Die Zwei Gesichter der „Sharing Economy“

25. März 2016

Nach einer ersten Phase des Hypes rund um (vermeintliche) Potentiale von „Sharing Economy“ ist mittlerweile Ernüchterung eingekehrt. Proteste gegen Mobilitätsplattformen wie Uber und der Boom von AirBnB in Gegenden mit knappem Wohnraum lassen die Skepsis gegenüber den Versprechen der Sharing Economy wachsen.

Bei aller berechtigter Kritik am anfänglichen Hype droht der jetzt einsetzende Gegenwind das Kind mit dem Bade auszuschütten. Denn, erstens werden mit dem Label „Sharing Economy“ sehr unterschiedliche Arten kollaborativen Wirtschaftens bezeichnet, und zweitens sind die Auswirkungen je nach Ansatz und Regulierung stark unterschiedlich.

Gemeinsam ist den verschiedenen Spielarten dieses neuen Wirtschaftszweiges, dass sie nur deshalb möglich sind, weil digitale Technologien Transaktionskosten reduzieren und neue Dienstleistungen praktikabel machen. Während sämtliche Varianten von Sharing Economy auf diesen neuen technischen Möglichkeiten aufbauen, sind die Auswirkungen je nach Typus durchaus unterschiedlich. Im Folgenden wird zu Illustrationszwecken eine grobe Differenzierung zwischen zwei verschiedenen Arten von Sharing Economy vorgenommen:

Nicht-marktliche Sharing Economy

(a) Nicht-marktliche, nicht-profitorientierte Form: Verringerung von Transaktionskosten ermöglichen hier neue Formen kooperativer Produktions- bzw. Güternutzungsweisen. Trotz der nicht-marktlichen und nicht-profitorientierten Ausrichtung können dennoch substantielle (makro-)ökonomische (Wohlfarts-)Effekte mit dieser Form der Sharing Economy einhergehen. Bekannte Beispiele für diese Form der Sharing Economy sind Plattformen wie „Couchsurfing“ oder die freie Online-Enzyklopädie Wikipedia.

Primär Nicht-marktliche Sharing Economy

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Im Fall von CouchSurfing bieten Menschen mit einer Gästecouch oder einem Gästezimmer anderen für kurze Zeit eine Möglichkeit zur kostenlosen Übernachtung. Sowohl AnbieterInnen als auch NutzerInnen verfügen über eine Profilseite und können sich nach einer Übernachtung gegenseitig bewerten. Auf diese Weise wird Vertrauen kommodifiziert, sinkt das Risiko „wildfremde“ Menschen bei sich zu Hause zu beherbergen: Wer bereits viele positive Bewertungen erhalten hat, dem wird eher vertraut als Neulingen. Zentrale Leistung der Plattform Couchsurfing ist es, an kurzzeitigen Übernachtungsgästen Interessierte mit potentiellen Gästen zusammenzubringen. In den Nutzungsbedingungen von Couchsurfing ist es dabei explizit verboten, für die Übernachtungsmöglichkeit Geld zu verlangen. Tun das Anbieter dennoch, können sie gemeldet und gesperrt werden. Im Vordergrund sollen Gastfreundschaft und wechselseitiges Kennenlernen stehen und nicht Profitmotive – zumindest bei den NutzerInnen der Plattform.

Die Plattformbetreiber können durchaus Profitmotive verfolgen, solange bei den Beitragenden und NutzerInnen der Plattform kein unmittelbar reziproker Austausch von Gegenleistungen erfolgt, handelt es sich tendenziell um nicht-marktliche Formen der Sharing Economy. Noch eindeutiger als bei Couchsurfing ist das bei der freien Online-Enzyklopädie Wikipedia der Fall. Weder erhalten deren freiwillige AutorInnen eine Vergütung, noch müssen die NutzerInnen der Wikipedia dafür bezahlen. Und auch die Wikimedia Foundation, die Betreiberin der Wiki-Softwareplattform, ist eine spendenfinanzierte Non-Profit-Organisation. Erst digitale Technik ermöglichte es tausenden, dezentral verteilten Freiwilligen ihr Wissen mit anderen zu teilen und zu einer kollektiv verfassten einer Enzyklopädie beizusteuern.

Gleichzeitig illustriert das Beispiel Wikipedia die durchaus vorhandene, ja bisweilen tiefgreifende, ökonomische Relevanz auch nicht-marktlicher Sharing Economy. Seit dem Aufstieg von Wikipedia ist mit dem Verkauf klassischer Enzyklopädien kein Geld mehr zu verdienen. Wer nur auf den Beitrag der Anbieter von Enzyklopädien zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) schaut, würde also durch Wikipedia einen Rückgang beobachten. Der Zugang zu enzyklopädischem Wissen ist durch Wikipedia jedoch ungleich freier und kostengünstiger als zuvor. Eine Verringerung BIP-wirksamer Umsätze (in diesem Fall von Enzyklopädie-Anbietern) muss also keineswegs mit niedrigerem gesellschaftlichem Wohlstand einhergehen (in diesem Fall dem Zugang zu enzyklopädischem Wissen).

Marktliche Sharing Economy

(b) Marktliche Sharing Economy: Im Falle der marktlicher Form erfolgt die Bereitstellung bzw. kollaborative Nutzung von Gütern aus überwiegend kommerziellem Interesse in gewerblichem Ausmaß. Prominente Beispiele marktlicher Sharing Economy sind die Dienste AirBnB und Uber, wo nicht nur auf Seiten des Plattformbetreibers, sondern auch auf Seiten des Anbieters der jeweiligen Mitnutzung kommerzielle Interessen dominieren. Nicht notwendigerweise erreicht das im jeweiligen Einzelfall aber auch ein gewerbliches Ausmaß.

Primär marktliche Sharing Economy

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Im Unterschied zu Couchsurfing ist das Angebot an Übernachtungsmöglichkeiten bei AirBnB stark ökonomisch und von unmittelbar reziproken Gegenleistungen zwischen AnbieterInnen und NutzerInnen getrieben. WohnungseigentümerInnen können über die Plattform AirBnB kurze Phasen von Leerstand überbrücken oder überhaupt die Chance für profitablere Verwertung ihres Wohnungseigentums im Vergleich mit herkömmlicher Vermietung sehen. NutzerInnen sehen in AirBnB eine oft kostengünstigere Alternative zu Hotels und schätzen bisweilen auch den unmittelbar-persönlichen Kontakt mit VermieterInnen. Genauso wie bei Couchsurfing können sich AnbieterInnen und NutzerInnen gegenseitig bewerten und so zur Bildung von Vertrauen beitragen. Angesichts des reziproken Austauschs geldwerter Leistungen – Wohnraum gegen Geld – ist die Rolle von AirBnB aber nicht nur jene einer Vernetzungsplattform sondern auch die eines Marktplatzes.

Analog zu AirBnB ist die Situation beim anderen prominent-umstrittenen Fall von Sharing Economy, der Mobilitätsplattform Uber. Auch hier geht es um den unmittelbar reziproken Austausch geldwerter Leistungen, von Taxiservices über Kurierdienstleistungen bis hin zu Ridesharing.

Eine unmittelbare Folge des primär kommerziellen, marktlichen Charakters von Plattformen, wie AirBnB und Uber, ist jedoch auch, dass bestehende gesetzliche Regelungen für dem Hotel- oder Transportgewerbe angehörende MitarbeiterInnen bzw. zur Beschäftigung (Schein-)Selbstständiger MitarbeiterInnen einschlägig und anzuwenden sind – zumindest bei Überschreiten von Umsatzgrenzen, die auf Gewerbsmäßigkeit hindeuten.

Externalitäten der Sharing Economy

Zusammengefasst können beide Typen von Sharing Economy mit positiven und negativen Externalitäten – also sozio-ökonomischen Folgewirkungen – einhergehen, wobei der größere Regulierungsbedarf in der Regel im Kontext marktlicher Sharing Economy zu erwarten sein dürfte. Positive Externalitäten von Sharing Economy können dabei in ökologischer (z.B. geringerer Ressourcenverbrauch durch vermehrte Nutzung von Carsharing), sozialer (z.B. günstigere Nutzung bestimmter Güter und Dienstleistungen) oder ökonomischer Hinsicht (z.B. Veränderung relativer Preise, sektoraler Wandel) bestehen. Ob im jeweils konkreten Fall positive Externalitäten vorliegen, ist eine empirische Frage, die im Einzelfall zu klären und nicht für sämtliche Fälle von Sharing Economy a priori beantwortbar ist. Negative Externalitäten im Falle von Sharing Economy können insbesondere dann auftreten, wenn Vermittlung von Gütern und Dienstleistungen über neue digitale Plattformen vor allem zur Umgehung bestehender Regulierung im Bereich des Umweltschutzes oder bei Arbeits- und Sozialstandards genutzt wird. Auch hier ist das Vorhandensein negativer Externalitäten eine empirische Frage.

Klarerweise ist die Kategorisierung im konkreten Einzelfall keineswegs immer eindeutig und es können vor allem im Bereich von marktlicher Sharing Economy mit ein und derselben Plattform sowohl positive als auch negative Externalitäten einhergehen. Im vieldiskutierten Fall von AirBnB hängen die Externalitäten entscheidend von Kontextbedingungen, wie dem Wohnraumangebot, dem Leerstand sowie der Nutzungsweise (Gelegenheitsnutzung vs. Vollzeitnutzung sowie gewerbliches vs. nicht-gewerbliches Ausmaß), ab.

In vielen Fällen sind jedoch nur geringfügige Anpassungen bestehender Regulierungen erforderlich, um diesbezügliche Herausforderungen zu adressieren. In der Regel ist die Beantwortung der Frage der Gewerbsmäßigkeit an Hand der Überschreitung von Umsatzgrenzen ein guter Indikator für die Notwendigkeit der Anwendung entsprechender Regelungen auch auf neue Formen von „Sharing Economy“ – also im Beispiel von AirBnB bei gewerbsmäßiger Vermietung von Privatwohnungen in Form der analogen Anwendung von Bestimmungen für Ferienwohnungen.

Eine geringe Anzahl der Sharing-Plattformen hat natürlich aufgrund der Überschaubarkeit einen Vorteil für Gesetzgeber und Exekutive bei der Durchsetzung bestehender Regelungen (zB Einhebung von Abgaben). In bestimmten Fällen kann jedoch auch eine Änderung bestehender Regulierungen geboten sein, insbesondere wenn diese vor allem der Wettbewerbsvermeidung dienen.

Dieser Beitrag erschien zunächst in wirtschaftspolitik-standpunkte 1/2016