EU-Gesellschaftsrechtspaket: Besserer Schutz für ArbeitnehmerInnen-Rechte?

29. Oktober 2019

Das Europäische Parlament hat am 18. April 2019 mit großer Mehrheit das EU-Gesellschaftsrechtspaket („company-law-package“) beschlossen. Ziel des Paketes ist es, die Unternehmensmobilität in der EU zu fördern, Missbrauch durch die Bildung von „Briefkasten-Firmen“ hintanzuhalten und die Rechte der ArbeitnehmerInnen zu wahren. Das Paket muss noch vom Europäischen Rat genehmigt werden. Die Fristen für die Umsetzung in nationales Recht betragen zwei bzw. drei Jahre. Nachstehend eine Übersicht der wichtigsten Punkte und eine Bewertung aus ArbeitnehmerInnensicht.

Ausgangslage

In der „Polbud-Entscheidung“ vom Herbst 2017 (C-106/16 vom 25.Oktober 2017) hat der EuGH eine Sitzverlegung von Unternehmen mit Hinweis auf die Niederlassungsfreiheit für grundsätzlich zulässig erklärt, selbst dann, wenn sie ohne wirtschaftliche Tätigkeit im Zielland erfolgt. Das bedeutet, dass zum Beispiel eine österreichische GmbH, die ihren Firmensitz nach Tschechien verlegt, mit der Eintragung ins tschechische Handelsregister als tschechische GmbH firmiert. Die Sitzverlegung nach Tschechien wäre auch dann möglich, wenn sämtliche wirtschaftlichen Tätigkeiten weiterhin in Österreich stattfinden, und das Unternehmen gar nicht beabsichtigt, in Tschechien wirtschaftlich tätig zu werden, sondern die Sitzverlegung lediglich der Steuervermeidung oder der Aushöhlung von sozialen Rechten (Umgehung arbeitsrechtlicher Vorschriften oder Mitbestimmungsrechten) dient.

Damit vor dem Hintergrund der europäischen Niederlassungsfreiheit die Mitbestimmungsrechte der ArbeitnehmerInnen nicht auf der Strecke bleiben und dem „regime-shopping“ nicht Tür und Tor geöffnet wird, bestand spätestens seit der Entscheidung des EuGHs dringender Handlungsbedarf.

Eckpunkte des Gesellschaftsrechtspakets

Im Jahr 2018 veröffentlichte die EU-Kommission – nach mehrmaligen Verschiebungen – das sogenannte Company Law Package (Gesellschaftsrechtspaket), welches aus zwei Gesetzesinitiativen besteht. Die Richtlinie zur grenzüberschreitenden Umwandlung, Spaltung und Verschmelzung von Unternehmen will klare Regeln für Unternehmen schaffen, die zum Beispiel ihren Firmensitz in einen anderen Mitgliedstaat verlagern möchten. Eine zweite Richtlinie, eine über den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht, hat zum Ziel, Unternehmensgründungen zu vereinfachen und verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Online-Gründung von Gesellschaften verbindlich zu ermöglichen. Ziel der Kommission ist es vorrangig, die Unternehmensmobilität in der EU zu fördern und weiter auszubauen.

Die Ausgangslage aus ArbeitnehmerInnensicht im Rahmen der Verhandlungen zum Gesellschaftsrechtspaket war angesichts der Polbud-Entscheidung des EuGH denkbar schlecht.

Zentrale Punkte waren:

  • Schutz der ArbeitnehmerInnen-Mitbestimmung bei grenzüberschreitenden Umstrukturierungen (Sitzverlegung, Spaltung, Verschmelzung)
  • Bekämpfung gesellschaftsrechtlicher Konstrukte zur Steuervermeidung oder Aushöhlung von ArbeitnehmerInnenrechten (z.B. Briefkastenfirmen)
  • Verhinderung von Missbrauchspotenzial bei Online-Gründungen

Die wesentlichen Verhandlungen zu den Richtlinien auf EU-Rats-Ebene erfolgten im Rahmen der österreichischen Präsidentschaft.

Bei der Richtlinie zur grenzüberschreitenden Umwandlung, Spaltung und Verschmelzung war auf Ebene des Europäischen Parlaments die österreichische Abgeordnete Evelyn Regner Berichterstatterin im federführenden Justizausschuss – und somit quasi Chefverhandlerin für das europäische Parlament. Die Arbeiterkammer (AK) konnte sich sowohl auf nationaler als auch europäischer Ebene gut in die Verhandlungen einbringen.

Während bei der Richtlinie zur Online-Gründung relativ rasch Einigung erzielt werden konnte, lagen die Vorstellungen von Rat und Parlament bei der Richtlinie zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung, Spaltung und Verschmelzung weit auseinander.

Zentrale Fragen bei den so genannten Trilog-Verhandlungen zwischen Rat, EU-Parlament und Kommission waren die Missbrauchskontrolle und der Schutz der ArbeitnehmerInnen-Mitbestimmung bei grenzüberschreitenden Umstrukturierungen. Am 13. März 2019 konnte dann eine Einigung erzielt werden.

Die wichtigsten Punkte der Einigung

Rechte der ArbeitnehmerInnen müssen künftig gewahrt werden

Die ArbeitnehmerInnen-Vertretung (Betriebsrat) hat ein umfassendes Recht auf Information und Konsultation, wenn das Unternehmen zum Beispiel den Sitz in ein anderes Land verlagert. Dies umfasst einen detaillierten Bericht über die Auswirkungen der grenzüberschreitenden Umstrukturierung auf Beschäftigungsverhältnisse sowie Maßnahmen, um diese zu sichern. Die ArbeitnehmerInnen-Vertretung kann zum Bericht eine Stellungnahme abgeben, die zu veröffentlichen ist. Ist keine ArbeitnehmerInnen-Vertretung im Unternehmen eingerichtet, so erhalten die Beschäftigten die Informationen – und auch ein Stellungnahmerecht.

Die Schutzfrist für die Mitbestimmung im Falle einer nachfolgenden, innerstaatlichen Umstrukturierung wurde aufgrund der nachhaltigen Forderung des Europäischen Parlaments von drei auf vier Jahre verlängert.

Als weiche Maßnahme gegen eine mögliche Flucht aus der Unternehmensmitbestimmung ist vorgesehen, dass bei allen drei Arten grenzüberschreitender Operationen (Sitzverlegung, Spaltung, Verschmelzung) bereits bei einer Beschäftigtenanzahl von 4/5 des nationalen Schwellenwertes Verhandlungen über die ArbeitnehmerInnen-Mitbestimmung im Aufsichtsrat geführt werden müssen. Für Österreich bedeutet dies, dass im Falle einer Verlagerung des Firmensitzes einer GmbH in ein anderes EU-Land das Recht auf Verhandlungen bereits dann gegeben ist, wenn die GmbH mehr als 240 Beschäftige hat (4/5 des nationalen Schwellenwertes von mehr als 300 ArbeitnehmerInnen, die für eine gesetzliche Einrichtung eines Aufsichtsrates einschließlich Drittelbeteiligung der ArbeitnehmerInnen-Vertretung vorgesehen ist).

Eine Auffangregelung (verpflichtende Unternehmensmitbestimmung) für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen ist allerdings nur dann vorgesehen, wenn die GmbH zum Zeitpunkt der Umstrukturierung aufsichtsratspflichtig ist, also mehr als 300 ArbeitnehmerInnen beschäftigt. Die Forderung der AK, dass künftige Strukturänderungen einen Nachverhandlungsanspruch begründen, wurde nicht aufgenommen (z.B. verpflichtende Unternehmensmitbestimmung in ausländischer GmbH bei Anstieg der Beschäftigten am österreichischen Standort auf über 300 ArbeitnehmerInnen innerhalb von drei bis fünf Jahren).

Verpflichtende Anti-Missbrauchsklausel

Grenzüberschreitende Verlagerungen (Sitzverlegung, Spaltung, Verschmelzungen) müssen von der zuständigen nationalen Behörde (dem Firmenbuchgericht des Wegzugsstaates) auf missbräuchliche, betrügerische oder kriminelle Zwecke geprüft und genehmigt werden. Die prüfende Behörde hat auch die Möglichkeit, andere Behörden in das Verfahren miteinzubeziehen. Es prüft und entscheidet also jenes Land, das vom Wegzug des Unternehmens betroffen ist und nicht jenes, dass das Unternehmern abwerben möchte.

Online-Gründung nur mit Einbindung des Notars

Wenngleich die Online-Gründung wegen der Gefahr des Missbrauchs in Form von Scheingründungen von der AK als kritisch bewertet wird, so ist zumindest positiv zu erwähnen, dass es die Richtlinie den Mitgliedstaaten überlässt, ob Notare in das Online-Verfahren einzubinden sind.

Das Europäische Parlament hat den Richtlinien mit großer Mehrheit am 18. April 2019 zugestimmt, die Entscheidung des Rates steht noch aus. Die betreffenden Richtlinien sind von den Mitgliedstaaten innerhalb von zwei Jahren (Richtlinie Digitalisierung) bzw. drei Jahren (Richtlinie über grenzüberschreitende Umwandlung, Spaltung, Verschmelzung) umzusetzen.

Bewertung aus ArbeitnerhmerInnensicht

Vor dem Hintergrund der EuGH-Entscheidung und angesichts der Ausgangslage vor den Trilogverhandlungen zwischen EU-Kommission, Rat und Europäischem Parlament ist das Ergebnis ein akzeptabler Kompromiss, wenngleich sich zentrale Forderungen von ArbeitnehmerInnenvertretungen nicht in der Richtlinie zur grenzüberschreitenden Umwandlung, Spaltung und Verschmelzung finden.

Es wird sich nun zeigen, wie die Anti-Missbrauchsklausel in den Mitgliedstaaten umgesetzt und von den zuständigen Behörden – in Österreich das Firmenbuchgericht – exekutiert wird, und ob es gelingt, durch den vorgesehenen Maßnahmenkatalog Briefkastenfirmen wirkungsvoll zu bekämpfen.

Positiv zu werten ist, dass bestehende ArbeitnehmerInnen-Rechte jetzt besser geschützt werden. Strukturveränderungen werden aber weiterhin nicht berücksichtigt. Dies bedeutet, dass bei der Unternehmensmitbestimmung nur auf den Zeitpunkt der grenzüberschreitenden Umstrukturierung abgestellt wird. Gab es vor der grenzüberschreitenden Umstrukturierung keine Mitbestimmung, so gilt der Grundsatz, dass es auch danach keine geben muss. Diese Grundregel wird als „Einfrieren der Mitbestimmung“ bezeichnet und wird auch durch die oben beschriebene 4/5-Regelung nicht aufgehoben.

Gesellschaften existieren jedoch in der Regel nicht bloß einige Monate, sondern Jahre bzw. Jahrzehnte. Wesentliche Änderungen nach der Umstrukturierung – etwa das Erreichen von bestimmten Schwellenwerten, die eine Mitbestimmung auslösen würden – hätten daher auch bei der Frage der Mitbestimmung berücksichtigt werden müssen. Diese problematischen Aspekte werden bei der nationalen Umsetzung der Richtlinien erneut zur Sprache gebracht und eine Lösung im Sinne der ArbeitnehmerInnen eingefordert werden.

Dieser Artikel erschien auch in der Ausgabe Nr. 34 der „Wirtschaftspolitik-Standpunkte“.