Alle wollen zur Mittelschicht gehören – Frauen und Männer gleichermaßen. Allerdings unterscheiden sich die jeweiligen VertreterInnen ihres Geschlechts hinsichtlich Einkommen und Vermögen recht deutlich voneinander. Umgekehrt leben die beiden gern einmal in einem Haushalt zusammen, und dann wird oft beides gemeinsam genutzt. Kann man also überhaupt von einem Genderaspekt beim Thema Mittelschicht sprechen?
Allerdings! Die Wechselwirkungen zwischen Geschlecht und sozialer Schicht sind aber durchaus vielschichtig.
Mit anderen Menschen zusammenzuleben, ist trotz Single-Trend noch immer die Regel. Von den 8,6 Millionen Menschen in Österreich leben sieben Millionen in Haushalten mit anderen zusammen. Die Bandbreite reicht dabei vom Paar- oder Alleinerziehenden-Haushalt über Wohngemeinschaften bis hin zur Großfamilie. Die meisten Frauen und Männer leben also in einem Verband.
Gemeinsame Wirtschaft
Im Recht wird oft nicht von Haushalten, sondern von Wirtschaftsgemeinschaften gesprochen. Das ist sehr treffend, denn tatsächlich wird ja in den meisten Haushalten gemeinschaftlich gewirtschaftet: Ausgaben wie Miete und Strom werden gemeinsam beglichen, Lebensmittel gemeinschaftlich eingekauft und kleinere bzw. größere Anschaffung zusammen finanziert.
Was hat das alles mit dem Genderaspekt zu tun? Einiges. Frauen verdienen ja bekanntlich weniger als Männer. Sie als Einzelpersonen einer sozialen Schicht zuzuordnen, ist aber nur bedingt sinnvoll (gilt natürlich für Männer ebenso). Nehmen wir zum Beispiel die Ehefrau eines Topmanagers, die selbst nicht erwerbstätig ist. Als Individuum wäre sie mittelloses Prekariat. Allerdings eines, das in einer 200 m2 Wohnung lebt und möglicherweise mehr Geld für ein Kleidungsstück ausgibt, als einige ihrer Geschlechtsgenossinnen im Monat verdienen.
Das Umkehrbeispiel könnte eine Bankangestellte sein, die für Finanzanalyse zuständig ist. Trennt sie sich von ihrem Partner, kann das relativ hohe Einkommen schnell knapp werden, wenn sie als Alleinerziehende für ihre drei Kinder aufkommen muss. Die Beispiele zeigen: Erst im Zusammenhang von Haushalt (und Unterhalt) kann man vernünftigerweise von einer sozialen Schicht sprechen.
Inwieweit kann man dann also überhaupt etwas über das individuelle Merkmal Geschlecht in Zusammenhang mit der Mittelschicht sagen? Sicherlich bei der Frage des Einkommens. Denn ob Frauen einer Erwerbstätigkeit nachgehen und wie viel sie dabei verdienen, hat deutliche Auswirkung auf die soziale Situation, in der sich ein Haushalt befindet.
Fraueneinkommen als Isolierschicht zur Armutsgrenze
Reden wir einmal von der Abgrenzung der Mittelschicht nach unten. Darunter befinden sich – grob gesprochen – die Armutsgefährdeten. Ob man sich als Familie ober- oder unterhalb dieser Grenze findet, wird extrem stark von der Erwerbstätigkeit der Frau mitbestimmt. Erst recht, wenn Kinder da sind. Arbeitet nur einer von zwei Elternteilen, ist die Wahrscheinlichkeit, unter die Armutsgrenze zu rutschen, doppelt so hoch, wie wenn beide einem bezahlten Job nachgehen. Aus einer politischen Perspektive ist die Steigerung der Frauenerwerbsquote daher ein gutes Mittel zur Schaffung einer breiten Mittelschicht.
Nicht vergessen werden sollte dabei, dass die Frage nach der Zugehörigkeit zur Mittelschicht auch darüber entscheidet, ob Kinder unter relativ gesicherten materiellen Bedingungen aufwachsen oder nicht. In Österreich sind 380.000 Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren von Armut und Ausgrenzung betroffen. Wenn Frauenerwerbstätigkeit also Familienarmut deutlich reduziert, stimmt auch folgende Paraphrase: Eine Steigerung der Frauenerwerbsquote ist ein gutes Konzept zur Bekämpfung von Kinderarmut.
Der Gender Pay Gap – groß wie ein Haus
Allerdings verdienen Frauen bekanntlich im Schnitt deutlich weniger als Männer. Laut aktuellster Verdienststrukturerhebung beträgt dieser Nachteil 37 Prozent. Das sind fast 900 Euro brutto pro Monat. Das summiert sich über einen längeren Zeitraum betrachtet sehr anschaulich: Auf ein Lebenseinkommen gerechnet (bei Frauen im Schnitt 34,5 Jahre), sind das mehr als 400.000 Euro. Selbst wenn man das Einkommen netto umrechnet, würde sich ein hübsches Häuschen damit finanzieren lassen – was ein Indiz für die Zugehörigkeit zur Mittelschicht wäre.