Krankenstände konstant niedrig – psychische Leiden nehmen zu!

11. August 2014

Schon seit Jahren sind die Krankenstände auf konstant niedrigem Niveau – weniger als zwei Wochen sind Österreichs Arbeitnehmer_innen pro Jahr krank geschrieben. Zwei Entwicklungen fallen bei der Analyse der Krankenstandsdaten auf – zum einen die starke Konzentration der Krankenstände auf wenige Versicherte und der enorme Anstieg der psychischen Erkrankungen um beinahe das Dreifache in den letzten zehn Jahren. Zeit- und Termindruck gelten als Hauptursache für psychische Belastungen. Ein Umdenken ist daher gefragt – Betriebe müssen wirksame Maßnahmen ableiten, die den Druck auf die Beschäftigten stark verringern.

 

Weniger als zwei Wochen krank

Im Durchschnitt bewegen sich die Krankenstände der Arbeitnehmer_innen schon seit Jahren auf konstant niedrigem Niveau. So waren bspw. die bei der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse (OÖGKK) versicherten Beschäftigten im Jahr 2013 durchschnittlich 13,4 Kalendertage krankgeschrieben. Umgerechnet entspricht dies etwa 9,5 Arbeitstagen. Insgesamt waren österreichweit die unselbständig Erwerbstätigen im Vorjahr 37.689.294 Tage im Krankenstand, verteilt auf 3.699.746 Krankenstandsfälle. Das entspricht einem durchschnittlichen Krankenstand von 13 Tagen pro Erwerbstätigen_r. Die Krankenstandsquoten differieren zum Teil auf regionaler Ebene – Salzburg ist das Bundesland mit den geringsten Fehlzeiten (10,5 Tage 2012). Die niederösterreichische (14,6), die Wiener und Oberösterreichische Gebietskrankenkasse (beide 13,4) verzeichneten die höchsten Krankenstände. Einen Teil dieser regionalen Unterschiede kann die Wirtschaftsstruktur erklären, wie zu erwarten haben Bundesländer mit einem ausgeprägten industriellen Schwerpunkt, wie bspw. Oberösterreich, höhere, solche mit einem großen Dienstleistungssektor tendenziell niedrigere Krankenstandszahlen, so die Ergebnisse des Fehlzeitenreports des Jahres 2013 (vgl. S. IV). Die Anzahl der Krankenstandstage ist von 1994 bis 2004 um drei Kalendertage gesunken. Im vorigen Jahr waren die Beschäftigten zum zehnten Mal in Folge weniger als zwei Kalenderwochen im Krankenstand. Seit einem Jahrzehnt kam es hier kaum zu Veränderungen. Diese Tendenz ist von Oberösterreich auf ganz Österreich umzulegen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Positive Krankenstandsstatistik ist mit Vorsicht zu genießen

Die Entwicklung der Krankenstände ist ein wichtiger gesundheitspolitischer Indikator. Allerdings spiegelt dieser nicht automatisch das gesundheitliche Wohlbefinden der Arbeitnehmer_innen wider. So können sich etwa die zunehmende Bereitschaft, krank arbeiten zu gehen (Präsentismus), sowie frühzeitige Austritte aus dem Erwerbsleben von Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen vorteilhaft auf die Krankenstandsstatistik auswirken. Dabei sollte der Fokus viel eher auf die Präsentismus-Häufigkeit gelenkt werden, als auf die verkürzte Sicht der Krankenstände. Will man über das gesundheitliche Wohlbefinden im Betrieb etwas wissen, so sollte man mehr auf die Gesundheit der Anwesenden achten. Laut der Studie „Krank in der Arbeit: Prävalenz und Determinanten von Präsentismus“ an der Johannes Kepler Universität (JKU) in Linz kann die Gesundheit der Beschäftigten demnach zu 21 Prozent durch Präsentismus und lediglich zu acht Prozent durch die Inzidenz von Krankenständen erklärt werden. In Österreich gehen beinahe 40 Prozent der Arbeitnehmer_innen auch krank zur Arbeit, so das Ergebnis des Arbeitsgesundheitsmonitors im Jahr 2014. Weniger krankheitsbedingte Fehltage im Betrieb bedeuten noch lange keinen gesamtwirtschaftlichen Nutzen. Diesem stehen nämlich hohe Kosten im Gesundheits-, Sozial- und Pensionssystem gegenüber.

Starke Konzentration auf wenige Versicherte

Bei genauerer Betrachtung der Inzidenz von Krankenständen fällt deutlich auf, dass mehr als ein Drittel der Beschäftigten nie im Krankenstand war bzw. ist. 35 Prozent der Versicherten in Oberösterreich waren 2013 nie im Krankenstand. 30 Prozent waren lediglich einmal krank. Fünf Prozent der Versicherten verursachten die Hälfte aller Krankenstandstage. Es sind demnach chronisch und schwer Kranke Personen, die einen Großteil der Krankenstandstage ausmachen. Diese Krankenstandstage verhindern und bestmöglich präventive Maßnahmen zu ergreifen ist das Gebot der Stunde.

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Würde die Anzahl der Krankenstandstage um die Gruppe der schwer Kranken bereinigt werden, so würde pro Arbeitnehmer_in lediglich eine Arbeitswoche Krankenstand pro Jahr anfallen.

Psychische Erkrankungen in zehn Jahren um beinahe das Dreifache gestiegen

Erschöpfungszustände und Depressionen (oft als „Burn-Out“ bezeichnet) nehmen stetig zu. Die Anzahl der Krankenstandstage, die aus psychischen Leiden resultieren, hat sich im Beobachtungszeitraum von 2003 bis 2013 fast verdreifacht. Frauen weisen eine deutlich größere Anzahl an Fehltagen aufgrund psychischer Erkrankungen auf als Männer. Die oberösterreichischen Arbeitnehmer_innen blieben 2003 aufgrund von psychischen Erkrankungen 269.445 Tage ihrer Arbeit fern, im Jahr 2013 bereits 758.153 Tage. Auch die Krankenstandsfälle haben sich seither verdoppelt.

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Die drastische Zunahme der Krankenstände aufgrund psychischer Erkrankungen ist die bei weitem auffälligste Entwicklung im Krankenstandsgeschehen. Erstmals macht diese Krankheitsgruppe schon mehr als zehn Prozent an allen Krankenstandstagen aus.

Ein durchschnittlicher Krankenstand aufgrund einer psychischen Erkrankung dauerte im vergangenen Jahr 41 Tage. Im Vergleich dazu dauert ein durchschnittlicher Krankenstand beim klassischen grippalen Infekt lediglich fünf Tage. Generell lässt sich sagen, dass innerhalb des rückläufigen Krankenstands die psychischen Erkrankungen als Ursache für Arbeitsunfähigkeit einen immer größeren Raum einnehmen. Dabei stagnieren die Muskel-Skelett Erkrankungen schon seit über 20 Jahren auf konstant hohem Niveau. Hier zeichnet sich keinerlei Rückgang ab.

Zeitdruck als Hauptursache für psychische Belastungen

Die großen Megatrends der modernen Arbeitswelt, die Informatisierung, die Globalisierung, die Ökonomisierung und die Tertiärisierung haben zu einer signifikanten Beschleunigung der betrieblichen Ablaufstrukturen geführt. Produkte werden kund_innenspezifisch und in immer kürzeren Innovationszyklen zur Verfügung gestellt. Markt- und Wettbewerbsorientierung haben erheblich zugenommen. Die innerbetriebliche Organisation gibt diese Rahmenbedingungen bspw. in Form von markt- und produktspezifischen Business Units und operativer Ergebnisverantwortung wider. Change Prozesse wie Fusionen, Übernahmen, Teilverkäufe, Personalabbau oder Expansionen und Outsourcing stehen auf der täglichen Agenda.

Korrespondierend dazu: Zeitdruck in der Arbeit gilt als die Hauptursache für psychische Belastungen von Arbeitnehmer_innen. 40 Prozent der Beschäftigten, die unter Zeitdruck stehen, weisen mehrfache psychische Belastungen auf. Bei 21 Prozent hat dieser bereits zu starken psychischen Beeinträchtigungen geführt. Stress und psychische Belastungen in der Arbeitswelt haben stark zugenommen, weil immer weniger Beschäftigte mehr Aufgaben schneller und in besserer Qualität erbringen müssen.

29 Prozent aller Beschäftigten in Österreich gelten bereits als „psychisch höher belastet“, zehn Prozent davon als „sehr hoch“, so das Ergebnis des Arbeitsgesundheitsmonitors. Dabei gelten Stressempfinden/Druck, Demotivation, Unfähigkeit abzuschalten, Depressivität, Gefühl der Erschöpfung und Überlastung, Gereiztheit und das Gefühl der Sinnleere als psychische Belastungsfaktoren.

Eine kürzlich europaweit durchgeführte Meinungsumfrage verdeutlicht die Meinungen von Arbeitnehmer_innen bezüglich arbeitsbedingtem Stress in Europa:

–          72 Prozent der Arbeitnehmer_innen sehen in Change-Prozessen oder durch drohende Arbeitsplatzverluste häufige Gründe für arbeitsbedingten Stress.

–          66 Prozent schieben Stress den geleisteten Stunden oder der Arbeitsbelastung zu.

–          59 Prozent sehen die Ursache von Stress darin, inakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing oder Belästigung ausgesetzt zu sein.

–          51 Prozent gaben an, dass arbeitsbedingter Stress an ihrem Arbeitsplatz häufig auftritt.

–          Rund vier von zehn Arbeitnehmer_innen sind der Ansicht, dass Stress an ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt wird.

Erwerbstätigenbefragungen zeigen übereinstimmend die zunehmende Bedeutung der im Regelfall als beeinträchtigend wahrgenommenen psychischen Belastung für die Arbeitnehmer_innen: Etwa die Hälfte der Befragten sagt, dass Zeit- und Leistungsdruck sowie Störungen und Unterbrechungen – zentrale Dimensionen in der Arbeits- und Gesundheitsforschung – ihren Arbeitsalltag kennzeichnen.

Stress kostet

Stress ist das zweithäufigste arbeitsbedingte Gesundheitsproblem in der Europäischen Union. 51 Prozent der Arbeitnehmer_innen meinen, dass arbeitsbedingter Stress an ihrem Arbeitsplatz häufig sei, so die gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz in Europa bei der Arbeit 2013. (vgl. S. 19)

Stressbedingte Erkrankungen vernichten nicht nur die individuelle Gesundheit, sondern kosten laut Berechnungen des Wirtschaftsforschungsinstituts (vgl. S. 137) 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder 3,3 Mrd. Euro jährlich. Die Gesamtkosten, die durch psychische Erkrankungen in der EU, sowohl arbeitsbedingt als auch anderweitig verursacht werden, belaufen sich auf jährlich 240 Mrd. Euro, so das European Network for Workplace Health Promotion. (vgl. S. 5)

Ein Umdenken ist gefragt

Während es einen weitgehenden gesellschaftlichen Konsens darüber gibt, dass psychische Belastung mit dem Wandel der Arbeit zunimmt, mangelt es teilweise an erfolgreichen betrieblichen Strategien im Umgang mit dieser Thematik. Bislang gibt es immer noch sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber was unter „psychischer Belastung“ zu verstehen ist. Entgegen der arbeitswissenschaftlichen Fachwelt ist dieser Begriff vielfach negativ konnotiert und tabuisiert. Immer dann, wenn in Unternehmen psychische Belastungen mit psychischen Störungen oder fälschlicherweise mit individuellen Problemen in Verbindung gebracht werden, gilt es, dies zunächst zu überwinden.

Verhaltens- oder verhältnispräventive Maßnahmen können zur Vermeidung oder Minimierung von physischen und psychischen Belastungen maßgeblich beitragen. Dabei setzt die Verhaltensprävention bei der der Förderung von Gesundheitskompetenz und gesundheitsgerechtem Verhalten am Individuum an. Maßnahmen zur Vermittlung von Bewältigungstechniken, wie bspw. Anti-Stress-Trainings zählen dazu. Solche verhaltensbasierte und das jeweilige Individuum betreffende Maßnahmen können nur dann erfolgreich sein, wenn sich an der arbeitsbedingten Belastung, wie Führungsstil, Unternehmenskultur oder der Arbeitsorganisation, also an den Verhältnissen, ebenso etwas ändert. Generell gilt: Verhältnisprävention geht vor Verhaltensprävention!