Killing the Financial Transaction Tax

05. August 2014

Bereits seit den 1980er Jahren kämpft eine wachsende Zahl von NGOs für die Einführung der Tobin Tax auf Devisentransaktionen. Gefordert wurde nach der Finanzkrise eine generelle Finanztransaktionssteuer (FTS) auf den gesamten Handel mit Finanzinstrumenten. Daraus entwickelte sich in wenigen Jahren eine große transnationale Kampagne, die nach ersten Erfolgen einen Rückschlag zu verzeichnen hat. Durch gezieltes Lobbying der Finanzindustrie wird es in absehbarer Zeit wohl keine gemeinsame FTS in EU-Ländern geben.

Im Herbst 2011 schlug die Europäische Kommission (EK) die Einführung einer solchen Steuer in der EU noch vor. Da insbesondere Großbritannien dies ablehnte, sollte die Steuer (zunächst) in 11 EU-Ländern im Rahmen der „verstärkten Zusammenarbeit“ eingeführt werden, im Februar 2013 legte die EK einen entsprechenden Entwurf vor. Dagegen startete die Finanzlobby eine konzertierte Kampagne, um das Projekt derart zu diskreditieren. Mit Erfolg.

Wie konnte das geschehen und was lässt sich daraus lernen?

Rekapitulieren wir zunächst die drei Phasen im Kampf um die FTS. Im Februar 2008 stellt das WIFO das Konzept einer generellen Finanztransaktionssteuer (FTS) vor. Sie sollte das schnelle Trading mit sämtlichen Instrumenten, insbesondere auch Derivaten, mit einem Steuersatz zwischen 0,1% und 0,01% belasten und so destabilisierende Spekulation eindämmen. Die nachfolgende Finanzkrise und eine beispiellose Kampagne durch alle wichtigen NGOs und kirchlichen Organisationen gaben der Idee starken Rückenwind, laut „Eurobarometer“ wurde sie bereits im November 2010 von 61% der EU-Bevölkerung unterstützt.

Die Politik blieb nicht unbeeindruckt: Merkel änderte ihre Position zugunsten der FTS, Sarkozy versuchte das Konzept der G20 zu „verkaufen“, das EU-Parlament stimmte mit großer Mehrheit für die Steuer. Hauptgegner waren die Ökonomen von IWF und EU-Kommission, in mehreren Studien verwarfen sie die Idee einer FTS. Im September 2011 erfolgte die Kehrtwende der Kommission: Sie stellte selbst ein Konzept für die Einführung einer generellen FTS in der gesamten EU vor.

Die zweite Phase im Kampf um die FTS war vom Versuch geprägt, die politischen Hauptgegner der Steuer, insbesondere Großbritannien, für eine – eventuell modifizierte – FTS zu gewinnen. Nach dessen Scheitern entschlossen sich 11 Staaten, darunter Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und auch Österreich, die FTS im Rahmen der „verstärkten Zusammenarbeit“ einzuführen, die EU-Kommission legte im Februar 2013 ein entsprechendes Konzept vor, nun sollte die Umsetzung erfolgen.

In der dritten Phase wurde das Projekt innerhalb weniger Monate demoliert. Während (auch) die Finanzlobby vom ersten Kommissionsentwurf völlig überrascht wurde, hatte sie sich diesmal perfekt vorbereitet. Kaum war der neue Entwurf publiziert, hagelte es Studien der Forschungsabteilungen der „Finanzalchemiebanken“ (von Goldman Sachs bis Deutsche Bank), welche verheerende Folgen einer FTS behaupteten. Offenbar zuvor koordiniert, konzentrierten sich die Bombardements auf drei Bereiche.

Repo-Markt, Staatsfinanzierung und nationale Interessen als Kampffelder

Erstens, die FTS würde den in der EU besonders großen Repo-Markt vernichten. Dies löste in manchem Ministerbüro Schocks aus, weil man sich in diesem Bereich nicht recht auskannte. Hatte man etwa was Bedeutendes übersehen?

Keineswegs – doch die Finanzlobby nützte die Unsicherheit der Politik am Repo-Terrain, und so gelang der große Bluff. Dabei ist die Sache einfacher als die „finanzalchemistische Insidersprache“ vorgibt (CDS, ABS, MBS, Repo, etc.): Mit Repos beschaffen sich Banken kurzfristig (zumeist „overnight“) Mittel, indem sie Wertpapiere (zumeist Staatsanleihen) als Sicherheit verkaufen und sich verpflichten, sie bei Kreditrückzahlung zurückzukaufen („repurchasing aggreement“). Repos sind somit Begleiterscheinung der schnellen Spekulation, deren Eldorado Europa wurde (in den USA sank das Transaktionsvolumen bis 2013 auf „nur“ das 80-fache des BIP, in Europa stieg es auf das 120-fache!). Ihre Besteuerung entspricht dem Zweck einer FTS. Doch der Bluff der Finanzlobby gelang, die Politik ließ sich verunsichern.

Zweitens, die FTS würde – auch wegen der Repos – die Finanzierung der Staaten verteuern. Dieses Argument ist zwar falsch, weil ja nur das Trading, nicht aber das Holding von Anleihen belastet wird, bei einem Flächenbombardement zählt aber Menge, nicht Qualität. Und die Finanzlobby wusste genau: Mit der Behauptung, die FTS würde die Zinsen für Staatsanleihen erhöhen, nahmen sie einen besonders wunden Punkt der Finanzminister gezielt unter Beschuss.

Drittens, mit einer Reihe von Behauptungen wurden die Befürworter gegeneinander ausgespielt, sowie diese gegen die EU-Kommission. Insbesondere zwischen Deutschland und Frankreich wurde ein Spalt getrieben: Mit der FTS würde Deutschland einen Teil des französischen Steueraufkommens zu sich umlenken, französische Banken würden durch die FTS gegenüber deutschen Banken benachteiligt, etc.

Dass Frankreich und Italien in der Zwischenzeit eine jeweils eigene FTS eingeführt hatte, erleichterte das „Auseinanderdividieren“: Frankreich möchte generell die Derivate ausnehmen, Italien die Staatsanleihen, dann würde aus der FTS eine Börsenumsatzsteuer auf Aktien – sie würde nix bringen und ausgerechnet nur die am wenigsten destabilisierenden Transaktionen belasten.

Goldman Sachs an vorderster Front

Besonders dreist trug das Research Department von Goldman Sachs (GS) seine Attacke auf die FTS vor. Am 1. Mai 2013 veröffentlichte es die Studie „Financial Transaction Tax: How severe?“ mit folgenden Aussagen:

  • Allein jene 42 Banken, deren Transaktionen ausgewertet wurden (basierend auf einer eigenen, der Öffentlichkeit unzugänglichen Datenbank von GS), würden 170 Mrd. € an FTS zu bezahlen haben, mehr als fünf Mal so viel wie von der EK für alle Finanzinstitute geschätzt.
  • Am stärksten würden französische und deutsche Banken durch eine FTS belastet, BNP Paribas müsste 168% ihres Gewinns an FTS abführen, die Deutsche Bank 362% und Natixis 423%. Sie alle würden durch die FTS somit tief in die Verlustzone getrieben.
  • Die gälte in abgeschwächter Form auch für italienische und spanische Banken, auch wenn sich diese stärker auf das Kundengeschäft konzentrieren.

Wie kommt GS auf die Horrorzahlen? Ganz einfach, man entwickelt ein Schätzverfahren, das den Rückgang des (schnellen) Trading als Folge der FTS unberücksichtigt lässt (die EK nimmt an, dass Transaktionen mit Derivaten um 75% sinken). GS nennt dies den „pro-forma-approach“. Wie sehr dies die Schätzung der FTS-Kosten überschätzt, zeigt das Extrembeispiel Großbritanniens: Dort lag das Volumen der Transaktionen schon 2010 beim 563-fachen des BIP, eine FTS in Höhe von 0,1% würde nach der „pro-forma-Methode“ einen Ertrag von 56,3% des BIP erbringen.

Ein anderer „Trick“ der GS-Studie besteht darin, eine „effective tax rate“ zu ermitteln, indem der tatsächliche Steuersatz (0,1% im Fall von Repos) mit der Transaktionshäufigkeit multipliziert wird. Analog läge der „effektive MWST-Satz“ in Österreich bei 18.000%, wenn man annimmt, dass jemand an den ca. 300 Werktagen 3 Mal 20% MWSt bezahlt (300*3*20).

Die GS-Studie wechselt die Methode nach Belieben, um eine maximale Schädlichkeit der FTS zu dokumentieren. Wenn es etwa darum geht, die Kosten für Börsen zu schätzen, wird nicht der „pro-forma-approach“ verwendet, sondern jener Rückgang der Transaktionen unterstellt, den auch die EK angenommen hat.

Und schließlich behauptet die GS-Studie, dass die FTS 14% der kapitalgedeckten Altersvorsorge abschöpfen würde. Um dieses Resultat zu erreichen, müssen die Berechnungen gleich in dreifacher Hinsicht manipuliert werden.

Fazit

Mit ihrem „dirty campaigning“ gelang es der Finanzlobby zwischen März und Juni 2013 ein Projekt zu demolieren, für das die Zivilgesellschaft jahrelang gekämpft hatte, das von einer großen Mehrheit im EU-Parlament und in der Bevölkerung selbst unterstützt wird, und für dessen Durchsetzung sich besonderes die Regierungen der beiden führenden EU-Länder, Deutschland und Frankreich, stark gemacht hatten. Noch nie wurde so eindrucksvoll demonstriert, wie Demokratie funktioniert in Zeiten der Finanzalchemie.

Seit einem Jahr wird in Verhandlungen zwischen den 11 Ländern der Retourgang eingelegt: Der „big-bang-approach“ der Europäischen Kommission (“all institutions, all markets, all instruments”) wurde entsorgt, stattdessen möchte man die Steuer in Etappen einführen, beginnend mit Aktien und Anleihen. Es sollen also genau jene Transaktionen zuerst besteuert werden, die am wenigstens destabilisieren und für Pensionsfonds und Privatanleger die größte Bedeutung haben. Damit würde das Desaster mit der schwedischen Transaktionssteuer wiederholt. Danach kann man das ganze Projekt beerdigen.

Angesichts der Absurdität der von der Finanzlobby gegen die FTS vorgebrachten Argumente wäre allerdings auch eine „Generalmobilmachung“ der Zivilgesellschaft für die FTS denkbar. Diese müsste gezielt die (geänderte) Position Frankreichs ins Visier nehmen. Dass ausgerechnet ein sozialistischer Präsident die Interessen der französischen Banken mit den Interessen Frankreichs gleich setzt und Europa auf der Strecke bleibt, ergänzt das Bild von Politik und Demokratie im Zeitalter des Finanzkapitals.

Dieser Beitrag basiert auf dem ausführlicheren Working Paper „The struggle over the Financial Transactions Tax – a politico-economic farce“.