Mission Economy – der Mondflug als Startrampe für eine bessere Ökonomie

07. Dezember 2021

Mariana Mazzucato hat eine Mission. Sie will zeigen, dass große gesellschaftliche Herausforderungen mittels Innovationen erfolgreich bewältigt werden können. Ideologische Auseinandersetzungen zwischen Markt und Staat hält sie für kontraproduktiv und geht pragmatisch und lösungsorientiert vor: Große Ziele können nur erreicht werden, wenn der Staat eine aktive Steuerungsrolle einnimmt, Ziele festlegt und deren Erreichung auf einem besseren Zusammenspiel zwischen Staat und privatem Sektor aufbaut.

„A Moonshot Guide to Changing Capitalism“

In ihrem neuen Buch „Mission Economy“ legt Mazzucato dar, in welche Richtung sie den Kapitalismus verändern will. Ökonomisches Handeln soll sich an der Steigerung gesellschaftlicher Wohlfahrt orientieren.

Weltbekannt wurde Mariana Mazzucato 2013 mit ihrem vieldiskutierten Bestseller „The Enterpreneurial State“ („Das Kapital des Staates“, Rezension in Wirtschaft und Gesellschaft). Entgegen dem vorherrschenden Denken in der Ökonomie hat sie darin aufgezeigt, dass staatliches Handeln Innovationen begünstigt bzw. vielfach erst ermöglicht und positive Spill-over-Effekte auf dem privaten Sektor erzeugt. Seitdem ist die Ökonomieprofessorin als Beraterin in vielen Staaten, aber auch für die Europäische Kommission in innovations- und wirtschaftspolitischen Fragen höchst gefragt.

In ihrer jüngsten Publikation schließt sie an ihre bisherigen Arbeiten an und entwickelt ihre Ansätze weiter. Anhand der erfolgreichen Mondmission der Vereinigten Staaten möchte sie veranschaulichen, wie es möglich ist, scheinbar Unmögliches zu erreichen. Mazzucato stellt dar, welchen Sog staatliches Handeln entwickeln kann, wenn es auf eine Mission hin ausgerichtet ist. Im erläuterten Beispiel wurden der Vision, dass die USA als erstes Land der Welt den Mond betreten sollen, andere Überlegungen, wie z. B. Finanzierungsfragen, untergeordnet. Sechs Bausteine sieht Mazzucato als wesentlich an, um ein Leitbild der Veränderung zu gestalten:

Es braucht

  • eine von starkem Zweckbewusstsein erfüllte Vision
  • Risikofreudigkeit und Innovation
  • organisatorische Dynamik
  • positive Spill-over-Effekte in der Zusammenarbeit über mehrere Sektoren hinweg
  • eine ergebnisorientierte, längerfristige Budgetierung und
  • ein dynamisches, partnerschaftliches Verhältnis zwischen privaten Unternehmen und dem Staat
Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Diese Faktoren ermöglichten nicht nur die spektakuläre Mondlandung im Jahr 1969, sie führten auch zu einer Reihe von bahnbrechenden Innovationen für den privaten Bereich: Kameratelefone, Sportschuhe, Babynahrung, Wasseraufbereitungssysteme, Funk-Kopfhörer, Rettungsdecken mit Isolierbeschichtung, Handstaubsauger, Computermäuse und noch vieles mehr.

Mission, um Politiken zu strukturieren

Diesen Erfolg nimmt die Autorin zum Anlass, missionsorientierte Politiken zur Bewältigung großer gesellschaftlicher Fragen vorzuschlagen. Die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele geben hierfür den Rahmen vor. Jedes Ziel hat bestimmte Vorgaben, die im Lauf der kommenden 15 Jahre zu erfüllen sind. Gesellschaftliche Probleme können aber gemäß Mazzucato nicht allein wissenschaftlich oder technologisch gelöst werden. Sie sind komplex, weil eine Vielzahl sozialer, politischer, technologischer sowie Verhaltensfaktoren zusammenspielen. Eine Vision allein ist zudem zu wenig, solange die Akzeptanz der Menschen nicht gegeben ist. Bei Missionen geht es also um die Strukturierung von Politiken, die eine Vielzahl von Lösungen (Projekten) unterschiedlichster Organisationen ins Boot zu holen vermögen. Es geht darum, Veränderungen in Gang zu bringen, Märkte zu schaffen und Risiken zu teilen.

Wie das ermöglicht werden kann, dazu hat Mazzucato auch selbst mit Regierungsorganisationen zusammengearbeitet. So hat sie zwei Berichte für die Europäische Kommission für einen missionsorientierten Ansatz in der Innovationspolitik verfasst. Der erste beschäftigte sich damit, Missionsorientierung zu erklären, der zweite mit der Governance solcher Missionen bezogen auf konkrete politische Maßnahmen: Ein Missionsentwurf beginnt mit einer „Mission Map“, die sich die Frage stellt, welches Problem denn eigentlich zu lösen sei. Dieses wird dann als Ziel formuliert, sodass Investitionen und Innovationen in unterschiedlichen Sektoren katalysiert werden und zu neuen Kooperationen auf der Projektebene führen. Das Horizon-Programm der EU beinhaltet nun auch fünf Missionsbereiche (Kampf gegen Krebs, gesunde Ozeane, klimaneutrale und intelligente Städte, Bodengesundheit und Ernährung sowie Anpassung an den Klimawandel inklusive gesellschaftliche Veränderungen), die angegangen werden. Wichtig ist dabei auch, die Bevölkerung in die Mission einzubinden.

Mission Klima, Gesundheit und Digitalisierung

Missionsorientiertes Vorgehen empfiehlt Mazzucato also insgesamt für komplexe Fragestellungen von allgemeinem Interesse. Sie selbst weist noch auf drei Themen hin, die ihrer Meinung nach von großer gesellschaftlicher Relevanz sind und wozu sie schon gearbeitet hat: ein Green New Deal zur Erreichung von Klimaneutralität, wie ihn z. B. die Europäische Kommission veröffentlicht hat, Innovationen für eine erschwingliche Gesundheitsfürsorge und die Verringerung der digitalen Kluft. Die hohe Relevanz dieser Themen ist auf einen Blick sichtbar. Die Klimafrage drängt, die Pandemie teilt die Weltbevölkerung in Menschen mit und ohne Zugang zu Impfstoffen und verbessert/verschlechtert die Lebenschancen derer mit/ohne Zugang zu Internet und guter Ausstattung mit technischen Geräten. Diese Herausforderungen ließen sich laut Mazzucato mit einem missionsorientierten Ansatz angehen, keinesfalls jedoch mit dem herkömmlichen Wirtschaftsdenken, das Profitmaximierung vor die Bewältigung gesellschaftlicher Probleme stellt.

Mariana Mazzucatos Verdienst ist, die zentrale Rolle des Staates in Fragen der Wirtschaftspolitik analysiert und grundlegende Vorschläge zu einer besseren Governance erarbeitet zu haben. Die Corona-Pandemie und die Klimakrise zeigen die Notwendigkeit von praxisorientierter Wirtschaftspolitik auf. Um komplexe Probleme lösen zu können, braucht es einen besser funktionierenden Staat, Good Governance und ein Wirtschaftssystem, das dem Gemeinwohl dient und nicht kurzfristigen Profitinteressen.

All jene, die die Zukunft gestalten, nach den Sternen greifen oder schlicht eine Idee haben wollen, wie wir die großen Fragen der Zeit angehen können, sei Mazzucato ans Herz gelegt. Sie zeigt plastisch, strukturiert und praxisnah, wie man sich an politökonomische Fragestellungen annähern kann und wie scheinbar unerreichbare Ziele angegangen werden können. Ihre Ausführungen sind so übersichtlich aufgebaut, dass sie beinahe als Handbuch gelesen werden können, sie nennt ihre Thesen selbst „Werkzeuge“ zur Veränderung des Kapitalismus. Genug Vorschläge dahingehend beinhaltet es.

Mariana Mazzucato wird am 9. Dezember 2021 um 18 Uhr mit dem Kurt Rothschild Preis für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnet. Aufgrund der Corona-Situation findet die Verleihung online statt. Mit diesem Link können Sie an der Veranstaltung teilnehmen.

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