15 Milliarden Steuerlücke: Tricks und Hinterziehung von Unternehmen zulasten des Sozialstaats

13. Oktober 2022

Die Steuerlücke misst die Differenz zwischen den auf Basis der geltenden Gesetze und Verwaltungsstandards zu zahlenden Steuern und jenen, die tatsächlich geleistet werden. Damit misst sie insbesondere die Steuer- und Abgabenausfälle durch Steuerhinterziehung zB durch hinterzogene Umsätze, Schwarzarbeit oder Schwarzkonten im Ausland sowie unerwünschte Steuergestaltungen wie Konzernsteuertricks und ist damit auch ein Effizienzindikator für die Abgabenerhebung. Für Österreich lässt sich je nach Schätzmethode eine „aggregierte Steuerlücke“ zwischen 12 und knapp 15 Milliarden Euro ableiten. Die Zahlen umfassen jedoch nur Steuerausfälle durch Betrug, jene durch unerwünschte Gestaltungen sind dabei noch nicht erfasst.

Erhebung als Aufgabe der Finanzverwaltung

In einigen Ländern gibt es offizielle Schätzungen zur Steuerlücke durch die Finanzverwaltungen selbst, z.B. in Großbritannien oder den USA. Für Österreich gibt es keine amtlichen Statistiken, aber wissenschaftliche Studien, die eine Annäherung erlauben. Je nach verwendeter Datengrundlage unterscheidet man grob Mikro- und Makromethoden. Üblicherweise wird die Steuerlücke für die einzelnen Steuerarten getrennt berechnet, es gibt aber auch Ansätze zur Ermittlung einer „aggregierten Steuerlücke“ für alle Steuern und Abgaben, die allerdings nur Steuerausfälle durch Betrug erfasst, keine unerwünschten Gestaltungen.

Detaillierte Schätzungen gibt es zur Umsatzsteuer, zur Kapitalertragsteuer und den Unternehmenssteuern (veranlagte Einkommensteuer, Körperschaftsteuer). In diesen Bereichen dürfte die Steuerlücke in Summe bei knapp 6 Milliarden Euro liegen. Die erwähnten Steuern machten 2021 knapp 30 % des gesamten Steuer- und Abgabenaufkommens aus.

Diese groben Schätzungen zur Steuerlücke sind natürlich mit einer gewissen Unsicherheit behaftet. Das gilt insbesondere für die aggregierte Steuerlücke, die stark von der Plausibilität der Schätzungen zur Schattenwirtschaft abhängt. Aber auch bei den Einzelsteuer-Schätzungen ist eine differenzierte Interpretation wichtig. Selbst bei lückenlosem Steuervollzug sind die geschätzten Beträge nicht zu 100 % einbringlich, weil sie teilweise Insolvenzen oder (leicht fahrlässige) Erklärungsfehler erfassen, die sich schwerlich abstellen lassen.

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Maßnahmen für mehr Fairness

Das Schließen der Steuerlücke ist eine Frage der Fairness gegenüber der großen Mehrheit der steuerehrlichen Bürger:innen und Unternehmen. Verstärkt wird die Notwendigkeit durch die multiplen Herausforderungen, denen der Sozialstaat gegenübersteht (Covid, Teuerungskrise, Demographie, Klimakrise, usw.), welche zusätzliche finanzielle Ressourcen erfordern.

In der Bekämpfung von Steuerbetrug und aggressiven Steuertricks ist in den letzten Jahren bereits einiges erreicht worden. Die engagierten Finanzbeamt:innen haben diverse zusätzliche Instrumente zur Durchsetzung der Steueransprüche in die Hand bekommen, z.B. den internationalen Informationsaustausch über Finanzkonten und Depots, die Registrierkassenpflicht, das Kontenregister und die Durchbrechung des Bankgeheimnisses im Abgabenverfahren. Auch in der Konzernbesteuerung gab es Verbesserungen, z.B. durch das sogenannte BEPS-Paket der OECD, in der EU umgesetzt durch die Anti Tax Avoidance Directive. Dazu kommt die insgesamt erfolgreiche organisatorische Neuaufstellung der zuständigen Verwaltungseinheiten (Amt für Betrugsbekämpfung, Amt für Großbetriebsprüfung).

Trotz dieser wichtigen Verbesserungen gibt es weiterhin großen Handlungsbedarf. Kurzfristig braucht es vor allem drei Punkte:

  • Amtliche Feststellung der Steuerlücke: Ausgangspunkt für ein Schließen der Steuerlücke ist ein umfassendes Problemverständnis der politischen Öffentlichkeit. Dazu braucht es mehr Transparenz, insbesondere durch eine laufende amtliche Erhebung der Steuerlücke in den einzelnen Steuerarten, gegebenenfalls durch Unterstützung der Wirtschaftsforschungsinstitute.
  • Mehr Personal für die Finanzverwaltung: Trotz einer stetig wachsenden Wirtschaftsleistung, einer wachsenden Anzahl an Betrieben und diverser zusätzlicher Aufgaben (zB im internationalen Informationsaustausch) stagniert die Personalausstattung der Finanzverwaltung seit Jahren. Die Steuerfahndung in München bspw. ist doppelt so groß wie jene in Österreich, wobei Bayern noch eine zweite Steuerfahndung in Nürnberg hat. Hier braucht es einen Turnaround. Mehr Personal für die Finanzverwaltung, insbesondere in den Bereichen Betriebsprüfung, Finanzstrafrecht und Steuerfahndung sind ein wichtiger Faktor beim Schließen der Steuerlücke. Das zeigen auch die Auswertungen des Finanzministeriums zum Mehrergebnis der Prüfer:innen.
  • Maßnahmenpaket gegen Steuertricks und -betrug: Die Finanzverwaltung braucht nicht nur zusätzliches Personal, sondern auch bessere Instrumente, um noch erfolgreicher gegen Steuerbetrug und Steuertricks vorgehen zu können. Dazu soll eine Expert:innenkommission eingerichtet werden, die verschiedene Handlungsmöglichkeiten auslotet und dazu ein Maßnahmenpaket erarbeitet.

Auch wenn sich in den letzten Jahren vieles verbessert hat (Stichwort Registrierkasse und Bankgeheimnis), so bleiben dennoch diverse Handlungsmöglichkeiten. Ein Problem sind bspw. die besonders langen Verfahrensdauern im Finanzstrafrecht. Es gibt CumEx-Fälle, die inzwischen bereits seit fast 10 Jahren beim Bundesfinanzgericht liegen. Eine weitere Baustelle stellt die IT-unterstützte Auswertung der DAC2-Meldungen im Rahmen des automatischen Informationsaustauschs dar. Hier werden im Rahmen der Risikoauswahl vielleicht 2-3 % der Meldungen genauer untersucht. Auch über eine Stärkung der Registrierkassenpflicht durch eine Beleglotterie oder eine bessere Priorisierung der Ressourcen im IT-Investitionsplan wäre zu reden.

Ein Maßnahmenplan zur Stärkung der Compliance sollte auch Vorschläge enthalten, die es den Steuerpflichtigen erleichtern, ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen (z.B. einfacheres Steuerrecht, besseres Service der Ämter). Dazu gibt es Modelle, wie etwa die Compliance-Pyramide der australischen Finanzverwaltung.

Details zu den verwendeten Studien, Methoden und Daten: Factsheet „Steuerlücke in Österreich“