Migrantinnen aus der Türkei – 50 Jahre an Versäumnissen

10. August 2015

Fünfzig Jahre sind seit dem Anwerbeabkommen zwischen Österreich und der Türkei vergangen. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen türkischer Herkunft ist vergleichsweise niedrig geblieben, was oft mit kulturellen Faktoren erklärt wird. Tatsächlich sind jedoch politische Versäumnisse dafür in hohem Ausmaß dafür verantwortlich.

Bei Zuwanderinnen aus Ländern wie Afghanistan, Tschetschenien oder auch Syrien, wo Frauen auch heute kaum  Bildungschancen haben, stellen sich die gleichen Probleme. Die politische Herausforderung, diesen Frauen eine Chance auf Arbeitsmarktintegration zu sichern, hat somit nichts an Aktualität verloren.

Im Vergleich zu anderen MigrantInnengruppen ist die Lage der türkischen Frauen prekär: Sie haben eine niedrigere Erwerbsbeteiligung, geringere Bildung, höhere Arbeitslosigkeit und arbeiten überwiegend in prekären und a-typischen Hilfs- und Anlerntätigkeiten, mit dementsprechend geringen Erwerbseinkommen.

Nur 43 % der Frauen mit türkischem Migrationshintergrund im Haupterwerbsalter (15 bis 64 Jahre) sind erwerbstätig. Bei Frauen ohne Migrationshintergrund lag der Anteil 2012 mit 70% weit darüber, aber auch Frauen aus dem EU-Raum und dem ehemaligen Jugoslawien sind mit 67% bzw. 60% deutlich stärker in den Arbeitsmarkt integriert.

Abbildung 2: Anteil der erwerbstätigen Frauen im Haupterwerbsalter

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Quelle: Statistik Austria in Integrationsfonds: migration & integration, Schwerpunkt: Frauen, 2013/14 , S 19

Ähnlich ist die Situation bei den Selbständigen, wie eine Studie von L&R Sozialforschung zeigt. 29% der Wiener Selbstständigen hat Migrationshintergrund. Der Frauen-Anteil ist bei allen Gruppen geringer als bei den Männern, dennoch haben Frauen türkischer Herkunft mit 25,3% den niedrigsten Wert.

Ungleiche Chancen beginnen schon im Herkunftsland

Die Faktoren für die geringe Erwerbsbeteiligung sind vielfältig, So hat das frühere Gastarbeitersystem bis heute Auswirkungen. Die ersten angeworbenen GastarbeiterInnen aus der Türkei waren größtenteils Männer, während die Frauen über die Familiengemeinschaft nach Österreich geholt wurden. Sie kamen überwiegend aus dem ländlichen Raum, wo bezahlte Beschäftigung von Frauen außerhalb des Haushaltes und Hofs nicht üblich war.

In der Türkei selbst zeigt sich bei der Teilhabe am Erwerbsleben immer noch eine große Kluft zwischen Männern und Frauen . Der Anteil der erwerbstätigen Frauen ist seit 2000 von einem ohnehin niedrigen Niveau von 31,2% bis 2010 auf 24% gesunken (!) , obwohl die türkische Wirtschaft in den letzten Jahren hohe Wachstumsraten verzeichnet. Ein bedeutender Grund für die geringe Beschäftigung von Frauen in der Türkei ist, dass der überwiegende Teil der unbezahlten Arbeit wie Kinder- und Altenbetreuung von Frauen übernommen wird. In der Türkei mangelt es an Betreuungsangeboten für Kinder und nur 0,5% der alten Menschen werden in einer Pflegeeinrichtung betreut. Es fehlt also an politischen Unterstützungsmaßnahmen zur Stärkung der bezahlten Erwerbstätigkeit für Frauen.

Hemmnis rechtliche Zugangsbeschränkungen

Auch die bis ins Jahr 2000 bestehenden rechtlichen Zugangsbeschränkungen zum Arbeitsmarkt wirkten sich negativ auf die Beschäftigung von AusländerInnen aus. Familienangehörige von ZuwandererInnen aus Drittstaaten hatten bis 2006 nur eingeschränkten Zugang. Ab dann bekamen sie nach einem Jahr Niederlassung das Recht auf einen Arbeitsmarktzugang. Erst seit Mai 2011 haben sie ohne Wartezeit uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt.

Auch in anderen Bereichen bestanden Hindernisse für eine höhere Erwerbstätigkeit. So wurden in Wien (und vielen anderen Gemeinden) bei der Vergabe von Krippenplätzen Kinder von erwerbstätigen Eltern bevorzugt. War ein Elternteil zu Hause – in der Regel die Mütter – wurde es bei Engpässen schwierig, einen Betreuungsplatz zu bekommen. Davon waren Frauen mit türkischer Herkunft aufgrund ihrer niedrigen Erwerbsquote besonders stark betroffen, was einen Einstieg in den Arbeitsmarkt erschwerte.

Schlechte Bildungssituation schmälert Arbeitsmarktchancen

Zuwanderinnen aus der Türkei haben oft ein sehr geringes Bildungsniveau. Zwar verbessert sich die 2. Migrantinnengeneration gegenüber ihren Eltern, trotzdem sind junge Frauen mit türkischer Herkunft stärker von Schulabbrüchen betroffen. Sie sind auch häufiger in Sonderschulen zu finden. Damit haben sie schon im Vorfeld eine schlechtere Ausgangspositionen, Arbeit zu finden – geschweige denn, eine gut bezahlte. Damit fällt auch der Motivationsfaktor für eine Erwerbstätigkeit, den eine gute bezahlte Arbeit darstellt, weg.

Ein wesentlicher Grund für die schlechte Bildungssituation von Menschen mit türkischem Migrationshintergrund liegt im österreichischen Schulsystem. Der sozioökonomische Status der Eltern und deren Bildungsniveau hat hierzulande extrem hohen Einfluss auf die Bildungskarrieren der Kinder. Anders gesagt: das Bildungsniveau wird bei Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in hohem Ausmaß vererbt.

Zudem verstärken auch Diskriminierungserfahrungen in der Schule und die öffentliche Darstellung von türkischen Frauen das Bewusstsein, „nicht dazuzugehören“. Das wiederum führt zum Rückzug in die eigene Community, die teilweise Vorstellungen von einem traditionellen Frauenbild anhängt.

Diskriminierung wesentlicher Faktor

Faktoren wie geringe Bildung, mangelnde Deutschkenntnisse oder fehlende Netzwerke spielen eine Rolle für die schlechte Positionierung von Frauen mit türkischem Migrationshintergrund am Arbeitsmarkt. Diskriminierung wird hingegen kaum thematisiert. Zwar schaffen es Frauen mit türkischem Migrationshintergrund immer häufiger in gute berufliche Positionen zu kommen, aber zahlreiche Studien belegen, dass sie oft systematischen Benachteiligungen ausgesetzt sind. Deswegen bleiben Positivbeispiele selten, die Nachfolgegeneration hat damit kaum Vorbilder oder qualifizierte Berufsnetzwerke.

Eine Studie des Sozialministeriums zur Diskriminierung durch ArbeitgeberInnen zeigte, dass Frauen aus dem ehemaligen Jugoslawien, der Türkei und sonstigen Drittländern stark von Lohndiskriminierung betroffen sind. Die niedrigsten Stundenlöhne erreichten Frauen mit türkischer Staatsangehörigkeit, was zum Teil mit einer schlechten Humankapitalausstattung (z.B. geringe Bildung) erklärt werden kann. Aber auch jene, die über Bildung, berufliche Fähigkeiten, Sprachen usw. verfügen, kommen seltener in höhere Positionen bzw. erreichen kaum ein höheres Einkommen.

Eine Analyse des Rekrutierungsverhaltens österreichischer Unternehmen  deutet ebenfalls auf eine deutliche Diskriminierung von Frauen nicht-österreichischer Herkunft hin. So war bei BewerberInnen mit (fiktiven) serbisch bzw. chinesisch klingenden Namen die Wahrscheinlichkeit zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden mit 28,2% und 27,1% um 10 Prozentpunkte niedriger als bei Personen mit österreichisch klingenden Namen; mit türkisch klingenden Namen lag die Wahrscheinlichkeit nur bei 25,3%. Am schlechtesten schnitten BewerberInnen ab, welchen nigerianische Herkunft zugeschrieben wurde: Weniger als jede fünfte Bewerbung (18,7%) führte zu einem Bewerbungsgespräch.

Auch hohe Bildungsabschlüsse schützen nicht vor Diskriminierung, wie eine Studie der Universität Wien zeigt.  Mehr als die Hälfte der AkademikerInnen ohne Migrationshintergrund arbeitet in akademischen Berufen. Hingegen beträgt dieser Anteil unter HochschulabsolventInnen mit türkischem Migrationshintergrund nur 24% und bei Personen mit ex-jugoslawischen  Migrationshintergrund 33,5%. Mit einem ausländischen Namen, guten deutschen Sprachkenntnissen und guter Qualifikation findet die zweite MigrantInnengeneration zwar leichter einen Job als Verkäuferin, seltener aber als Angestellte im öffentlichen Dienst oder als Ärztin.

Integration von Migrantinnen bleibt wichtige Aufgabe

Wie oben aufgezeigt ist die schlechte Arbeitsmarktposition von Frauen mit türkischem Migrationshintergrund mit einer Vielzahl an spezifischen Problemlagen zu erklären. Traditionelles Rollenverständnis in Familien einerseits und geschlechtsspezifische Ungleichheiten in der Gesellschaft andererseits, erschweren den Einstieg in den Arbeitsmarkt. Hinzu kommen Erwerbsunterbrechungen verursacht durch Migration und Kindererziehungszeiten und ein nicht immer leichter Zugang zur Kinderbetreuung. Aber auch die lange bestehenden rechtlichen Zugangsbeschränkungen am Arbeitsmarkt wirken sich heute noch aus.

Es gibt aber auch positive Entwicklungen: Frauen mit türkischem Migrationshintergrund, die den sozialen und beruflichen Aufstieg geschafft haben und in guten Positionen in Politik, Wissenschaft, Gesundheitswesen, Bildung und Kultur engagiert arbeiten. Sie sind Pionierinnen und Vorbilder für andere junge Frauen mit türkischem Migrationshintergrund. Dadurch entstehen auch neue Netzwerke in entsprechend besser qualifizierte Jobs.

Die zweite und mittlerweile auch schon dritte Generation der damaligen „GastarbeiterInnen“ strebt nach höheren Qualifikationen, gut qualifizierten Jobs und sozialem Aufstieg. Häufig scheitern sie aber an Diskriminierungen. Das sind nicht nur individuelle oder pauschale, sondern vor allem auch strukturelle Diskriminierungen wie beispielsweise die Zuweisung zu einer Sonderschule aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse oder die automatische Empfehlung einer Hauptschule anstatt des Gymnasiums.

Heute wandern immer mehr gut qualifizierte Frauen nach Österreich ein, gleichzeitig aber steigt die Zahl der Frauen aus Ländern mit geringen Bildungschancen für Frauen wie Afghanistan, Tschetschenien oder auch zum Teil aus Syrien.

Frauen sind wichtige Integrationsakteurinnen für Familie und Gesellschaft. Der Schlüssel für den beruflichen und sozialen Aufstieg ist eine Arbeit, von der sie leben können, um ein eigenständiges Leben führen zu können. Gerade für Frauen aus traditionellen Familienstrukturen kann Migration eine große Chance bedeuten, das Leben selbst zu gestalten und damit auch traditionelle Rollenbilder aufzubrechen.

Dafür ist es erforderlich die Probleme offen anzugehen. Die Versäumnisse der letzten 50 Jahre dürfen nicht wiederholt werden.

Dieser Artikel basiert auf dem Beitrag in: 50 Jahre türkische GAST (?)ARBEIT in Österreich, Ali Özbas, Joachim Hainzl, Handan Özbas (Hg.), Graz 2014

Literatur:

Berufseinstiege von AkademikerInnen mit Migrationshintergrund, Roland Verwiebe, Melek Hacioglu, Universität Wien, 3/2013, gefördert von Jubiläumsfonds der Stadt Wien für die ÖAW 2010, „Migration, kulturelle Diversität, Mehrfachidentität und Integration“; http://medienservicestelle.at/migration_bewegt/wp-content/uploads/2014/06/IBIB_Berufseinstiege_von_AkademikerInnen_mit_Migrationshitnergrund_Projektbericht_2014.pdf

Beschäftigungssituation von Personen mit Migrationshintergrund in Wien, A. Riesenfelder, S. Schelepa, P. Wetzel, L&R Sozialforschung im Auftrag der Kammer AK Wien, Juli 2011; http://www.arbeiterkammer.at/service/studien/arbeitsmarkt/Beschaeftigungssituation_von_MigrantInnen.html

Diskriminierung von „MigrantInnen am österreichischen Arbeitsmarkt; H.Hofer, G. Titelbach, D. Weichselbaumer, R. Winter-Ebmer, IHS und JKU im Auftrag des BMASK; http://www.sozialministerium.at/cms/site/attachments/0/0/9/CH2247/CMS1318326022365/diskriminierung_migrantinnen_arbeitsmarkt.pdf

Diskriminierung in Rekrutierungsprozessen verstehen und überwinden, Gudrun Biffl, Thomas Pfeffer, Friedrich Altenburg, März 2013 donau-Universität Krems; http://www.donau-uni.ac.at/imperia/md/content/department/migrationglobalisierung/forschung/biffl_2013_diskriminierung_rekrutierung.pdf

Migration & Integration, Schwerpunkt: Frauen, zahlen.daten.indikatoren. 2013/14, erstellt vom Österreichischen Integrationsfonds Wien 2014 – Statistik Austria; http://www.integrationsfonds.at/fileadmin/content/AT/Downloads/Publikationen/migration_integration_Schwerpunkt_Frauen_2013_14.pdf

Migrantische Ökonomien in Wien, Susi Schmatz, Petra Wetzel unter Mitarbeit von Georg Brandenburg, L&R Sozialforschung im Auftrag der Kammer für Arbeiter und Angestellte Wien, September 2013; http://wien.arbeiterkammer.at/service/studien/stadtpunkte/Migrantische_Oekonomien_in_Wien.html