Gute Klimapolitik geht über den Emissionshandel hinaus

28. Januar 2021

Das Instrument des Emissionshandels hat in der europäischen Klimaschutzdebatte eine herausragende Stellung inne, verspricht es doch, die politisch gesetzten Klimaziele zu minimalen Kosten verlässlich zu erreichen. Eine Fokussierung auf den Emissionshandel kann jedoch effektiven und gerechten Klimaschutz hemmen.

Mit dem Pegel der Weltmeere steigt auch die Dringlichkeit für entschlossenes klimapolitisches Handeln. Manche Akteure fordern deshalb, strukturelle Treiber der Klimakrise zu beseitigen. Im umweltökonomischen Diskurs jedoch werden diese transformativen Forderungen häufig mit dem Verweis auf das Europäische Emissionshandelssystem (EU-EHS) abgewehrt.

Wie funktioniert das Europäische Emissionshandelssystem?

Für einen Emissionshandel wird festgelegt, welche Emissionen in einem bestimmten Zeitraum noch ausgestoßen werden dürfen. Es wird also eine Obergrenze für die Emissionen fixiert. Dann wird die entsprechende Menge an Zertifikaten ausgegeben. Emittenten müssen danach für jede ausgestoßene Tonne an Emissionen ein Zertifikat vorweisen, können diese aber untereinander handeln.

Der Handel von CO2-Zertifikaten hat zum Ziel, die politisch gesetzten Klimaziele zu minimalen Vermeidungskosten zu erreichen.

Das Europäische Emissionshandelssystem als Vorreiter

Die EU führte das EU-EHS 2004 auf Anraten von Ökonom*innen als weltweit ersten Emissionshandel ein. Dieser deckt bislang etwa 45 Prozent der europäischen Treibhausgasemissionen (hauptsächlich aus den Sektoren Energiegewinnung und Industrie) ab. Die Sektoren Straßenverkehr und Wärmeerzeugung sind bislang nicht abgedeckt. Eine Integration in den EU-EHS wird aber von vielen Ökonom*innen als zentrale Maßnahme empfohlen (siehe beispielsweise Sondergutachten des deutschen Sachverständigenrats).

Die Befürwortung des Emissionshandels geht häufig einher mit der Ablehnung weiterer klimapolitischer Maßnahmen. Zusätzliche Vermeidungsanstrengungen führten, so das Argument, aufgrund der fixen Obergrenze lediglich zu einer Verschiebung der Emissionen in andere regulierte Sektoren oder Länder und seien somit zwar teuer, aber nicht erforderlich.

Die Probleme des EU-EHS

In unserem ZEW-Diskussionspapier legen wir dar, warum diese Argumentation zu kurz greift. Wir zeigen außerdem auf, welche normativen Vorannahmen dem Emissionshandel zugrunde liegen und problematisieren diese vor dem Hintergrund der Klimakrise.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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  1. Die Höhe der aktuellen Treibhausgasemissionen erwächst aus einer fossilen Infrastruktur, die in über zwei Jahrhunderten aufgebaut wurde und eng mit Institutionen und menschlichem Verhalten verzahnt ist. Daraus ergeben sich zahlreiche Pfadabhängigkeiten, z. B. in Form von Infrastruktur und Technologie. Gut ausgebaute Straßen bei gleichzeitigem Fehlen direkter und sicherer Fahrradwege begünstigen emissionsintensives Verhalten wie beispielsweise die Fahrt im privaten Pkw. Auf diese Weise wird das Fortwirken eines hohen Emissionsniveaus vorgezeichnet.

    Fossile Pfadabhängigkeiten adressiert der Emissionshandel nur indirekt. So erscheint etwa eine Umgestaltung der Straßen- oder Energieinfrastruktur unter anderem wegen langer Lebenszyklen, hoher Investitionskosten und komplexer Regulierungsumfelder einzig durch den Emissionshandel wenig wahrscheinlich. Werden Pfadabhängigkeiten jedoch nicht abgebaut, begrenzen sie die Einsatzmöglichkeiten emissionsfreier Technologien sowie die politische Realisierbarkeit künftiger ambitionierter Maßnahmen.
  2. Unter der beschlossenen Obergrenze verbleiben nur jene Emissionen, deren Vermeidung die höchsten Kosten verursachen würde. Bei welchen Aktivitäten diese Emissionen entstehen, ist dabei irrelevant. Der Emissionshandel ignoriert also, dass sich verschiedene CO2-Quellen in ihrer Relevanz für das menschliche Wohlergehen sehr stark unterscheiden können. Während manche Emissionen – etwa die der Grundnahrungsmittelproduktion – für die Befriedigung von grundlegenden Bedürfnissen verursacht werden, die für menschliches Wohlergehen unerlässlich sind, würde ein Wegfall von Luxusaktivitäten das Wohlergehen weniger stark beeinträchtigen.

    Das Ausblenden qualitativer Unterschiede zwischen Emissionsquellen ist dabei nicht nur ethisch fragwürdig. Steigen in der Folge des Emissionshandels die Preise von lebensnotwendigen Gütern, belastet dies Menschen mit niedrigem Einkommen besonders stark, da sie einen relativ hohen Anteil ihres Einkommens für diese Güterklasse aufwenden. Werden weniger relevante Sektoren oder Aktivitäten nicht unabhängig vom Emissionshandel rückgebaut, steigt daher auch das Risiko gesellschaftlichen Widerstands gegen klimapolitische Maßnahmen.
  3. Der Fokus auf den Emissionshandel legt nahe, dass die kosteneffiziente Emissionsreduktion das einzige übergeordnete Ziel klimapolitischen Handelns sei. Dabei sind ökologische Krisen eng mit sozialer Ungleichheit verknüpft. Vor diesem Hintergrund ist der Abbau sozioökonomischer Ungleichheit eine Vorbedingung für das Erreichen von Klimaneutralität und müsste als klimapolitisches Ziel erster Ordnung in die Auswahl und Ausgestaltung klimapolitischer Instrumente eingehen.
  4. Letztlich bleibt bei der Empfehlung des Emissionshandels außen vor, dass der Umbau zu einer klimaneutralen Ökonomie Konflikte in der Gesellschaft hervorruft und verstärkt. Dieses Konfliktpotenzial wird von politikberatenden Ökonom*innen bislang nicht thematisiert, sollte aber von vornherein mitgedacht werden.

Fazit: Gute Klimapolitik geht über den Emissionshandel hinaus

Der europäische Emissionshandel ist ein prominentes Klimaschutzinstrument, das allerdings mit Blick auf die aufgezeigten Probleme neu bewertet werden muss. Effektive und sozial gerechte Klimapolitik muss unabhängig vom Emissionshandel fossile Pfadabhängigkeiten abbauen, weniger essenzielle Emissionsquellen zurückbauen und soziale Gerechtigkeit priorisieren. Darüber hinaus müssen potenzielle gesellschaftliche Konflikte von vornherein mitgedacht werden und Räume zu deren Lösung bereitgestellt werden. Dazu bieten sich partizipative Prozesse der Bürger*innenbeteiligung an, wie sie zum Beispiel in den „Klimaräten“ in Frankreich und Großbritannien bereits erprobt werden.

Dieser Beitrag basiert auf dem Diskussionspapier „Klimapolitik zwischen Markt, Deliberation und Hegemonie – Der Emissionshandel und das Politische“ des Mannheimer Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Im Dezember erschien bereits eine deutlich ausführlichere Version dieses Beitrags in der „#ECONOMISTS4FUTURE“-Reihe von Makronom.

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