Lobbying in der EU – Mehr Transparenz in Reichweite

13. Mai 2016

9.211. Das ist die Anzahl von Terminen, die alleine die EU-KommissarInnen, ihre Kabinette und GeneraldirektorInnen der Kommission seit Dezember 2014 mit LobbyistInnen wahrgenommen haben. Rund drei Viertel der Gespräche fanden mit VertreterInnen von Unternehmen oder Unternehmensverbänden statt. Nicht erfasst sind die vermutlich zehntausenden weiteren Gespräche, die LobbyistInnen mit den EU-KommissionsbeamtInnen der nachgelagerten Hierarchieebenen geführt haben. Somit wird die ganze Dimension des Lobbying in Brüssel erst nach und nach ersichtlich. Erst auf massivem Druck von ArbeitnehmerInnenvertretungen und der Zivilgesellschaft war die Kommission bereit, bei den Kontakten zu LobbyistInnen endlich mit offenen Karten zu spielen. Nun hat die Kommission Bereitschaft signalisiert, ein verbindliches Lobbyregister einzuführen.

Derzeit führt die Europäische Kommission eine Konsultation zur Einführung eines verbindlichen EU-Lobbyregisters durch. In dieser wird nicht nur die Frage aufgeworfen, ob ein verpflichtendes Reglement eingeführt werden soll, sondern auch wie das bestehende System der Lobbykontrolle verbessert werden kann. Noch für Ende dieses Jahres hat die Europäische Kommission einen neuen Vorschlag in Aussicht gestellt. Wie weitreichend die Reformen gehen, hängt auch maßgeblich von den Antworten aus dem Konsultationsprozess ab. Daher ist es wichtig, dass sich möglichst viele Stimmen in die Konsultation einbringen und Druck auf die europäischen EntscheidungsträgerInnen ausüben, die Dominanz des Einflusses der Unternehmen beim Lobbying in der EU zu beenden. Eine Teilnahme an der Konsultation ist noch bis 1. Juni 2016 möglich. Die Arbeiterkammer hat bereits einen Konsultationsbeitrag eingebracht, der für Interessierte abrufbar ist und auch als Vorlage verwendet werden kann.

Verpflichtendes Register – Die Chancen stehen gut

Das Europäische Parlament spricht sich schon seit Jahren für ein verpflichtendes Register aus, in der jüngeren Vergangenheit scheint auch die Europäische Kommission ihre Opposition bei dem Thema aufgegeben zu haben. Auch die VertreterInnen professioneller LobbyistInnen wie die European Public Affairs Consultancies Association (EPACA) und die Society of European Affairs Professionals (SEAP), treten (mittlerweile) für ein verpflichtendes Register ein. Sogar die Anwaltskanzleien, die sich seit Einführung des Transparenzregisters unter Verweis auf den Schutz ihr MandantInnen oftmals vehement gegen die Eintragung ins Register gewehrt haben, lenken nun ein: So forderte etwa jüngst im Rahmen einer öffentliche Debatte im EU-Parlament der Vertreter des Council of Bars and Law Societies of Europe ein verpflichtendes Register. Die Chancen, dass ein verpflichtendes Lobbyregister eingeführt wird, stehen damit so gut wie nie zuvor.

Bei Treffen mit der Kommission dominieren VertreterInnen der Unternehmen

Die Frage „verpflichtend oder freiwillig“ greift jedoch nicht weit genug. Die Dominanz des Lobbying von Unternehmen zeigt etwa eine aktuelle Auswertung von Transparency International zu den Treffen der Kommission mit LobbyistInnen. 75% der Treffen der Kommission fanden mit VertreterInnen der Unternehmensseite statt. Auch die Auswertung für Österreich (siehe Tabelle) zeigt: In der Liste der Top-10 jener Einrichtungen mit den meisten Terminen auf hoher Kommissionsebene dominieren große österreichische Unternehmen und ihre Vertretungen. Die derzeitigen Offenlegungspflichten greifen jedoch zu kurz, da nur die höchste Ebene der Kommission (KommissarInnen, deren Kabinette sowie GeneraldirektorInnen) erfasst sind. Dadurch sind etwa Lobbying-Termine mit dem TTIP-Verhandlungsteam der Kommission nicht von der Offenlegung erfasst. Wichtig wäre es daher, tatsächlich alle Termine von Kommissionsangestellten mit LobbyistInnen offen zu legen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Quelle: http://www.integritywatch.eu/lobbyist.html Anzahl der Kommissionstreffen gemäß Veröffentlichung der Europäischen Kommission, Anzahl der LobbyistInnen und Lobbybudgets: Eigenangaben gemäß Transparenzregister.

Fehlende Transparenz über Lobbytreffen im EU-Parlament und Rat

Die anderen Institutionen legen ihre Termine bislang noch nicht systematisch offen. Im EU-Parlament veröffentlichen zwar schon einige Abgeordnete freiwillig ihre Termine mit LobbyistInnen und Interessensvertretungen. Hierfür wurde mit Lobbycal auch ein Tool geschaffen, welches etwa die Abgeordneten der Grünen Fraktion im EU-Parlament verwendet. Jedoch bräuchte es auch hier einheitliche und verpflichtende Standards. Bezüglich des Rates hat eine aktuelle Auswertung von ALTER-EU betreffend die Transparenz der Ständigen Vertretungen deutlichen Handlungsbedarf offengelegt: Nur 4 der 28 Ständigen Vertretungen waren bereit, ihre Terminlisten (teilweise) offenzulegen – auch hier zeigte sich ein enormes Übergewicht von Treffen mit den UnternehmensvertreterInnen. Dies belegt den dringenden Handlungsbedarf auf Seiten des Rates und des Europäischen Rates, welche sich bislang an den Transparenzinitiativen von Kommission und EU-Parlament nicht beteiligt haben.

Dominanz des Lobbying durch Unternehmen beenden

Sollte sich aus den Offenlegungen auch in Zukunft ergeben, dass der Großteil der Termine mit VertreterInnen der Unternehmen stattfindet, gilt es seitens der europäischen EntscheidungsträgerInnen daraus Konsequenzen zu ziehen und die Zahl der Treffen mit LobbystInnen der Unternehmensseite insgesamt zu beschränken. Daher ist es wichtig, dass LobbyistInnen keine anderen versteckten Wege finden können, mit VertreterInnen der EU-Institutionen in Kontakt zu treten: Termine mit sämtlichen Bediensteten der Europäischen Kommission, EU-Agenturen, Europäischen Abgeordneten, ihren MitarbeiterInnen und BeamtInnen des EU- Parlaments, mit dem Präsidenten des Europäischen Rats, seinem Kabinett, dem Generalsekretariat des Rates sowie MitarbeiterInnen in den Ständigen Vertretungen sollten nur möglich sein, wenn die entsprechenden LobbyistInnen auch im Register eingetragen sind.

Die Einführung eines “legislativen Fußabdruckes”, der offenlegen würde, welche LobbyistInnen BerichterstatterInnen im EP getroffen haben und welche schriftliche Vorschläge sie den EU-MandtarInnen für ihre Arbeit als Gesetzgeber gemacht haben, fordert etwa EU-Abgeordneter Sven Giegold in seinem aktuellen Berichtsentwurf für den Verfassungsausschuss des EPs. Dieser Entwurf, mit weitreichenden Forderungen für mehr Lobbytransparenz, könnte noch im Juni oder im Herbst beschlossen werden.

Kontrolle, Sanktionen und personelle Ausstattung des Registersekretariats

Entscheidend für das Gelingen des Registers ist zudem die Richtigkeit und Relevanz der vorhandenen Daten. Diese soll interessierten BürgerInnen ein akkurates Bild darüber geben, welche Lobbyingaktivitäten gegenüber europäischen EntscheidungsträgerInnen stattfinden. Im Prinzip sind die im Transparenzregister abgefragten Informationen nach Lobbying-Aktivitäten, KlientInnen oder eingesetzten Finanzen durchaus weitreichend. Das Problem stellen vielmehr, die oftmals fehlenden, ungenauen oder fehlerhaften Angaben in den Einträgen dar, etwa ein Underreporting der Finanzen oder fehlende/ungenaue Angaben zu den vertretenen MandantInnen oder Tätigkeitsfeldern.

Das Registersekretariat von Kommission und EU-Parlament ist personell schwach ausgestattet. Dadurch fehlen Ressourcen, um die neuen Einträge inhaltlich zu kontrollieren, beziehungsweise eingegangene Beschwerden zeitnah zu überprüfen. 2015 hat Transparency International (TI) recherchiert, dass ein großer Teil der damaligen Einträge im Transparenzregister offensichtlich fehlerhaft war. 4.253 Einzelbeschwerden hat TI damals an das Registersekretariat übermittelt. Bislang wurde vom Registersekretariat nur ein Bruchteil der damaligen Beschwerdefälle überprüft. Bedenkt man das enorme Budget, das dem EU-Parlament und der Kommission jährlich zur Verfügung steht, sollte eine entsprechende personelle Ausstattung für eine so grundlegende und wichtige Aufgabe auf jeden Fall möglich sein. Einhergehen müsste diese mit konsequenten Sanktionen bei bewussten Falscheinträgen oder einer fehlenden Bereitschaft, aussagekräftige Informationen bereit zu stellen. Sollten in Zukunft Termine mit EntscheidungsträgerInnen nur mehr nach Eintrag in das Register möglich sein, wäre etwa auch eine (temporäre) Streichung aus dem Register eine durchaus abschreckende Sanktion.

Eine Teilnahme an der Konsultation der Kommission ist bis 1. Juni 2016 möglich.

Weiterführende Informationen:

Konsultationsbeitrag der Arbeiterkammer

Konsultationsbeitrag von ALTER-EU (in englischer Sprache)