Soziale Folgen der Corona-Krise: Erhebung zeigt zunehmend besorgniserregende Lage

11. April 2022

Die neue Erhebung „So geht’s uns heute“ von Statistik Austria analysiert die sozialen Krisenfolgen rund zwei Jahre nach Beginn der Pandemie. Diese sind gravierend, ungleich verteilt und treffen benachteiligte Personengruppen besonders stark. Über 2 Mio. Menschen sind von Einkommensverlusten betroffen. Viele können sich die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens nicht leisten. Dieses Problem hat sich seit dem Frühjahr 2021 deutlich verschärft.

Befragung „So geht’s uns heute“ als soziales Krisenmonitoring

Die Statistik Austria hat, erstmals die Befragung „So geht’s uns heute“ durchgeführt, finanziert durch das Sozialministerium und Eurostat. Ziel der Befragung ist es, soziale Auswirkungen der momentanen Krisen frühzeitig zu erkennen und laufend zu beobachten. Dafür wird die Befragung alle drei Monate durchgeführt, in der Panelbefragung dieselben Personen wiederholt befragt, um Veränderungen gezielt zu messen. Im Mittelpunkt stehen die Einkommensentwicklung, finanzielle Schwierigkeiten sowie das Wohlbefinden der Menschen in Österreich. Es haben über 3.500 Personen zwischen 16 und 69 Jahren an der ersten Welle der Befragung im November und Dezember 2021 teilgenommen. Die Ergebnisse sind repräsentativ für die gesamte Bevölkerung und erlauben es, die sozialen Gefährdungslagen zu analysieren.

Über 2 Mio. Menschen mit Einkommensverlusten

Im Mittelpunkt der Befragung steht die Entwicklung der Einkommen in Folge der Corona-Krise. Zwei Millionen Menschen in Österreich ­– ein Drittel der Befragten ­­–  geben an, im letzten Jahr von Einkommensverlusten betroffen gewesen zu sein. Vulnerable Personengruppen wie Arbeitslose, Hilfsarbeiter:innen oder Alleinerziehende trifft der Einkommensrückgang besonders stark.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Die Hauptgründe für den Einkommensverlust sind reduzierte Arbeitszeit bzw. verringerter Lohn bedingt durch Kurzarbeit – und der Verlust des Arbeitsplatzes. Ein Grund für den Verlust des real verfügbaren Einkommens ist auch die stark gestiegene Inflation. Diese Entwicklung dürfte sich aufgrund der seit der Befragung weiter gestiegenen Inflation verschärfen.

Die österreichische Bundesregierung hat daher ein 1,7 Milliarden Euro schweres Paket geschnürt um damit die steigenden Preise abzufedern. Unter anderem wird der Teuerungsausgleich für besonders betroffene Gruppen in Höhe von 150 Euro auf 300 Euro verdoppelt. Davon profitieren insbesondere Bezieher:innen von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe, Ausgleichszulagen- und Studienbeihilfenbezieher:innen, sowie Haushalte im Sozialhilfe- bzw. Mindestsicherungsbezug. Ein Teil des Pakets ist auch der Energiekosten-Gutschein in Höhe von 150 Euro für jeden Haushalt. Die Wirkung dieser Maßnahmen wird sich in den nächsten Befragungswellen von „So geht’s uns heute“ zeigen.

Viele Menschen, die im Jahr 2021 Einkommensverluste erlebt haben, hatten bereits davor ein geringes Haushaltseinkommen. Rund 850.000 Menschen müssen mit einem Einkommen von unter 1.000 Euro pro Monat (standardisiert auf einen Ein-Personenhaushalt) auskommen.

Fallende und niedrige Einkommen führen dazu, dass zahlreiche Menschen Schwierigkeiten haben, über die Runden zu kommen. Über 850.000 Menschen können die laufenden Ausgaben ihres Haushalts entsprechend der Umfrage nur mit Schwierigkeiten oder großen Schwierigkeiten decken. Für sie reicht das Einkommen nicht mehr zum Auskommen. Derartige finanzielle Schwierigkeiten zeigen sich auch beim Zahlungsverzug. 430.000 Personen waren im Laufe des vorangegangenen Quartals mit der Zahlung eines Kredits, einer Hypothek oder der Wohnkosten in Verzug geraten.

Anhand dieser Ergebnisse der Befragung „So geht’s uns heute“ zeigt sich, dass die Corona-Krise signifikante Auswirkungen auf die Einkommen hat und erhebliche Teile der Bevölkerung Schwierigkeiten haben, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Vulnerable Personengruppen wie Arbeitslose, Erwerbstätige in Hilfsarbeits-Berufen oder Alleinerziehende sind besonders stark betroffen.

Wohnkosten sind massive finanzielle Belastung

Ob das Einkommen zum Auskommen reicht, hängt häufig von den Wohnkosten ab. Diese machen insbesondere für Personen, die in Mietwohnungen leben, den größten Anteil der Ausgaben aus. Für 825.000 Menschen stellen die Wohnkosten eine schwere finanzielle Belastung dar.

Von den Wohnkosten belastet fühlten sich besonders Personen, die Einkommensverluste im Zuge der Krise hinnehmen mussten, Personen mit geringem Einkommen sowie arbeitslose Personen. In diesen Gruppen gibt jede:r Vierte bis sogar gut jede:r Dritte an, dass die Wohnkosten eine schwere Belastung darstellen.

Nicht nur in der retrospektiven Betrachtung, auch für die Zukunft erwarten zahlreiche Menschen Probleme mit den Wohnkosten. 732.000 Personen rechnen damit, dass sie in den kommenden drei Monaten mit Zahlungsschwierigkeiten bei ihren Wohnkosten konfrontiert sein werden. Ein Zahlungsverzug bzw. Schulden bei den Wohnkosten gelten allerdings als besonders gefährlich, da diese im schlimmsten Fall Delogierung und Obdachlosigkeit bedeuten können.

Das Sozialministerium bekämpft das Problem mit dem Programm Wohnschirm. Dabei werden Mieter:innen unterstützt, die als Folge der Pandemie ihre Miete nicht mehr bezahlen können und dadurch von Wohnungsverlust und Delogierung bedroht sind. Mietzinsrückstände werden übernommen bzw. der Umzug in eine leistbare Wohnung finanziert. Regionale Beratungseinrichtungen in allen Bundesländern stellen den niederschwelligen Zugang flächendeckend in ganz Österreich sicher. Bis 2023 stehen 24 Mio. Euro zur Verfügung.

Materielle Deprivation nimmt stark zu

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Viele Güter und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs stellen die Menschen in Österreich vor massive finanzielle Herausforderungen. 1,7 Mio. Menschen können es sich nicht leisten, unerwartete Ausgaben von 1.300 Euro zu begleichen. 369.000 Personen können ihre Wohnung im November/Dezember 2021 aus finanziellen Gründen nicht angemessen warm halten. 363.000 Personen können sich aus finanziellen Gründen nicht angemessen ernähren. Alle diese Indikatoren für den Mangel an Notwendigem (materielle Deprivation) haben sich im Jahr 2021 deutlich verschlechtert (siehe Grafik). Bei einigen Indikatoren kam es sogar zu einer Vervielfachung. So hat sich der Anteil der Menschen, die ihre Wohnung nicht warm halten können im Laufe des Jahres vervierfacht. 

Herausforderungen im Kampf gegen die sozialen Krisenfolgen

Die Erhebung „So geht’s uns heute“ von Statistik Austria zeigt eindrücklich die sozialen Folgen der Corona-Krise in Österreich. Erhebliche soziale Gefährdungslagen sind sichtbar geworden, wobei diese sehr ungleich verteilt sind. Arbeitslose Menschen, Personen mit max. Pflichtschulabschluss und auch Alleinerziehende und Mehrkindfamilien sind am stärksten betroffen. Wenn es das Ziel ist, Armut in Österreich zu reduzieren, sind umfassende Maßnahmen zur Bekämpfung bzw. Abfederung der aktuell steigenden Inflation notwendig. Diese sollten sich insbesondere an vulnerable Personengruppen richten, die aktuell mit ihrem Einkommen kaum auskommen können. Mögliche Maßnahmen sind etwa die Anpassung von Sozial- und Transferleistungen an die Inflation oder umfassende Reformen der Sozialhilfe und der Arbeitslosenversicherung um Armut zu bekämpfen.

Die weiteren Befragungswellen von „So geht’s uns heute“, die quartalsweise von Statistik Austria und dem Sozialministerium veröffentlicht werden, sind ein wirksames Instrument zur Beobachtung der weiteren Krisenfolgen.  

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