Verhaltens- und Verhältnisprävention – Die ideologische Dimension betrieblichen Gesundheitsmanagements

08. April 2015

Eine steigende Anzahl psychischer Erkrankungen, eine alternde Erwerbsbevölkerung, Fachkräftemangel und das politische Ziel, das tatsächliche Pensionsalter zu erhöhen. All dies sind Gründe, weshalb die Gesundheit der Mitarbeiter/-innen zunehmend in den Fokus betrieblichen Handelns rückt. So verbreitet das Problembewusstsein mittlerweile ist, so unterschiedlich sind die Handlungsansätze die verfolgt werden. Auf betrieblicher Ebene werden unterschiedlichste Maßnahmen gesetzt um die Gesundheit der Beschäftigten zu erhalten und zu fördern. Die Ausgestaltung der jeweiligen Maßnahmen verrät viel darüber, wo Unternehmen die Verantwortung für die Gesundheit des Einzelnen sehen.

 

Verhalten und Verhältnisse

Zunächst sei vorausgeschickt, dass natürlich jede einzelne Person einen wichtigen Beitrag dazu leisten kann, die eigene Gesundheit zu erhalten und zu fördern. Dieser Gedanke soll jedoch nicht zum Irrglauben führen, dass ausschließlich das eigene Verhalten den Gesundheitszustand bestimmt. Zahlreiche andere Faktoren wie Umwelt, Lebensstandard, erbliche Veranlagung usw. sind hier ebenso ausschlaggebend. Dies gilt natürlich auch für die Arbeitswelt. In der Prävention spricht man von Verhalten und Verhältnissen. Das eigene Verhalten am Arbeitsplatz ist natürlich wesentlich für die Gesunderhaltung: Halte ich mich an die Sicherheitsunterweisung? Trage ich die vorgesehene Schutzausrüstung? Wie gestalte und nutze ich die Pausen? usw. Mindestens genauso wichtig sind jedoch die Verhältnisse am Arbeitsplatz: Habe ich die richtigen Arbeitsmittel zur Verfügung? Ist mein Arbeitsplatz ergonomisch eingerichtet? Passen Führungsverhalten und Arbeitsorganisation? Nur wenn Verhalten und Verhältnisse in der Prävention berücksichtigt werden, können betriebliche Bemühungen erfolgreich sein.

Die Erfahrungen aus Beratungen und Gesprächen mit Betriebsräten/-innen, Sicherheitsvertrauenspersonen, Arbeitnehmer/-innen und Führungskräften zeigen jedoch, dass die Idee von umfassender Prävention in vielen Betrieben noch nicht angekommen ist. Weit verbreitet sind verhaltensorientierte Maßnahmen wie Fitnesskurse, Nichtraucherseminare, Ernährungsangebote, Resilienztrainings usw. Diese Angebote sind grundsätzlich positiv, jedoch ohne entsprechende Maßnahmen im Bereich der Verhältnisse wenig erfolgsversprechend. Konzentriert ein Betrieb seine Bemühungen ausschließlich auf die Verhaltensprävention, lässt sich dahinter ein bestimmtes Weltbild vermuten.

„Tu du es selbst!“

Allen diesen verhaltensorientierten Angeboten ist gemein, dass sie als zentrale Botschaft vermitteln: „Tu du es selbst!“, „Hör auf zu rauchen!“, „Hör auf zu trinken!“, „Treibe mehr Sport!“, „Ernähre dich gesünder!“, „Verbessere dein Selbstmanagement!“ und ähnliches. Es wird suggeriert, dass die Gesundheit ausschließlich in der Eigenverantwortung jedes Einzelnen liegt und keinesfalls in der Verantwortung des Betriebes. Fürsorgepflicht und Arbeitgeberverantwortung werden ignoriert und dem Individuum untergeschoben. Als Unternehmer/-in lässt es sich mit so einem Weltbild gut leben. Wer krank wird, ist dieser Logik folgend ausschließlich selbst schuld. Personalmangel, schlechte Arbeitszeitgestaltung, Führungsverhalten, überbordende Arbeitsmengen – all diese Dinge lassen sich vortrefflich ignorieren, wenn man Gesundheitsprobleme individualisiert. Oder vereinfacht: Wenn der Beschäftigte sich selbst um seine Gesundheit kümmern muss, muss das Unternehmen es nicht tun.

Was sagt das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz?

Laut dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (AschG) ist eine rein verhaltensorientierte Vorgehensweise in der Prävention jedoch nicht vorgesehen. So ist beispielsweise gemäß § 7 Z 3 eine „Gefahrenbekämpfung an der Quelle“ durchzuführen. Bei der Handhabung schwerer Lasten müssen z.B. deshalb zunächst Lastenreduktionen oder Hebehilfen in Betracht gezogen werden. Ein Gutschein für das Fitnesscenter zur Stärkung der Rückenmuskulatur ist zwar eine sinnvolle Ergänzung, jedoch keinesfalls eine „Gefahrenbekämpfung an der Quelle“ im Sinne des Gesetzes.

Das Gesetz sieht auch vor, dass kollektiver Gefahrenschutz Vorrang vor personenbezogenen Maßnahmen haben muss (§ 7 Z 8). Somit sind bei Anzeichen für psychische Überlastungen in der Belegschaft die Arbeitsmengen, Personalbemessung oder Arbeitsorganisation zu betrachten, da Maßnahmen hier kollektiv wirksam werden können. Selbstmanagement Trainings oder Seminare zur Burnout-Prophylaxe setzen rein am Individuum an und können deshalb lediglich als Ergänzung gesehen werden.

Die Rolle der Arbeitgebervertretung

Vertreter/-innen der Arbeitgeberseite werden nicht müde die Eigenverantwortung des Einzelnen zu betonen. Gleichzeitig fordert man Bürokratieabbau und Deregulierung im Arbeitnehmerschutz und „Beraten statt bestrafen“ (siehe bspw. Presseaussendung der WKO vom 28.10.2014). Dabei ist auch bei der Forderung nach der individuellen Gesundheitsverantwortung eine gewisse Beliebigkeit zu erkennen. So sind Nichtraucherseminare sehr verbreitete Angebote in Rahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung. Schließlich ist das Thema Rauchpausen oftmals ein Problem in den Unternehmen und wird im Nikotinkonsum, zurecht, ein gesundheitsschädigendes Verhalten erkannt. Geht es hingegen um das Rauchen in Gastronomiebetrieben, dann erscheint eine Gesundheitsgefährdung durch Rauchen für die Wirtschaftsvertreter/-innen plötzlich nicht mehr relevant zu sein. Ähnlich verhält es sich mit dem Thema Alkohol. Während hier einerseits Suchtprävention beschworen wird (siehe bspw. Presseaussendung der WKO vom 21.12.2013), sieht WKO Präsident Dr. Christoph Leitl, in einem beinahe schon legendären Sager, den Wirt als sinnvollen Ersatz für den Psychiater (siehe bspw. Artikel im Standard vom 25.2.2015). Wenn gesundheitsschädliches Verhalten Umsatz für die Unternehmen verspricht, ist Verhaltensprävention plötzlich zweitrangig?

Es wäre naheliegend der Arbeitgebervertretung in dieser Frage eine gewisse Schizophrenie zu attestieren. Vielmehr handelt es sich jedoch um puren Opportunismus. Die Gesundheit der Beschäftigten verkommt im beschriebenen ideologischen Weltbild zu einer reinen Kosten-Nutzen Frage. Die gute Nachricht ist, dass viele Unternehmen bereits deutlich weiter denken als ihre Interessenvertretung. In Betrieben, wo Verhalten und Verhältnisse in der Prävention berücksichtigt werden, wo auf körperliche und psychische Gesundheit umfassend geachtet wird, und Gesundheitsmanagement eine permanente Führungsaufgabe ist, werden große Erfolge erzielt. Am Ende stehen gesunde Unternehmen mit gesunden Mitarbeitern/-innen und somit ein Win-Win Ergebnis.