EU Luftpaket: Warum bremst Österreich?

20. Mai 2016

Die EU hat in den letzten Jahren ein Maßnahmenpaket für gesunde Luft erarbeitet. Noch heuer soll ein Rahmen bis 2030 fixiert werden. EU-BürgerInnen und die Natur sollen davon profitieren. Österreich sieht darin aber nur eine lästige Aufgabe. Warum ist das so?

Luftverschmutzung kennt keine Grenzen und kann auch nur grenzüberschreitend wirksam bekämpft werden. Diese banale Erkenntnis liegt dem EU-Maßnahmenpaket für eine gesunde Luft zugrunde, das im Dezember 2013 von der Kommission vorgelegt wurde und voraussichtlich 2016 abgeschlossen werden soll. Herzstück ist die novellierte  EU-Richtlinie, die allen EU-Mitgliedstaaten  Höchstgrenzen für die Emission von Luftschadstoffen (NEC/National Emission Ceilings) auferlegt. Die kommende  Richtlinie soll zeitlich gestaffelt für 2020 bzw. 2030 neue Emissionsvorgaben vorschreiben. Dies entspricht  auch dem  UN/ECE-Übereinkommen über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung, das alle Industriestaaten in der nördlichen Hemisphäre umfasst und im so genannten Göteborg-Protokoll  den 26 Vertragsparteien Emissions-Obergrenzen vorschreibt. Zusätzlich wurden sektorielle Abgasvorschriften (vor allem mittelgroße Verbrennungsanlagen mit einer Feuerungsleistung von 1-50 MW) beschlossen, bzw. sind noch in Ausarbeitung (z.B. für Off-Road-Verbrennungsmotoren).

Konkret geht es um die menschliche Gesundheit und den Schutz der Umwelt vor Luftschadstoffen. Trotz erzielter Reduktionen bei der Luftverschmutzung starben im Jahr 2010 in der EU noch immer rund 400.000 Menschen vorzeitig an Folgen der Luftverschmutzung.

Höchstgrenzen

Mit dem NEC-Vorschlag könnte die durch Luftverschmutzung verringerte Lebenserwartung in der EU von derzeit sechs auf 3,6 Monate im Jahr 2030 gesenkt werden. Daneben würde der Versauerung von Böden und Waldflächen sowie der übermäßigen Anreicherung von Grundwasser mit Nährstoffen (Eutrophierung) Einhalt geboten werden.

Allen Höchstgrenzen für Emissionen liegt eine zentrale Zielsetzung des 7. Umweltaktionsprogramms der EU zugrunde. Luftverschmutzung soll demnach ein Niveau erreichen, das keine unakzeptablen Auswirkungen und Risiken für die menschliche Gesundheit und Umwelt darstellt.  Referenz dafür sind die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Grenzwerte nur nach gesundheitlichen Kriterien definiert und ihre politischen Implikationen sowie technische Machbarkeit ausblendet. In einem ersten Schritt wurde für die Festlegung der NEC-Höchstgrenzen die Emissionsprognose aller EU-Mitgliedstaaten erstellt. Hierin flossen volkswirtschaftliche Annahmen, bereits beschlossene EU-Normen oder technische Standards sowie Synergieeffekte aus Klimaschutzmaßen ein. Darin enthalten sind auch Ausbreitungsbedingungen von Emissionen in Europa. In einem zweiten Schritt wurden die Kosten von Maßnahmen dem monetarisierten Nutzen von Gesundheits- und Landschaftsschutz gegenübergestellt.   So liegen dem NEC-Vorschlag für alle 28 EU-Mitgliedstaaten im Jahr 2030 Kosten von jährlich 3,3 Milliarden Euro und ein Nutzen von 40 Milliarden Euro für alle EU-Staaten zugrunde.

Wie schon in der geltenden NEC-Richtlinie  werden weiterhin Schwefeldioxid (SO2), Stickstoffoxide (NOx), Ammoniak (NH4) und flüchtige organische Verbindungen außer Methan (NMVOC) geregelt. Künftig soll auch Feinstaub (PM2,5) mit einbezogen werden, da dieser weit verfrachtet wird und Gesundheitsstudien eine Reduzierung nahelegen. Höchst strittig ist Methan (CH4), weil es ohnehin klimapolitisch schon geregelt wird.  Wichtig aber ist, dass die seit 2004 hinzugekommenen EU-Mitgliedstaaten vollständig bei der Ausarbeitung der neuen NEC-Richtlinie einbezogen und auch ihre Emissions-Höchstgrenzen ohne Abstriche festgesetzt wurden.

EU-Versagen

Die Verhandlungen zur NEC-RL waren lange Zeit blockiert, weil sektorspezifische EU-Emissionsvorschriften in der Praxis völlig versagten und EU-Mitgliedstaaten daher ihre Emissionen nicht senkten. Fakt ist leider, dass vor allem EU-Abgasvorschriften zu Pkw-Neuwagen (Euro 4, Euro 5 und 6) in den letzten 15 Jahren in Wirklichkeit keine Verbesserungen bei Stickoxiden gebracht haben. Zur Veranschaulichung: Österreich emittierte im Jahr 2010 insgesamt 144.000 Tonnen NOx und überschritt das Höchstziel von 103.000 Tonnen deutlich, weil vor allem die Differenz von Norm- und Realemissionen bei Kfz insgesamt 36.000 Tonnen ausmacht. Dieses Versagen der EU-Regulierung wird in der neuen NEC-Richtlinie insofern  legitimiert, als Mitgliedstaaten rechtlich von ihren Emissions-Verpflichtungen „befreit“ werden  können, wenn Abgasvorschriften nur auf dem Papier, nicht aber im wirklichen Leben funktionieren.

Gülleausbringung – nicht nur ein Geruchsproblem

Eigentliches Problem der Verhandlungen war jedoch Ammoniak (NH3), das fast nur in der Landwirtschaft durch Düngung und Massentierhaltung anfällt.  In der Umgebungsluft wandelt es sich in Ammoniumsulfat und -nitrat und bildet sekundären Feinstaub.  Ammoniak belastet zudem das Grundwasser und bildet zusammen mit NOx bodennahes Ozon. Die EU-Kommission hat aufgrund ihrer Erhebungen landwirtschaftliche Großbetriebe als Hauptverursacher identifiziert, bei denen effiziente Maßnahmen für eine gesunde Luft ergriffen werden können. Primär geht es um die Abdeckung und bodennahe Ausbringung von Gülle, die bei der Massentierhaltung anfällt. Österreich müsste für die Einhaltung der Emissionshöchstgrenzen bei Ammoniak eigentlich nur Maßnahmen setzen, die nur wenige Agrar-Großbetriebe betreffen. Weil die heimische Politik  generell die  Landwirtschaft vor jeglichen Auflagen, auch vorsorglich für erheblichen  Produktionsausweitungen von Milch und Schweinefleisch in ferner Zukunft,  schützt, stimmte Österreich im Dezember 2015 im Verein mit Bulgarien, Dänemark, Polen und Rumänien gegen den NEC-Vorschlag. Die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten hatte dagegen keine Probleme.

Hypothek

Ein einmaliger Betriebsunfall des „Umweltmusterlandes Österreich“ ist dies jedoch nicht. Österreich hat auch zuvor auf EU-Ebene gegen das neue Göteborg-Protokoll gestimmt und lehnt bis heute eine Ratifikation ab. Verbindliche Maßnahmen zur Einhaltung der NEC-Emissionshöchstmengen konnte Österreich seit 2003 nie vorlegen. Augenscheinlich ist die Unvereinbarkeit von Umwelt und Landwirtschaft in einem Ministerium, das im Zweifel immer die Landwirtschaftskarte zieht. Bei  NOx-Emissionen ist die steuerliche Bevorzugung von Diesel ausschlaggebend, die zu einem hohen Anteil von Diesel-Pkw führte. Diese Hypothek für die österreichische Luftreinhaltung ist auch der Grund, warum seitens Österreich Fortschritte bei der internationalen Zusammenarbeit blockiert werden, obwohl es eigentlich mehr durch „importierte“ als durch „hausgemachte“ Luftverschmutzung betroffen ist.

NEC* Reduktionserfordernisse der EU-Mitgliedsstaaten bis 2030

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Aber auch die heimische Wirtschaft lehnt Höchstgrenzen für die Emission von Luftschadstoffen (NEC/National Emission Ceilings) kategorisch ab. Kritisiert werden „Verlust der Wettbewerbsfähigkeit“ und  überhöhte Vorgaben („golden plating“) im Vergleich zum EU-Durchschnitt und zu den neuen EU-Beitrittsstaaten. Die Einigung im EU-Umweltminister-Rat im Dezember 2015 ergibt aber ein anderes Bild: Österreich muss bei Ammoniak (NH3), Schwefeldioxid (SO2), flüchtigen Kohlenwasserstoffen außer Methan (NMVOC) und Feinstaub (PM2,5) weniger reduzieren. Nur bei Stickoxiden (NOx) liegt Österreich wegen seiner Diesel-Pkws leicht darüber. Warum aber unsere Mitstreiter im Binnenmarkt mehr erfüllen können, interessiert im Umweltmusterland Österreich längst niemanden mehr.

Anmerkung: Dieser Beitrag erschien in ähnlicher Form in der Zeitschrift  Wirtschaft und Umwelt 1/2016.