Lehramtsstudium in Österreich – Eine Frage der sozialen Herkunft?

16. November 2017

Die soziale Durchmischung unter den Lehramtsstudierenden hängt in Österreich stark von der besuchten Ausbildungseinrichtung ab: So studieren deutlich mehr Personen ohne höheren Bildungshintergrund an Pädagogischen Hochschulen (PHs) als in den Lehramtsstudien an Universitäten. Welche Herausforderungen ergeben sich aus diesen Unterschieden für die PädagogInnenbildung Neu und wie kann die soziale Durchmischung durch die neue Ausbildung beibehalten und verbessert werden?

Viele BildungsaufsteigerInnen im Lehramt – besonders an PHs

Lange Zeit galt der Lehrberuf als einer jener Berufe, der sozialen Aufstieg versprach und auch von vielen Menschen aus sozial benachteiligten Schichten angestrebt wurde. Eine Sonderauswertung der Studierenden-Sozialerhebung 2015 zeigt: Dieses Muster gilt zwar nach wie vor, jedoch nicht für alle Lehramtsstudien gleichermaßen. Während österreichweit 36% aller Studierenden AkademikerInnen-Kinder sind, sind es unter den Lehramtsstudierenden an Universitäten mit 31% etwas weniger – an Pädagogischen Hochschulen sogar nur 19%. Im Uni-Lehramt haben jedoch viele Studierenden Eltern mit mind. Matura-Abschluss (63%), während dieser Anteil bei PH-Studierenden wiederum geringer ausfällt (47%). Anders ausgedrückt: Das Uni-Lehramt kann als klassisches Mittelschichtsstudium bezeichnet werden, PH-Studierende haben hingegen einen deutlich „niedrigeren“ elterlichen Bildungshintergrund.

Unterschiede in der sozialen Durchmischung bestehen jedoch nicht nur zwischen den Hochschulsektoren, auch innerhalb der PH unterscheiden sich die Fächer deutlich. So haben im PH-Volksschullehramt 53% der Studierenden Eltern mit zumindest Matura, im Mittelschullehramt sind es 44% und im Lehramt für Berufsschulen und berufsbildende mittlere und höhere Schulen (BMHS) sind es nur 32%. Besonders das Berufsschul-/BMHS-Lehramt bietet also vielen Personen einen Bildungsaufstieg. Diese sind durchschnittlich deutlich älter, kommen besonders häufig über den zweiten Bildungsweg (z.B. über eine Berufsreifeprüfung) an die PHs und nennen berufliche Umorientierung und Weiterbildung als zentrale Studienmotive.

Hoher Frauenanteil, niedriger Migrationsanteil

Insgesamt stellt die Lehramtsausbildung insbesondere für Frauen einen stark genutzten Bildungsweg dar: Während der Frauenanteil unter allen Studierenden österreichweit 55% ausmacht, ist jener unter Lehramtsstudien mit 64% an Universitäten und 78% an PH deutlich höher. Der mit Abstand höchste Frauenanteil lässt sich mit 90% im PH-Volksschullehramt beobachten.

Für Studierende mit Migrationshintergrund ist das hingegen keineswegs der Fall, sie sind in Lehramtsstudien sogar unterdurchschnittlich vertreten – sowohl mit 4,5% im Uni-Lehramt als auch an PHs mit 4,3% (österreichweit: 5,5%). Insbesondere Studierende aus erster Zuwanderungsgeneration (d.h. diejenigen, die selbst nicht in Österreich geboren sind) sind unterrepräsentiert.

Lehramtsstudierende häufig mit Studium unzufrieden

Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen den verschiedenen Lehramtsstudien ist eine sehr niedrige Studienzufriedenheit: Im Vergleich mit anderen Studienrichtungen gehören PH- als auch Uni-Lehramtsstudierende zu den unzufriedensten. Besonders niedrige Zufriedenheit besteht z.B. mit der Organisation und Struktur des Studiums. Ein aufschlussreicher Unterschied zeigt sich jedoch auch hier: Während mit 23% der Uni-Lehramtsstudierenden nur sehr wenige mit dem Praxisbezug im Studium zufrieden sind, ist es unter PH-Studierenden eine eindeutige Mehrheit (72%).

Welche Herausforderungen bringt die PädagogInnenbildung Neu?

Ein PH-Studium, das aufgrund der Neuregelung durch die PädagogInnenbildung Neu von besonderem Interesse ist, ist das PH-Mittelschullehramt. Denn dieses wird es in bisheriger Form nicht mehr geben, da seit Wintersemester 2016 alle LehrerInnen der Sekundarstufe gemeinsam ausgebildet werden – im Rahmen eines an Universitäten und PHs gemeinsam eingerichteten Studiums. Diese neue Verschränkung mit den Unis bedeutet auch umfassende Änderungen wie z.B. längere Studienzeiten und neue Curricula.

Es stellt sich dabei die Frage, wie sich dies auf die soziale Zusammensetzung der Studierenden und damit auf die zukünftigen LehrerInnen auswirken wird. Denn bisher konnten durch das PH-Mittelschullehramt deutlich stärker Personen ohne höheren Bildungshintergrund angesprochen werden als durch das Uni-Lehramt. So haben PH-Mittelschullehramtsstudierende seltener Eltern mit höherem Bildungsabschluss als Uni-Lehramtsstudierende, zudem kommen sie deutlich häufiger über den zweiten Bildungsweg an die Hochschule (13% zu 3%), haben häufiger Migrationshintergrund und verfügen seltener über eine AHS-Matura als Uni-Lehramtsstudierende. Zu den Gründen dafür zählt wohl, dass ein PH-Studium stärker als spezifische Berufsausbildung mit Praxisbezug wahrgenommen wird, die Studienzeit bisher kürzer war, PHs zum Teil regional zugänglicher sind sowie berufsbegleitendes Studieren ermöglichen.

Wie kann den Herausforderungen begegnet werden?

Die Zusammenführung der Studiengänge für die Sekundarstufe bringt jedoch nun die Gefahr, dass diese Stärke des PH-Mittelschullehramts – die höhere soziale Durchmischung – verloren gehen könnte. Bei der Umsetzung der neuen Studiengänge muss daher ein bewusster Schwerpunkt darauf gelegt werden, die jeweiligen bisherigen Stärken der Unis und PHs zu nützen. Damit soziale Diversität unter den zukünftigen LehrerInnen beibehalten und verstärkt werden kann, braucht es eine Reihe an steuernden Maßnahmen:

Dazu zählt die Entwicklung berufsbegleitender Angebote auch an Universitäten sowie attraktive Angebote für QuereinsteigerInnen. Auch der intensivere Praxisbezug der PHs sollte stärker in die neuen Studiengänge einfließen. Darüber hinaus braucht es ein umfassendes Angebot an Lehrveranstaltungsplätzen, um Planungssicherheit für Studierende zu schaffen und unnötige Studienzeitverzögerungen zu verhindern. Last but not least müssen junge Menschen mit Migrationshintergrund gezielt angesprochen und für den Lehrberuf motiviert werden.

Entwicklungen beobachten, reagieren und aktiv gestalten!

Eine weitere Herausforderung ist ein potenzieller LehrerInnenmangel in naher Zukunft, da einerseits mit einer Pensionierungswelle unter LehrerInnen, andererseits zunächst mit einem Rückgang der HochschulabsolventInnen aufgrund der nun längeren Studiendauer zu rechnen ist. Auch deswegen braucht es eine baldige Evaluierung der neuen LehrerInnenausbildung – mit Fokus auf die Studierendenzahlen sowie die soziale Zusammensetzung der Studierenden. Nur so kann möglichen Problemen wie einem Mangel an AbsolventInnen oder einer Verschlechterung der sozialen Durchmischung möglichst schnell entgegensteuert werden.

Die momentane Situation – ein hoher Bedarf nach neuen LehrerInnen in naher Zukunft – kann jedoch auch als Chance ergriffen werden. Durch aktive Steuerungsmaßnahmen und das gezielte Ansprechen junger Menschen für ein Lehramtsstudium könnten mehr Personen mit nicht-traditionell akademischem Hintergrund für den Lehrberuf gewonnen werden. Dies würde dazu führen, dass es in Zukunft mehr positive Role Models für Kinder und Jugendliche gibt und sich die Vielfalt unserer Gesellschaft in den Schulen widerspiegelt – nicht nur unter den SchülerInnen, sondern auch unter den Lehrerinnen!

Sonderauswertung der Studierenden-Sozialerhebung 2015 zu Lehramtsstudierenden