Warum werden Investitionen in die Stromnetzinfrastruktur aufgeschoben?

04. September 2015

Die sichere und leistbare Versorgung mit Energie ist eine wesentliche Grundvoraussetzung für wirtschaftliches Handeln. Mit rund 2% der inländischen Bruttowertschöpfung (2012) ist die Versorgung mit elektrischer Energie, Gas und Wärme gleichzeitig ein wichtiger Wirtschaftssektor. Dementsprechend bedeutet sind Entwicklungen in diesem Bereich auch für die Gesamtwirtschaft. Über 7 Milliarden Euro an Investitionen allein in die Stromnenetzinfrastruktur waren bis 2020 geplant. Zuletzt haben die Energieversorgungsunternehmen ihre Investitionsplanung jedoch deutlich zurückgefahren. Kraftwerksprojekte werden aufgrund der geringen Strom-Großhandelspreise unrentabel, aber auch dringend notwendige Investitionen in die Netzinfrastruktur werden verschoben. Warum eigentlich?

Investitionen in die Netzinfrastruktur sind notwendig

Insbesondere im Stromnetz sind es, neben dem zunehmenden Verbrauch und notwendigen Ersatzinvestitionen, neue Herausforderungen die Investitionen erforderlich machen. Neue Anlagen müssen nicht nur angeschlossen werden, der rasche Ausbau Erneuerbarer Energien führt auch zu einer zunehmenden Belastung der bestehenden Netze. Auf der Hochspannungsebene fehlt nach wie vor der schon lange erforderliche 380KV-Ringschluss in Salzburg. Regionale Netze müssen ausgebaut werden, um die ständig zunehmende Windenergie sowie neue Wasser- und Pumpspeicherkraftwerke aufnehmen zu können. Um mit den neuen Gegebenheiten, wie dezentraler Einspeisung und stark schwankender Stromproduktion umgehen zu können, setzt man zudem auf „Smart Grids“. Mithilfe von intelligenten bzw. kommunikationsfähigen Netzen soll die vorhandene Energie effizienter genutzt – und die Versorgungssicherheit gewährleistet werden. Durch verbesserte Netzinfrastruktur können regionale Ungleichgewichte, also Stromüberschüsse oder -defizite leichter ausgeglichen werden ohne, dass man auf zusätzliche Erzeugungskapazitäten zurückgreifen muss.

Inländische Wertschöpfung & Beschäftigung

Darüber hinaus haben Investitionen in die Energieversorgung auch unmittelbare Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung. Zum Teil direkt, weil Arbeit anfällt, aber auch indirekt durch die Anschaffung von Materialien. Gerade im Bereich der Netzinfrastruktur ist dabei der Anteil heimischer Wertschöpfung überdurchschnittlich hoch. So schätzt die TU-Graz den Anteil inländischer Wertschöpfung bei dem aktuell größten Netzinfrastrukturvorhaben, der 380KV-Salzburgleitung auf rund 80%. In der im Auftrag des Übertragungsnetzbetreibers APG erstellten Studie beziffert sie außerdem den Beschäftigungseffekt mit rund 5.000 neuen, also zusätzlichen Arbeitsplätzen.

Geplante Investitionen

Die Regulierungsbehörde E-Control schätzte die zwischen 2013 und 2020 nötigen Investitionen auf rund 8,7 Milliarden Euro. – Das entspricht jährlich rund 0,3% des Bruttoinlandsproduktes. 1,5 Milliarden Euro wurden bereits in den Jahren 2013 und 2014 investiert. Doch nun sind die Netzbetreiber zurückhaltend, Investitionen finden nicht statt, verzögern sich oder werden aufgeschoben. Mittlerweile geht man nur mehr von einem Gesamtvolumen von weniger als 5,6 Milliarden Euro aus. Dementsprechend reduzieren sich positive Wachstums- und Beschäftigungseffekte. Dabei wären gerade in der aktuellen Situation, bei schwacher Konjunktur und Rekordarbeitslosigkeit solche Impulse wichtig.

Woher kommt das Geld für den Netzausbau?

Die Netzinfrastruktur stellt ein natürliches Monopol dar, die Benützungsgebühr unterliegt daher nicht dem Wettbewerb sondern wird reguliert. Netzbetreiber melden ihre Betriebs- und Investitionsausgaben an die Regulierungsbehörde E-Control. Diese prüft die Ausgaben und legt die Netzkosten fest. Anhand der errechneten Gesamtkosten und unter Berücksichtigung von Effizienzabschlägen werden dann die Netztarife der VerbraucherInnen und Erzeugerfestgelegt. Die Netzbetreiber erhalten dafür eine finanzielle Abgeltung in Form einer Verzinsung des eingesetzten Kapitals. Die Kosten für Investitionen in die Netzinfrastruktur werden also nicht durch öffentliche Mittel, sondern direkt von den StromverbraucherInnen sowie zu einem kleinen Teil von den Erzeugern getragen.

Warum sind die Netzbetreiber mit Investitionen zunehmend zurückhaltend?

Langwierige Verfahren

Bei einzelnen Projekten lassen sich die Investitionsverzögerungen durch aufwändigen und oft langwierigen Genehmigungsverfahren erklären. Aktuelles Beispiel dafür ist die vom Übertragungsnetzbetreiber, APG geplante 380kV-Salzburgleitung. Mit einem Investitionsvolumen von über 600 Millionen Euro ist dies aktuell die größte Einzelinvestition im Netzbereich. Für die neu geplanten 128 Leitungskilometer sowie für die Aufrüstung bestehender Trassen sind entsprechend umfassende Genehmigungsverfahren notwendig. – Und sie dauern deutlich länger als erwartet. So läuft das UVP-Verfahren in diesem Fall bereits seit mehr als 3 Jahren.

Smart Meter binden Kapital

Bis 2019 müssen in Österreich 95 Prozent der EndverbraucherInnen (Haushalte, Gewerbe, Landwirtschaft) mit einem „Smart Meter“ ausgestattet werden. Für Netzbetreiber bedeutet dies dass rund 5,4 Millionen Zähler angeschafft und eingebaut werden müssen. Dazu kommt, dass die nötige Informationsinfrastruktur geschaffen werden muss, um die Daten der Smart Meter auch transportieren und verarbeiten zu können. Damit ist in den kommenden Jahren Investitionskapital in Milliardenhöhe einzig und allein an die Einführung an die Smart Meter gebunden.

Sinkende Umsätze, anhaltend hohe Dividenden

Der rasche Zubau Erneuerbarer Energie insbesondere in Deutschland und der gleichzeitig stagnierendem Stromverbrauch hat zu einem massiven Verfall der Strombörsepreise geführt. Er ist seit 2011 um rund 40% (Grundlastpreis) und seit 2008 sogar um mehr als die Hälfte (-53%) zurückgegangen. Im Juli 2015 betrug der Preis für Grundlaststrom an der deutschen Strombörse damit 35,2 Euro pro MWh, 2011 waren es noch 51,1 Euro. Für die Betreiber von geförderten Photovoltaik-, Windkraft- oder Biomasseanlagen spielt das keine Rolle. Sie bekommen in Form der Föderung einen Fixpreis je MWh. Für andere Stromerzeuger gilt das nicht, sie vermarkten ihren Strom über die Börse bzw zu „börsenahen“ Preisen. Diese Entwicklung macht bestehende thermische Kraftwerke zunehmend unrentabel. Allein der Verbundkonzern hat für das Gaskraftwerk Mellach in den Jahren 2011 bis 2013 eine bilanzielle Wertminderung von fast 450 Mio. Euro durchgeführt. Aber auch die Wien Energie hatte 2013 außerplanmäßige Abschreibungen von ca. 280 Mio. Euro zu verzeichnen.

Strombörsepreis für Grund- & Spitzenlast in €/MWh

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Für die Energiekonzerne setzt sich Umsatz grob formuliert aus den Komponenten Preis x Menge zusammen. Aufgrund der seit 2008 permanent sinkenden Preise, lassen sich in den Geschäftsberichten der österreichischen Energiekonzerne daher laufend auch sinkende Umsätze ablesen. So sind die Umsätze der 10 österreichischen Energiekonzerne von in Summe 17,9 Mrd. Euro im Jahr 2012 in nur zwei Jahren um beinahe ein Fünftel auf rund 14,7 Mrd. Euro im Jahr 2014 zurückgegangen.

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Eine Kennzahl, um die Ertragskraft der anlagenintensiven Energieunternehmen zu messen, ist das EBITDA. Es steht für „Earnings Before Interest, Tax, Depreciation and Amortization“ und misst die operative Ertragskraft ohne Berücksichtigung der unbaren Abschreibungen. Die Kennzahl nähert sich dem operativen Cashflow und kann daher auch zeigen, wie viel Geld für Investitionen, die Tilgung von Schulden, die Bezahlung der Steuern und die Eigentümer (anhand von Dividenden) übrig bleibt.

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Die Tabelle veranschaulicht, dass die EBITDA-Werte in den Jahren 2012 und 2013 in Summe noch konstant bei etwa 2,9 Mrd. Euro lagen. Im Jahr 2014 gab es jedoch einen Einbruch um über 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Als Folge der sinkenden Ertragskraft wurden die Investitionspläne der österreichischen Energieunternehmen an die geänderten Rahmenbedingungen am Strommarkt angepasst. Nicht angepasst wurden jedoch die Dividendenausschüttungen. Von den zehn Energiekonzernen hat 2015 lediglich der Verbund weniger ausgeschüttet als in den Vorjahren. Alle anderen Energiekonzerne haben zumindest stabil gehalten, während drei Energiekonzerne (Energie Steiermark, TIWAG und Salzburg AG) ihre Dividendenausschüttungen sogar noch erhöht haben. In Summe haben die Energiekonzerne im Jahr 2015 (auf Basis der Jahresergebnisse 2014) etwa 385,5 Mio. Euro an ihre EigentümerInnen ausgeschüttet.

Finanzierung

Die finanziellen Rahmenbedingungen sind zurzeit eigentlich nicht so schlecht. Die schwache Konjunktur und die Zinspolitik der europäischen Zentralbank sollten eine relativ günstige Finanzierung über den Kapitalmarkt ermöglichen. Daneben bieten die Europäische Entwicklungsbank (EIB) sowie der Europäische Fonds für strategische Investitionen (EFSI) Finanzierungsmöglichkeiten an. Die Tatsache, dass die Finanzierung von Netzinvestition über das Regulierungsregime de facto staatlich garantiert ist und es sich um dementsprechend sichere Investitionen handelt scheint jedoch nicht 1:1 auf die die Fremdfinanzierungskosten durchzuschlagen.

Regulierung

Auf der anderen Seite werden den Unternehmen die Netzinvestitionen im Rahmen der Regulierung mit großzügigen Kapitalkosten in Höhe von 6,42% p.a. abgegolten (Zinssatz vor Steuern, gewichtet im Verhältnis 60:40; 4,72% auf Fremd- & 8,96% auf Eigenkapital). Allerdings orientiert sich dieser Zinssatz an Durchschnittswerten der Vergangenheit. Da in der kommenden Regulierungsperiode das aktuelle, niedrige Zinsniveau (für Fremdkapital) durchlagen wird, müssen die Netzbetreiber für die Zukunft mit einer geringeren Abgeltung kalkulieren. Gleichzeitig besteht für Sie aktuell ein starker Anreiz in Anlagen mit kurzen Abschreibedauer zu investieren.

Maßnahmen für mehr Investitionen

Die zunehmen Investitionszurückhaltung der Stromnetzbetreiber ist also auf mehrere, multidimensionale Faktoren zurückzuführen, die je nach Netzebene und Betreiber unterschiedlich ins Gewicht fallen. Dementsprechend muss auf mehreren Ebenen angesetzt werden um die notwendigen Investitionen sicherzustellen zu können:

  • Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die jahrelange Genehmigungsverfahren verhindern. Sie sind ein wesentlicher Grund für die aktuellen Bauverzögerungen. Die EU-Infrastrukturverordnung gibt hier schon eine Richtschnur vor. Dabei müssen die berechtigten Interessen Betroffener bereits frühzeitig berücksichtigt werden und es gilt für ausreichende administrative Kapazität bei den zuständigen Behörden zu sorgen. Verbindliche Grenzwerte können den Schutz auf hohem Niveau sicherstellen und die Verfahren ebenso beschleunigen, wie eine Rahmenkompetenz des Bundes im Bereich der Raumordnung.
  • Die öffentliche Hand hat ihre Verantwortung als Eigentümer aktiv wahrzunehmen. Dies gilt für den Bund als Eigentümer der Verbund AG und damit des Übertragungsnetzbetreibers APG ebenso wie für die Bundesländer als Eigentümer der Landesversorger und damit der regionalen Netzbetreiber. Ein ausreichender Eigenkapitalpolster ist notwendig, um große Investitionsvorhaben durchführen zu können.
  • Um weitere Anreize für Netzinfrastrukturinvestitionen zu schaffen, müssen attraktive Finanzierungsmöglichkeiten für Netzinfrastrukturmaßnahmen genutzt (z.B. EIB Kredite) und gegebenenfalls ausgebaut werden.
  • Die verpflichtende Smart Meter Einführung in den kommenden Jahren bindet Investitionskapital in Milliardenhöhe. Dabei sind die inländischen Wertschöpfungseffekte insbesondere im Vergleich zu herkömmlichen Netzinvestitionen zu hinterfragen.
  • Im Rahmen der Netzregulierung ist für ausreichende und langfristig kalkulierbare Investitionsanreize zu sorgen.