Der in einer Hauruckaktion eingebrachte Initiativantrag von ÖVP und FPÖ, welcher unter anderem das Arbeitszeitgesetz ändert, hat auch massive Auswirkungen auf tausende Lehrlinge. In Zukunft wird der 12-Stunden-Tag für viele Lehrlinge über 18 Jahre zur traurigen Realität. In diesem Beitrag sollen die gesetzlichen Regelungen für Lehrlinge dargestellt beziehungsweise die Auswirkung der geplanten Änderungen analysiert werden.
Was versteht der Gesetzgeber unter Lehrlingsausbildung?
Unabhängig vom Alter des Lehrlings regelt das Berufsausbildungsgesetz, kurz BAG, die Ausbildung von Lehrlingen. Das Gesetz definiert Lehrlinge als Personen, die aufgrund eines Lehrvertrages zur Erlernung eines in der Lehrberufsliste angeführten Lehrberufes bei einem/einer Lehrberechtigten fachlich ausgebildet und im Rahmen dieser Ausbildung verwendet werden.
Schon die gesetzliche Definition zeigt ganz klar, dass die Hauptaufgabe der Lehrlingsausbildung (das Gesetz spricht von Berufsausbildung) das Erlernen eines Berufes ist. Daher ist das Lehrverhältnis auch als (befristetes) Ausbildungsverhältnis zu qualifizieren. Die Dauer der Lehrzeit kann zwischen zwei und vier Jahren betragen, abhängig davon welcher Beruf erlernt wird. Das Gesetz sieht auch ausdrücklich als Ziel der Berufsausbildung vor, dass die festgelegten Berufsausbildungen auf qualifizierte berufliche Tätigkeiten vorbereiten und die dazu erforderlichen Kompetenzen vermitteln sollen. Man spricht von dualer Ausbildung, da circa 80 Prozent der Ausbildung im Betrieb und circa 20 Prozent in der Berufsschule stattfindet.
Wie ist die Arbeitszeit für Lehrlinge geregelt?
Grundsätzlich finden sich die Regelungen zur Berufsausbildung im BAG und gelten für alle Lehrlinge unabhängig vom jeweiligen Alter. Das BAG sieht zusätzlich vor, dass die Vorschriften des Arbeitsrechts unberührt bleiben, soweit das BAG nicht ausdrücklich anderes bestimmt.
Da das BAG aber keine Regelungen über die Arbeitszeit vorsieht, kommt daher für Lehrlinge grundsätzlich das Arbeitszeitgesetz, welches nun geändert werden soll, zur Anwendung. Als Spezialgesetz sieht aber das Bundesgesetz über die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen, kurz KJBG, Sonderregelungen für die Beschäftigung von Jugendlichen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, vor. So regelt das KJBG hinsichtlich der Arbeitszeit, dass Überstunden für Jugendliche grundsätzlich verboten sind. Das heißt, dass Jugendliche nicht über die geregelte tägliche und wöchentliche Arbeitszeit von 8 bzw. 40 Stunden hinaus arbeiten dürfen. Eine Ausnahme sieht das KJBG dahingehend vor, dass die Möglichkeit besteht, Jugendliche für Vor- und Abschlussarbeiten heranzuziehen, wenn zwingende betriebliche Gründe vorliegen. Da im Initiativantrag das KJBG nicht geändert werden soll, bleiben diese Regelungen für Jugendliche beziehungsweise Lehrlinge bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres bestehen.
Für Lehrlinge über 18 Jahre findet mangels spezieller gesetzlicher Regelung das Arbeitszeitgesetz, kurz AZG, Anwendung.
Was bedeutet die Neuregelung für Lehrlinge über 18 Jahre?
Sollte die Gesetzesänderung wie geplant mit 1.1.2019 in Kraft treten, werden Lehrlinge über 18 Jahre von allen Änderungen (12-Stunden-Tag bzw. 60-Stunden-Woche), die der Initiativantrag vorsieht, betroffen sein. Bezüglich Überstunden sieht die Neuregelung des § 7 Abs. 1 AZG vor, dass in der Woche bis zu 20 Überstunden bei Vorliegen eines erhöhten Arbeitsbedarfes zulässig sind. Obwohl, wie oben dargestellt, das KJBG nur für Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gilt, sieht § 1 Abs. 1a eine Sonderbestimmung für Lehrlinge vor, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Hier wird festgelegt, dass bei Überstunden für die Berechnung des Grundlohns und des Überstundenzuschlags von Lehrlingen über 18 Jahren der bzw. das niedrigste im Betrieb vereinbarte Facharbeiterlohn bzw. Angestelltengehalt heranzuziehen ist. Daher besteht die Gefahr, dass Lehrlinge über 18 Jahre vermehrt zu Überstunden herangezogen werden, da diese „billiger“ sind als von anderen ArbeitnehmerInnen. Da aber Ziel der Lehrlingsausbildung das Erlernen eines Berufes ist, scheint es fraglich, was ein Lehrling in der 11. oder 12. Stunde lernen soll, was er nicht in der normalen Arbeitszeit hätte lernen können. Vom pädagogischen Standpunkt aus betrachtet wird ab der 8. Stunde kein Lernertrag mehr erzielbar sein; diese über die 8. Arbeitsstunde hinausgehende Zeit dient wohl in erster Linie dazu, billige und noch dazu geförderte Arbeitskräfte zur Verfügung zu haben.
Weiters kommt eine Verschlechterung für Lehrlinge über 18 Jahre in Gast-, Schank- und Beherbergungsbetrieben zum Tragen. Hier sieht zukünftig das Arbeitsruhegesetz, kurz ARG, vor, dass ArbeitnehmerInnen in Küche und Service bei geteilten Diensten die tägliche Ruhezeit auf mindestens 8 Stunden verkürzt werden kann. Der ab 1. Mai gültige Kollektivvertrag für das Hotel- und Gastgewerbe sieht für das erste Lehrjahr eine Lehrlingsentschädigung von 720 Euro vor. Einen Lehrberuf im Tourismus zu erlernen, wird damit noch unattraktiver, weil inklusive der An- und Abfahrtszeit zum Arbeitsplatz Arbeitszeiten entstehen, die nicht einmal mehr Zeit für ausreichend Schlaf gewährleisten.
Wie viele Lehrlinge sind über 18 Jahre alt?
Da keine genauen Erhebungen über das Alter von Lehrlingen vorliegen, aber das Durchschnittsalter bei Lehrbeginn bei 16,2 Jahren liegt, lässt sich daraus schließen, dass fast alle Lehrlinge im dritten Lehrjahr das 18. Lebensjahr vollenden bzw. schon 18 Jahre alt sind. Rechnet man zu dieser Zahl noch die Lehrlinge im vierten Lehrjahr hinzu sowie den Teil der Lehrlinge, die im zweiten Lehrjahr schon 18 werden, so kommt man zu dem Ergebnis, dass rund 40.000 Lehrlinge vom 12-Stunden-Tag- Gesetz betroffen sind.
Müssen Lehrlinge überhaupt Überstunden machen?
Eigentlich sollte das nicht der Fall sein. Da Lehrlinge eine Berufsausbildung absolvieren, steht die Ausbildung im Vordergrund. Wie aber der Lehrlingsmonitor 2017/2018 zeigt, müssen Lehrlinge sehr wohl Überstunden machen. Dass Überstunden nichts mit Freiwilligkeit zu tun haben, zeigt unter anderem folgendes Ergebnis: Unfreiwillige Überstunden müssen vor allem in den Bereichen Tourismus und Freizeitwirtschaft, im Handel sowie im Gewerbe und Handwerk geleistet werden. Im Tourismus müssen zum Beispiel 68 Prozent der Lehrlinge Überstunden leisten, davon 29 Prozent unfreiwillig. Weitere 39 Prozent müssen Überstunden leisten, die manchmal freiwillig, aber häufig auch unfreiwillig sind. Die Beratungspraxis zeigt, dass bei unfreiwilligen Überstunden von Seiten des Betriebs oftmals mit Einschüchterung und Androhung der Auflösung des Lehrvertragsgedroht wird. Dass für Lehrlinge unter 18 Jahren ein Überstundenverbot besteht, ändert leider nichts daran, dass auch jugendliche Lehrlinge in der Praxis Überstunden machen müssen.
Ungefähr ein Drittel der Lehrlinge muss im Laufe der Lehrzeit Überstunden leisten, wobei jeder dritte Lehrling nur manchmal oder überhaupt nie eine Entlohnung für geleistete Überstunden bekommt.
Wie werden Unternehmen gefördert, die Lehrlinge ausbilden?
Für so gut wie jedes Lehrverhältnis wird in Österreich eine Förderung aus dem Insolvenzausgleichsfonds gewährt. Zuständig für die Förderungen sind die Lehrlingsstellen der Wirtschaftskammern. Neben einer Vielzahl von Förderungen kann für jeden Lehrling nach Abschluss eines Lehrjahres eine sogenannte Basisförderung beantragt werden. Diese beträgt für das erste Lehrjahr drei kollektivvertragliche Bruttolehrlingsentschädigungen, für das zweite Lehrjahr zwei kollektivvertragliche Bruttolehrlingsentschädigungen sowie für das dritte bzw. vierte Lehrjahr jeweils eine kollektivvertragliche Bruttolehrlingsentschädigung.
Fazit
Nicht nur dass Lehrlingen die Mitsprache im Betrieb durch die Abschaffung des Jugendvertrauensrates entzogen werden soll, so werden in Zukunft auch rund 40.000 Lehrlinge über 18 Jahre vom 12-Stunden-Tag betroffen sein. Da für diese Gruppe von Lehrlingen die Regelungen des AZG beziehungsweise ARG gelten, können sie bis zu 20 Überstunden in der Woche leisten. Überstunden widersprechen aber dem Grundgedanken der Berufsausbildung, da Lehrlinge einen Beruf erlernen sollen und nicht als geförderte billige Arbeitskräfte eingesetzt werden dürfen. Dass Lehrlinge, obwohl sie in einer Ausbildung stehen, zu Überstunden herangezogen werden, zeigt auch das Ergebnis des Lehrlingsmonitor 2017/2018. Es ist zu befürchten, dass viele Lehrlinge in Zukunft als billige Arbeitskräfte ausgebeutet werden.