Kontrovers seit über 200 Jahren: die Impfpflicht

30. März 2021

Ein Blick in die Vergangenheit lässt erkennen, dass das Thema Impfpflicht beinahe so alt ist wie die Erfindung der Impfung selbst.  Auch in Österreich wurde das Thema seit jeher heiß diskutiert und wurde schlussendlich auch eine Zeit lang rechtlich realisiert. Eine Tatsache, die in Anbetracht der heutzutage eher negativen Konnotation dieses Themas kaum vorstellbar erscheint. Doch auch gesamteuropäisch betrachtet ist die Impfpflicht keine Seltenheit und wird in vielen Ländern praktiziert. Fraglich bleibt allerdings ihre Auswirkung auf die Durchimpfungsrate. Einerseits weisen nicht alle Länder mit Impfpflicht auch eine hohe Durchimpfungsrate auf, andererseits schaffen so manche Länder ohne Zwang eine vergleichbare oder sogar höhere Durchimpfungsrate.

Historische Entwicklung in Österreich

Seit über 220 Jahren wird in Österreich bereits geimpft. 1799 wurde in Österreich, zum ersten Mal in Kontinentaleuropa, die vom englischen Arzt Edward Jenner entwickelte Vakzination mit Kuh-Pocken erfolgreich erprobt (das Wort vaccination bzw Vakzin stammt im Übrigen vom lat. Begriff vacca = die Kuh ab). Edward Jenner war sich der Bedeutung seiner Entdeckung durchaus bewusst und verzichtete auf eine Patentierung, um auch der ärmeren Bevölkerung den Zugang zu einer Impfung zu erleichtern. Eine Entscheidung, die sich auch die Impfstoffentwickler der derzeit so wichtigen Corona-Impfstoffe zum Vorbild nehmen sollten.  

Bereits im Jahr 1800 wurden in Wien ersten Massenimpfungen gegen Pocken durchgeführt und offizielle Impfempfehlungen ausgesprochen. Kaiserin Marie-Theresia war eine wahre Impfpionierin, sie ließ drei ihrer eigenen Kinder gegen Pocken impfen und richtete die ersten „Impfstraßen“ für die Bevölkerung in Wien ein.  Eine allgemeine Impfpflicht wurde damals in Österreich – im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern – nicht eingeführt. Wer sich entgegen der Impfempfehlung nicht impfen ließ, musste allerdings teils empfindliche Nachteile wie etwa den Ausschluss aus Einrichtungen des Armenwesens oder den Entzug eines Stipendiums in Kauf nehmen.

Erst im Jahr 1938 wurde in Österreich erstmals eine Impfpflicht für Heeresangehörige eingeführt und auch eine Impfpflicht für die allgemeine Bevölkerung sollte folgen. Das Gesetz konnte allerdings nicht vor März 1938 und dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland verabschiedet werden. 1939 wurde schließlich mit der Einführung reichsrechtlicher Vorschriften in Österreich das deutsche Impfgesetz 1874  eingeführt, dieses sah eine Impfpflicht gegen Pocken für alle BürgerInnen vor.

Nach Kriegsende und im Zuge der Wiederherstellung des österreichischen Rechts auch auf dem Gebiet des Gesundheitswesens wurde 1948 schließlich eine allgemeine Impfpflicht der Bevölkerung gegen Pocken beschlossen. Begründet wurde die Einführung der Impfpflicht damit, dass die Sinnhaftigkeit einer solchen dem derzeitigen Stand der Wissenschaft entspräche und eine Rückkehr zur reinen Empfehlung wie vor 1939 ein Rückschritt wäre. Auch wollte man die bereits erreichte Immunisierung der Bevölkerung gegen Pocken sichern.

Im Oktober 1979 erklärt die WHO die Pocken als ausgerottet, die Impfpflicht wurde in Österreich daraufhin im Jahr 1980 abgeschafft. Seither gab es in Österreich keine allgemeine Impfpflicht mehr.

Aktuelle rechtliche Situation

Ein unfreiwilliger medizinischer Eingriff, zu dem auch eine verpflichtende Impfung zählt, verletzt zweifelsfrei die körperliche Integrität einer Person und stellt damit einen Eingriff in Art 8 EMRK dar. Doch der Schutz nach Art 8 EMRK ist nicht absolut, sondern steht – wie die meisten Menschenrechte – unter einem Eingriffsvorbehalt. Ein Eingriff in den individuellen Schutzbereich kann daher bei entsprechender Gefährdungsprognose durchaus nach Art 8 Abs 2 EMRK zum Schutz der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt sein. Die Verfassung steht einer verhältnismäßig ausgestalteten und nach Krankheiten differenzierenden gesetzlichen Impfpflicht somit grundsätzlich nicht entgegen.

So wurde etwa im Epidemiegesetz die Möglichkeit geschaffen, für Personen die u. a. in der Krankenbehandlung und der Krankenpflege arbeiten, Schutzimpfungen anzuordnen.

Von dieser Möglichkeit macht das steirische Krankenanstaltengesetz seit 2018 Gebrauch und schuf ein Zutrittsverbot für nicht geimpftes Personal sofern dies „aus medizinischen, hygienischen oder rechtlichen Gründen geboten ist“. Damit sollen vor allem PatientInnen auf intensivmedizinischen, chirurgischen Abteilungen oder in sonstigen (Hoch-)Risikobereichen vor einer möglichen gesundheitlichen Gefährdung durch das Krankenhauspersonal geschützt werden.

In anderen Landesgesetzen finden sich keine derartigen Regelungen. In der Praxis wird allerdings häufig bei der Neuaufnahme von Gesundheitspersonal der Impfstatus als Einstellungsvoraussetzung gefordert.

Kostenfreies Kinderimpfprogramm

Österreich versucht die Durchimpfungsrate insbesondere durch das kostenfreie Kinderimpfprogramm hoch zu halten. Und zwar so hoch, dass auch jene vulnerablen Gruppen, die aus gewissen Gründen nicht geimpft werden können, geschützt sind (sog. Herdenimmunität).  Impfungen, die im Programm enthalten sind, werden meist im Rahmen der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen oder bei Schulimpfaktionen verabreicht.

Dies gelingt in Österreich im Großen und Ganzen derzeit relativ gut, wenn auch die erforderliche Herdenimmunität nicht für jede impfbare Infektionskrankheit erreicht wird, wie sich am Beispiel der Masern zeigt. Um Herdenimmunität gegen die höchst infektiösen Masern zu gewährleisten, benötigt es beispielsweise eine Durchimpfrate von 95 %. Trotz Empfehlungen und kostenlosem Angebot liegt die Durchimpfrate gegen Masern bei den 2-5-Jährigen nur bei rund 88 %. Auch bei den 6-9-Jährigen liegt die Durchimpfrate nur bei knapp über 90 % (2. Impfdosis, Stand 2019). Eine Herdenimmunität ist daher nicht mehr in allen Altersgruppen vorhanden. Diese Tatsache spiegelt sich auch in den Infektionszahlen wider: So wurden im Jahr 2018 77 Masernfälle in Österreich gemeldet, im Jahr 2019 stieg die Zahl auf 151 Fälle.

Ein Blick auf Europa

Ein Blick auf die Impfpläne anderer europäischer Länder lässt schnell große Unterschiede erkennen. Laut dem ECDC (European Centre for Disease Prevention and Control) gibt es in 17 Ländern keine Impfpflicht, in 12 Ländern hingegen gibt es Impfplichten. Von diesen 12 Ländern besteht in 10 Ländern eine Impfpflicht für sogar 10 oder mehr Impfungen. In Belgien besteht die Impfpflicht bloß für eine Impfung (Polio) und in Malta für drei Impfungen (Diphtherie, Tetanus und Polio). Auffallend ist, dass viele Staaten Osteuropas eine sehr umfassende Impfpflicht haben. So gibt es in Ungarn und Polen etwa eine Impfpflicht gegen 11 Krankheiten (Tuberkulose, Diphtherie, Tetanus, Polio, Pertussis, Hib, Pneumokokken, Masern, Mumps, Röteln, Varizellen nur in Ungarn, Hepatitis B nur in Polen). Auch in Bulgarien, Kroatien, Tschechien, der Slowakei und Slowenien gibt es Impfpflichten ähnlichen Ausmaßes.

Aber auch in den westeuropäischen Ländern Italien und Frankreich wurde die Impfpflicht in den letzten Jahren deutlich – nämlich auf über 10 Impfungen – erweitert. 

Eine Definition von „Impfpflicht“ fehlt auf der Website der ECDC bedauerlicherweise. Daher ist der Vergleich der verschiedenen Länder mit Vorsicht zu betrachten, denn die jeweilige Definition von „Impfpflicht“ kann variieren. Klar ist, dass „Impfpflicht“ niemals bedeutet, dass Personen mit physischer Gewalt zur Impfung gezwungen werden. Die häufigste Konsequenz ist der Ausschluss aus Kinderbetreuungs- oder Schuleinrichtungen oder aus gewissen beruflichen Tätigkeiten. In Italien etwa dürfen Kinder, welche bis zum Alter von sechs Jahren nicht geimpft sind, nicht in Krippen, Kindergärten oder Vorschulklassen aufgenommen werden. Eltern von nicht geimpften, schulpflichtigen Kindern ab sechs Jahren müssen hohe Bußgelder zahlen.

Ähnlich auch in Deutschland. Dort müssen seit 1.3.2020 alle Kinder und Jugendlichen an Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas, Schulen, sowie BewohnerInnen von Gemeinschaftsunterkünften wie etwa Flüchtlingsheimen und die MitarbeiterInnen solcher Einrichtungen gegen Masern geimpft sein. Von der EDCD wird die Masernimpfung in Deutschland allerdings nicht als verpflichtend gelistet. 

Wie wirksam ist die Impfpflicht?

Ein Blick auf die Durchimpfrate im Jahr 2018 hinsichtlich der Schutzimpfung gegen Masern (2. Dosis) zeigt ein geteiltes Bild. Laut Daten der EDCD ist die Durchimpfrate mit 95 bis 100 Prozent in der Slowakei, Ungarn und Kroatien (jeweils mit Impfpflicht) sowie in Schweden, Island, Portugal und Malta (jeweils ohne Impfpflicht) am höchsten. Zu den Schlusslichtern mit einer Durchimpfrate von 0 bis 89 Prozent gehören Tschechien und Bulgarien (mit Impfpflicht), sowie Frankereich und Italien (mit erst kürzlich eingeführter Impfplicht) aber auch Belgien, die Niederlande und Österreich (ohne Impfpflicht).

Fazit

Seit es Impfungen gibt, gibt es deren BefürworterInnen und deren GegnerInnen und seit jeher ist das Thema Impfpflicht ein umstrittenes Thema. Impfpflicht ist, gesamteuropäisch betrachtet, keine außergewöhnliche Erscheinung. Fest steht einerseits, dass die meisten Länder mit Impfpflicht eine vergleichsweise hohe Durchimpfrate aufweisen (bezugnehmend auf Masernschutzimpfung). Andererseits gibt es Länder, die eine ebenso hohe Durchimpfrate aufweisen, ohne dass die Bevölkerung zur Schutzimpfung verpflichtet ist. Interessant wäre daher ein Blick auf die Impfstrategie dieser Länder. Denn Freiwilligkeit ist gewiss besser als Zwang, welcher nur die Ultima Ratio sein darf.