Schon wieder eine Neiddebatte zu Vermögenssteuern

01. Dezember 2014

Wer über Vermögenssteuern und Verteilungsgerechtigkeit sprechen will, kann zu Neid seltsamerweise kaum schweigen. Denn GegnerInnen einer Vermögenssteuer unterstellen, dass es den BefürworterInnen nicht um Gerechtigkeit gehe, sondern um Neid. Neiddebatte ist jenes Unwort, welches eine Debatte über Gerechtigkeit zu vermeiden sucht, und auch zu Neid keine erlaubt. Müssen BefürworterInnen von Vermögenssteuern frei von Neid sein?

Der Begründer der Individualpsychologie, Alfred Adler, hatte 1927 in seinem Buch Menschenkenntnis noch diagnostiziert: “Alle Menschen seien letztlich neidisch.“ Wenn aber alle neidisch sind, wieso wird dann der Neidvorwurf in Gerechtigkeitsdebatten regelmäßig und zielgenau nur nach unten in der sozialen Hierarchie gerichtet?

10 Hinweise zu einem höchst komplexen Affekt:

Neidisch sind meist die Anderen

Damit das Reden vom Neid nicht zum Knüppel gegen Argumente wird, sollte es stets mit einer Reflexion auf eigene Neidgefühle beginnen. Das Erkennen der eigenen Neidgefühle hilft zu realisieren, was einem/einer wichtig ist. Interessiert Vermögen nur wenig, dann wird man/frau auch nicht auf das Aktienpaket der NachbarInnen oder deren Wälder neidisch sein. Bei Neid geht es um Themen, die einem etwas bedeuten, die man nicht hat und von denen man glaubt, dass sie einem zustehen. Erst dies macht neidisch. Unter Neid leiden die Betroffenen, wohingegen sich die MahnerInnen unter einem Neidvorwurf moralisch sonnen können.

Doch neidisch können auch jene sein, die andere so bezeichnen. Dies geht insofern relativ leicht, weil zugeschriebener Neid als Abwertungskategorie funktioniert. Und wem die Zuschreibung von Neid nicht reicht, der schreibt von Hass, wie der Kulturpublizist Peter Sloterdijk: „in dem populären Hass gegen die Reichen, der sich als Sinn für Gerechtigkeit ausgibt, verbirgt sich eine wütende Undankbarkeit vieler gegenüber den Geistreichen, denen letztlich fast alle fast alles verdanken“.

Angst vor Neid kann Konformität von Eliten stärken

Die Furcht, Neid zu erregen, könnte eine Konformität der Reichen mit sozialen Normen sicherstellen. Dies betonte etwa der Soziologe Helmut Schoeck in seinem 1966 erschienenen Buch „Der Neid“. Den Machtambitionen der Eliten würde gleichsam eine emotionale Grenze gesetzt. Ob diese Grenze heute noch hält, ist unklar.

Angst vor Neid haben nicht alle

Die Furcht vor dem Neid der Besitzlosen sinkt. Es wird wieder geprotzt. Je mehr die Gesellschaft zwischen oben und unten verkrustet, desto unbedeutender wird der Neid. Wichtiger werden jene Reichen, die hoffen, beneidet zu werden, weil es ihnen das Gefühl gibt, auf die richtige Sache im Leben gesetzt zu haben: auf Vermögensanhäufung.

Neid: Zwei Seelen in einer marktgläubigen Brust

Beim Neidvorwurf an VermögenssteuerbefürworterInnen kollidieren KatholikInnen und Konservative. Ist für die einen Neid eine Todsünde und gilt zudem „Neid hilft nicht bei der Suche nach Gerechtigkeit“ (Bundeskanzler a.D. Wolfgang Schüssel), so erkennen andere Konservative darin den wichtigen Motor des Nacheiferns im Kapitalismus und stehen Neid positiv gegenüber. Der Londoner Bürgermeisten Boris Johnson verdeutlicht dies eindrucksvoll in seiner Margareth Thatcher Gedächtnis Lecture. Er glaubt nicht, dass das Ziel der Gleichheit sinnvoll ist, sondern im Gegenteil: ”indeed some measure of inequality is essential for the spirit of envy and keeping up with the Joneses that is, like greed, a valuable spur to economic activity”.

Neid bei Armen sozial verpönt

Die Besitzlosen richten ihren Blick nicht nach oben, sondern neidvoll auf noch Ärmere, zB gegen Asylsuchende und MigrantInnen. Und der Neid jener, die von Almosen leben müssen, gegenüber den Bessergestellten, ist sozial kontrolliert. Reiche PhilanthropInnen wollen wenigstens geschätzt werden, wenn sie schon nicht geliebt werden.

Die Wahrnehmung armer Menschen auf das Vermögen der Reichen als neiderfüllt zu denunzieren, verrät psychoanalytisch mehr über die psychischen Abwehrmechanismen der Vermögenden als über die Affekte der Armen. Ein schlechtes Gewissen angesichts der eigenen Privilegien wird über einen moralischen Vorwurf bekämpft.

Neid bei unsichtbarem Vermögen schwer

Neid taucht in der Welt der Arbeitseinkommen häufiger auf als in der Vermögenswelt, denn Neid braucht soziale Nähe, um sich entfalten zu können. Doch bei den Arbeitseinkommen ist die Ungleichheit zwar sichtbarer, aber eben auch geringer. Vermögenseinkünfte und Privatstiftungen im Ausland können Neid schwerlich nähren, weil Bankgeheimnis und Datenintransparenz alles im Verborgenen halten.

Neid bei Vermögenssteuerdebatte nur Elitenkonkurrenz

Wo sich bei Gerechtigkeitsdebatten der Neid versteckt, bei den GleichheitsbefürworterInnen oder den UngleichheitsakklamiererInnen ist schwer zu sagen. Neid, der sich als Sinn für Gerechtigkeit ausgibt, kann sich bei Vermögenssteuerdebatten auch schlicht auf die bessere Themenwahl in einer Parteienkonkurrenz beziehen. Neidisch kann man/frau auch auf Menschen sein, denen es um Gerechtigkeit geht, da dies eng mit Sinn im Leben verbunden ist. Es gibt ja niemanden, der sich offen für Ungerechtigkeit ausspricht, d.h. Gerechtigkeit ist moralische Referenz für alle. Jene, die oft Effizienz und Markt im Mund führen, könnten auf die Gerechtigkeits-Gutmenschen eifersüchtig sein, weil diese sich zusätzlich noch moralische Kriterien gönnen.

Neid in Meritokratie eher beheimatet als im Neo-Feudalismus

Den Neid der Besitzlosen zu kritisieren ist unter dem ideologischen Banner der Leistungsgerechtigkeit leichter. Das meritokratische Ideal, wonach überragende Leistungen mit Spitzeneinkommen belohnt werden dürfen, kann durch Neid befeuert werden. Dies greift in einer Oligarchie, wo die Plätze in der Sozialordnung vorab schon vergeben sind, nicht mehr. Im gesellschaftlichen Prestigeranking zählt dann der Erfolg mehr als die Leistungen.

Neidvorwurf wird wichtiger, wenn die Legitimation der Ungleichheit schwieriger wird

Die Frage, ob Forderungen nach einer Vermögensbesteuerung legitim sind, kann nicht durch die Entlarvung eines sozial verpönten Affekts beantwortet werden. Sogar falls hässlicher Neid die Kritik an der Vermögensungleichheit leitet, so müssten trotzdem erst Argumente zum Sinn der Ungleichheit einer rationalen Überprüfung Stand halten. Sogar wenn jemand von hasserfülltem Neid nahezu zerfressen wird, ist der Inhalt seiner Kritik noch nicht desavouiert und kann seine Forderung nach sozialer Gerechtigkeit noch nicht zurückgewiesen werden. Eine solche Beurteilung bedarf vielmehr gesellschaftlicher Deliberation. Und nebenbei gefragt, auf wen sollte Warren Buffet als vehementer Befürworter einer Erbschaftssteuer neidisch sein?

Neidvorwurf eine absichtliche Themenverfehlung bei Steuerdebatten

Der Neidvorwurf gegen BefürworterInnen einer Vermögenssteuer arbeitet mit der Unterstellung, dass es um Enteignung geht. Neid als Kampfschablone dient dazu, dass die eklatante Vermögensungleichheit nicht zum Anlass einer Gerechtigkeitsdebatte genommen werden kann. Bundeskanzler a.d. Schüssel schließt seinen Text mit der Mahnung: „Das Schüren von Neid sei kein geeigneter Motor“. Franz Schuh hatte es in seinem Buch Hilfe! Ein Versuch zur Güte präzise formuliert: Neid sei „das einzige Motiv, das sich Geldmenschen bei ihren Gegnern vorstellen wollen.“