Mitbestimmung in Österreich: Hauptergebnisse einer Studie von IFES

20. April 2015

Im politischen Diskurs werden Betriebsräte und die sie tragende Gewerkschaftsbewegung von neoliberalen Meinungsmachern gerne als altmodisch, rückschrittlich, Verhinderer und Betonierer – kurz als unzeitgemäß und überholt dargestellt. Es ist daher spannend zu überprüfen, ob diese Botschaften bei ArbeitnehmerInnen in Betrieben mit oder ohne Betriebsrat Gehör finden und Betriebsräte und Gewerkschaften in Misskredit bringen oder ob die betriebsrätliche und gewerkschaftliche Mitbestimmung weiter hohen Stellenwert im Bewusstsein jener Menschen hat, in deren Interesse sie geschieht.

Studie zur Mitbestimmung: Erfassung von Rahmenbedingungen und Bedürfnissen

In einer Zeit, in der die Wachstumsschwäche im Gefolge der Finanzkrisen die Realwirtschaft und die in ihr Beschäftigten und damit auch die Betriebsräte stark unter Druck bringt, muss es weiters ein Anliegen der Arbeitnehmerinteressenvertretungen sein, nicht nur die Einstellungen und Meinungen gegenüber Betriebsräten zu erheben, sondern auch die Rahmenbedingungen und Schwierigkeiten ihrer Tätigkeit. So können auch die die Betriebsräte betreuenden Gewerkschaften wichtiges empirisches Material erhalten, um Umfeldveränderungen zu analysieren und zu diskutieren und auf dieser Basis gegebenenfalls ihre Unterstützung für die Betriebsräte adaptieren oder weiterentwickeln zu können.

Die AK Wien hat daher in ständiger Kooperation mit den Gewerkschaften durch IFES in den Jahren 2012 und 2013 eine repräsentative Befragung unter ArbeitnehmerInnen mit und ohne betriebsrätliche Vertretung sowie unter Betriebsratsmitgliedern durchführen lassen, um so Einstellungen und Meinungen zu dem Thema zu erheben sowie die konkreten Rahmenbedingungen und Inhalte der Betriebsratstätigkeit und sich daraus allenfalls ergebende Bedürfnisse zu erfahren.

Betriebliche Interessenvertretung für große Mehrheit wichtig

Die Befragung zeigt vor allem, dass sich die neoliberale Stimmungsmache in keiner Weise durchgesetzt hat: Für 93 % (!) der ArbeitnehmerInnen ist die Existenz einer betrieblichen Interessenvertretung sehr wichtig (62 %) oder wichtig (31 %). Eine satte Mehrheit der unselbständig Beschäftigten, nämlich 62 %, will diese den Betriebsräten zugeschriebene Bedeutung sogar noch weiter ausbauen, indem sie für die Betriebsräte in Zukunft eine noch „stärkere Rolle“ fordern.

Wendet man den Blick von der Überzeugung von der (abstrakten) Wichtigkeit von Betriebsräten an sich auf die konkrete Arbeit der Betriebsräte in den Betrieben, sind die Ergebnisse ebenfalls erfreulich: Danach befragt, wie gut sie sich von ihrem Betriebsrat vertreten fühlen, vergeben die ArbeitnehmerInnen die Durchschnittsnote von 2,18 auf der 5-teiligen Schulnotenskala. Geht man hier ins Detail der von den Beschäftigten vorrangig gewünschten Eigenschaften guter Betriebsräte, wird das Bild noch runder: Die von den ArbeitnehmerInnen in der Befragung deutlich priorisierten Eigenschaften sind Vertrauenswürdigkeit, eine gute Gesprächsbasis mit der Belegschaft sowie Einsatzfreude und Engagement. Die Noten, die die Belegschaften ihren Betriebsräten geben, liegen in allen drei Kategorien um 1,8.

Rolle der Gewerkschaften

Wechselt man auf die Ebene der überbetrieblichen Interessenvertretung, konkret zu den Gewerkschaften, stimmen satte 82 % der österreichischen ArbeitnehmerInnen ganz oder teilweise der Aussage zu, dass Gewerkschaften heute noch genauso notwendig sind, um Arbeitnehmerforderungen gegen die Unternehmer durchzusetzen, wie dies in den Anfangstagen der Gewerkschaftsbewegung erforderlich war. 60 % verlangen, dass die Gewerkschaften in Zukunft eine stärkere Rolle spielen sollen!

Schön, dass das Bild von Betriebsräten und Gewerkschaften nicht den Wunschvorstellungen mitbestimmungsfeindlicher Ideologen entspricht, aber gute und bewährte Institutionen bleiben nur dann gut, wenn sie auf Veränderungen in der Umwelt und neue Herausforderungen reagieren. Wo zeigt die Studie solche Reaktionsnotwendigkeiten – vielleicht auch in Richtung von Forderungen an den Gesetzgeber des Arbeitsverfassungsgesetzes?

Trotz eines grundsätzlich guten Verhältnisses zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten (zwei Drittel sowohl der Betriebsräte als auch der ArbeitnehmerInnen schätzen das Verhältnis zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat als vertrauensvoll und kooperativ ein) klagen 48 % der Betriebsratsmitglieder über fehlende Informationen seitens der Geschäftsführung. Da könnte eine bessere gesetzliche Absicherung der Informationsrechte des Betriebsrates angebracht sein.

Herausforderungen für Betriebsratsmitglieder

Die oft diskutierte zunehmende Diversifizierung der Arbeitnehmerschaft (atypisch Beschäftigte, ArbeitnehmerInnen mit Migrationshintergrund, stärkere Streuung der Qualifikationen, allgemeine Individualisierung) erleben 34 % der Betriebsratsmitglieder als Erschwernis. Im Zusammenhang immer vielfältiger werdender Belegschaften stellt sich natürlich die Frage nach dem „Nachwuchs“ der Betriebsratskörperschaften: Finden sich Frauen, die für den Betriebsrat kandidieren wollen, finden sich KollegInnen mit Migrationshintergrund? Die Einstellung in den Betriebsratskörperschaften signalisiert jedenfalls Offenheit für Zuwachs aus diesen Gruppen: Einer der meistgenannten Wünsche (62 %) der Betriebsratsmitglieder für die Betriebsratsarbeit ist jener nach mehr InteressentInnen aus den bisher unterrepräsentierten Gruppen. Das passt übrigens gut zu dem in den Betriebsräten mittlerweile vorherrschenden teamorientierten Arbeitsstil: 70 % geben an, dass die Entscheidungen in Diskussionen des Betriebsratsgremiums entstehen, während der angeblich noch so verbreitete „Betriebskaiser“ offenbar der Vergangenheit angehört – nur 3 % der Mitglieder sagen, bei ihnen würden die Entscheidungen ohne Diskussion durch den Vorsitzenden getroffen.

Dass die überbetrieblichen Interessenvertretungen in der Betriebsratsarbeit eine entscheidende Rolle spielen, zeigen weitere Aussagen über den Arbeitsstil: Zu den wichtigsten Methoden gehören die Heranziehung von ExpertInnen aus den Gewerkschaften und Arbeiterkammern (89 %) und die Einbindung in gewerkschaftliche Netzwerke (76 %).

Vereinbarkeit und Image

Wenn die Betriebsräte offen für Zuwachs sind – was hindert ArbeitnehmerInnen an einer Kandidatur? Die meistgenannte Sorge (bei 57 %) ist die vor zeitlicher Überlastung. Damit stimmt völlig der an oberster Stelle genannte Wunsch (67 %) der Betriebsratsmitglieder nach Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Betriebsratstätigkeit, Erwerbsarbeit und Familie überein. Für die Erleichterung der offenkundig von den ArbeitnehmerInnen als überaus wichtig erlebten Betriebsratsarbeit und die Integration von vor allem mehr Frauen in die Betriebsräte dürfte im Vereinbarkeitsthema also wie so oft in der Arbeitswelt ein Schlüssel liegen.

Noch ein Wunsch der Betriebsräte an Gewerkschaften und Arbeiterkammern: 65 % wünschen sich eine bessere Imagearbeit! Was wäre eine bessere Grundlage für eine solche Imagearbeit als der Beweis für den hohen Stellenwert betrieblicher und überbetrieblicher Mitbestimmung bei den österreichischen ArbeitnehmerInnen, den durch diese Studie erbracht hat?