbeitssuchende Personen nicht zuständig, die von der Pensionsversicherungsanstalt für erwerbsunfähig eingestuft wurden. Damit ist ihnen in der Regel jede Unterstützungsleistung (Beratungen, Schulungen etc.) des Arbeitsmarktservice oder Sozialministeriumservice verwehrt und so jede Chance genommen, je am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Geprüft wird die Frage der Erwerbsunfähigkeit vom jeweilig zuständigen Sozialversicherungsträger: Im Fall der Krankenversicherung vom dortigen Chefarzt, im Zusammenhang mit der erhöhten Familienbeihilfe vom Sozialministeriumservice anhand der Einschätzungsverordnung, bei der Waisenpension von der PVA. Kurios erscheint z.B. der Fall vor dem unabhängigen Finanzsenat aus dem Jahr 2005 (GZ. RV/0584-G/05). Während das Land Steiermark (genauer der ärztliche Dienst beim Gesundheitsamt der Stadt Graz) dem Kind eine 80%ige Erwerbsminderung bescheinigte, wurde der Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe vom Finanzamt mit Hinweis auf lediglich einer 40% Erwerbsminderung abgelehnt – es handelt sich hierbei um keinen Einzelfall.
Was übrig bleibt Was übrig bleibt, sind Verwirrung, Frust und Überforderung, ganz abgesehen von verlorener Zeit. Damit verfehlen die Fördermittel der öffentlichen Hand aber ihren Zweck, eine notwendige und effektive Unterstützung von Angehörigen eines behinderten Menschen zu sein. Tatsächlich werden aus Unkenntnis über deren Bestehen oder die Zuständigkeit viele Förderungen nicht beantragt. Die Einführung eines one-stop-shops könnte dieses Problem einfach aus der Welt schaffen. Aber auch einheitliche Beratungsstellen könnten ihren Beitrag zur Vereinfachung und zu mehr Klarheit leisten. Die Geburt eines behinderten Kindes soll deren Eltern nicht in finanzielle Krisen stürzen. Dafür sollte ein SOZIALstaat Österreich sorgen. Die Schaffung von mehr Transparenz, die Erweiterung des Rechtsanspruchs auf Leistungen und die Erhöhung von Kostenübernahmen von Therapien wären ein Anfang in die richtige Richtung.
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