Mythos: „Schulden sind böse – sparen ist gut“

27. Dezember 2013

„Die Staaten in Europa sind zu hoch verschuldet, auch in Deutschland und Österreich muss ein zentrales Ziel von Politik ein ausgeglichener Staatshaushalt sein. Wie im Privathaushalt soll das Vorbild für den Staat, z.B. nach der deutschen Bundeskanzlerin, „die schwäbische Hausfrau“ sein, die sich nur „leistet“, was sie sich auch leisten kann.“

 

Zahlreiche PolitikerInnen, viele ÖkonomInnen und die Medien fordern starke Sparmaßnahmen zur ausgabenseitigen Sanierung der öffentlichen Haushalte. Auffällig ist dabei, wie wenige ökonomische oder finanzpolitische Argumente in der Diskussion angeführt werden. Stattdessen wird stark moralisch argumentiert oder an das Gewissen der BürgerInnen appelliert.

Sind Schulden wirklich so böse?

Nein, prinzipiell handelt es sich um einen hartnäckigen Mythos und in der Argumentation werden einige Fehler gemacht. Ein Fehler ist Schulden bzw. die damit getätigten Ausgaben immer nur als Kosten zu betrachten. Hier ist dringend ein Umdenken gefordert, denn die Ausgaben sind auch Investitionen in Bildung, Infrastruktur, das Gesundheitssystem; kurz: in die Wohlfahrt der BürgerInnen. Der Verschuldung stehen auch Vermögenswerte (wie Straßen, Schulen, Krankenhäuser etc.) mit gesellschaftlichem Nutzen gegenüber.

Zudem ist der Staatshaushalt eben nicht mit dem Privathaushalt gleichzusetzen. Denn das Einkommen eines Staates ist nicht gesetzt – die Steuergesetzgebung ist Sache der Parlamente. Auch sind Staaten auf Dauer konzipiert und können deshalb bis in alle Ewigkeit Einkommen erzielen, aus denen die Schulden bedient werden können. Folglich müssen sie die Schulden nicht abbauen, sondern lediglich das langfristige Verhältnis zwischen Einkommen und Schuldendienst stabilisieren. Drittens ist der Staatshaushalt so groß, dass Veränderungen der Ausgaben und Einnahmen gesamtwirtschaftliche Auswirkungen haben. Sehr einfach dargestellt sinken bei großen Ausgabenkürzungen, etwa im Sozialbereich, die Einkommen der BürgerInnen (z.B. über das Kürzen der Sozialtransfers). Weniger Einkommen bedeutet, dass weniger konsumiert wird, die Nachfrage nach Produkten sinkt und die Unternehmen auf Dauer ihre Produktion reduzieren und ArbeitnehmerInnen entlassen. Folglich steigt die Arbeitslosigkeit und mehr Menschen sind auf Sozialtransfers (= Staatsausgaben) angewiesen und zahlen keine Steuern (= Staatseinnahmen) mehr. Letztendlich muss eine Ausgabenreduktion des Staates nicht unbedingt in niedrigeren Budgetdefiziten resultieren, da die Staatseinnahmen schneller sinken können als die Staatsausgaben. Dies ist im Privathaushalt nicht der Fall, da das Einkommen, der Lohn, gleich bleibt und bei einer Verringerung der Ausgaben tatsächlich gespart wird. Umgekehrt können höhere Staatsausgaben langfristig zum „Sparen“ führen. Welche ökonomischen Reaktionen auf eine Reduktion oder eine Ausweitung staatlicher Tätigkeit erfolgen, ist vom konkreten ökonomischen Umfeld abhängig.

Aber sind Schulden prinzipiell gut?

Nein, die Aufnahme von Schulden darf kein Selbstzweck sein. Entscheidend sind das ökonomische Umfeld, der Stand der Staatsverschuldung und der Spielraum bei der Erhöhung der Einnahmen bzw. beim Kürzen der Ausgaben. In vielen Fällen ist es besser, die Staatsausgaben durch laufende Einnahmen zu decken, da so keine Zinszahlungen fällig werden. Die Aufnahme von neuen Schulden muss gut durchdacht sein. Ein Bewertungskriterium hierfür liefert Corneo, der auf die Frage, wann ein Staat Schulden aufnehmen sollte, folgende Antwort gibt: „wenn für seine Bürger der Ertrag der damit finanzierten Maßnahmen (Steuersenkung, Transfererhöhung, Erhöhung des Staatskonsums oder der öffentlichen Investitionen) die Kosten der Verschuldung (Zinsen und Tilgung) übersteigt“. Oberstes Ziel muss sein, die Wohlfahrt zu maximieren. Corneo räumt ein, dass dies in der Praxis nicht immer einfach anzuwenden ist, da bspw. der Nutzen oft nur schwer in Geld bewertet werden und damit den Kosten direkt gegenübergestellt werden kann (Corneo 2009, 5). Dennoch ist diese Faustregel sicher hilfreicher als Schulden per se abzulehnen.

„Der Staat muss sparen.“

 Auch dies ist häufig zu hören und mag zunächst einleuchtend klingen, denn wenn zu viel Geld ausgegeben wurde, muss eben gespart werden. Aber auch hier scheint es am ökonomischen Grundverständnis zu mangeln, denn grundsätzlich gilt: Das Sparen der Einen bedingt immer die Verschuldung der Anderen. Die Summe aller finanziellen Forderungen und Guthaben ist immer null. Das gleiche gilt für die Wirtschaftssektoren: private Haushalte, Unternehmen, Staat und Ausland. Das Sparen des einen Sektors bedingt die Verschuldung eines Anderen, die Verschuldungsbereitschaft ermöglicht erst das Sparen. In der Wirtschaftstheorie wird grob davon ausgegangen, dass die Haushalte in Summe mehr sparen als investieren, die Unternehmen investieren (=sich verschulden) und der Staat ausgleichend wirkt. Die Bilanz gegenüber dem Ausland sollte über die Jahre hinweg ausgeglichen sein. Die privaten Haushalte in Deutschland und Österreich sparen seit Jahren. Allerdings sparen derzeit auch die Unternehmen. In Deutschland haben sie in den vergangenen zehn Jahren lediglich 2003 und 2008 mehr investiert als gespart, in Österreich haben sie immerhin in drei der letzten zehn Jahre mehr gespart als investiert. Das überschüssige Geld ist dann oft am Finanzmarkt veranlagt worden. Wenn aber private Haushalte und Unternehmen sparen, dann bleiben nur der Staat und das Ausland als Schuldner, da sich die Sektoren immer zu Null addieren müssen. Für Deutschland zeigt sich eine enorme Verschuldung des Auslands, bei Österreich ist die Auslandsverschuldung eher gering, der Staat absorbiert hier die Mittel in größerem Ausmaß.

Wenn dies verstanden wird sind die politischen Forderungen aber absurd: GriechInnen, SpanierInnen, IrInnen etc. zu erklären, dass sie ihre Schulden schleunigst abbauen müssen, und gleichzeitig die Bedingungen für einen Abbau  zu verunmöglichen, ist paradox und ökonomischer Unsinn.

Für das Ausland zeigt etwa Münchau auf, dass ein Leistungsbilanzüberschuss der Summe der Ersparnisse der privaten Haushalte und der Neuverschuldung des Staates entspricht. Die Leistungsbilanzen aller Länder weltweit addieren sich zu null, da jedem Export irgendwo ein Import gegenübersteht. Das bedeutet aber nach obiger Feststellung auch, dass sich die Überschüsse bzw. Defizite der privaten und öffentlichen Haushalte weltweit ebenfalls zu null addieren. Woraus gefolgert werden kann, dass weder alle Staaten ein Exportmodell verfolgen können, noch dass alle Staaten mehr sparen als investieren können.

Schuldenabbau – was steht wirklich hinter der Forderung?

Es wird schnell deutlich, dass hinter der Art der Argumente, die in der Schuldendiskussion angeführt werden, eine bestimmte Weltanschauung steht. Es geht darum, den Staat „auszuhungern“, denn weniger Mittel bedeuten auch reduzierte politische Handlungsmöglichkeiten. Die BürgerInnen sollen auf Sparmaßnahmen und Kürzungen vorbereitet werden. Der Staatshaushalt könnte zwar selbstverständlich auch über höhere Steuereinnahmen ausgeglichen werden, dies ist in der öffentlichen Diskussion aber nur selten zu hören. Auch wird kaum auf die immer weiter steigendenden Ungleichheiten zwischen „arm“ und „reich“ eingegangen. Ein Blick auf die Nettovermögen zeigt deutlich, dass die privaten Nettovermögen um ein Mehrfaches über den öffentlichen Schulden liegen. Die Debatte um die Staatsverschuldung erscheint damit in einem völlig anderen Licht. Denn dann geht es weniger um einen Schuldenabbau als um eine Umverteilung und Beteiligung von Menschen mit hohen Vermögen und Einkommen an der Finanzierung öffentlicher Ausgaben und des Sozialstaates.