Ernte aus dem Steuertopf: Was der Agrarsektor 2016 extra bekommt

04. November 2016

In gewöhnlichen Jahren betragen die Agrarsubventionen an die österreichische Landwirtschaft mehr als 2 Milliarden Euro. Wenn aufgrund hoher Erntemengen die Preise verfallen und gleichzeitig ein Teil der Betriebe wegen Dürre und/oder Frost geringe Mengen erntet, steigen die Begehrlichkeiten nach mehr öffentlichen Geldern. Für 2016 wurden schlussendlich einige Hundert Millionen mehr an Zuschüssen gewährt. Von Steuermitteln für die Ernteversicherung über Zahlung für Frostschäden, Hilfspaketen für Schweine- und Milchbauern bis hin zum Entfall der Sozialversicherungsbeiträge reicht die Palette. Doch egal wie hoch die Agrarsubventionen sind, der Eindruck bleibt, es gehe allen immer schlechter. Aber, ist das tatsächlich so? Oder werden die Mittel schlicht nicht zielgerichtet eingesetzt?

Der Großteil dieser zusätzlichen Subventionen kommt nicht aus dem Agrarbudget, sondern aus anderen Steuertöpfen. Die Summe der tatsächlichen Agrarausgaben wird so nicht im vollen Ausmaß sichtbar. Auch für die statistische Einkommensberechnung zählen manche Subventionen nicht. Daher wird weiterhin ein Durchschnittseinkommen berechnet werden, das als Begründung für weitere zukünftige Unterstützungsmaßnahmen herhalten muss.

Nichtzahlung der Sozialversicherung für ALLE LandwirtInnen

Die Entscheidung, den Landwirtinnen und Landwirten die Zahlung eines ganzen Quartalsbeitrag an die Sozialversicherung der Bauern (SVB) zu erlassen kostet die Republik 167 Mio €. Noch keine Einigung gibt es bisher, ob es sich dabei um eine Stundung oder eine Streichung des Beitrages handelt. Diese sehr außergewöhnliche Maßnahme, die bisher keine Branche gefordert hatte, wurde mit der schlechten Marktsituation für die MilchproduzentInnen begründet. Profitieren werden jedoch alle LandwirtInnen – und zwar unabhängig von ihrer tatsächlichen Einkommenssituation.

Was, so die berechtigte Frage, hat die Sozialversicherung mit dem Milchpreis zu tun? Und warum sollen auch kuhlose LandwirtInnen ihren Eigenbeitrag zum Solidarsystem nicht leisten? Klar ist, diese Maßnahme löst keine Marktprobleme. Denn das Dilemma am Milchmarkt ist durch die steigende Milchproduktion in Kombination mit der weniger wachsenden Nachfrage verursacht.

Viele landwirtschaftliche Betriebe zahlen systemimmanent keine Einkommenssteuern. Aber ein gewisser Eigenbeitrag aller LandwirtInnen an die SVB wurde bisher außer Streit gestellt. Zahlt doch die öffentliche Hand ohnehin annähernd 80% der Beiträge an das Pensionssystem der SVB. So gesehen stellt jede Beitragskürzung eine Erhöhung der öffentlichen Mittel dar, die außerhalb des Agrarbudgets aufzubringen sind.

Streichung des Sozialversicherungsbeitrage begünstigt höhere Einkommen

Größere Betriebe mit höherem Einkommen zahlen für gewöhnlich höhere SVB-Beiträge und profitieren dadurch am meisten von der Nichtzahlung des Beitrags an die SVB. Konkret würde ein kleiner Betrieb mit 933 € und ein größerer Betrieb mit 3.313 € davon profitieren (Definitionen von „kleiner“ und „großer“ Betrieb“ gemäß Grüner Bericht des BMLFUW, Vgl Tab. 4.1.3.).

In der nachfolgenden Grafik ist das extrem unterschiedliche Einkommen in der Landwirtschaft abgebildet.

Pro-Kopf-Einkommen in der Landwirtschaft im Jahr 2015

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Laut offiziellen Daten des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft verdienen ein Viertel der LandwirtInnen pro Kopf im Durchschnitt mehr als 42.000 € pro Jahr (aufgrund der weitreichenden Pauschalierung idR steuerfrei). Spitzeneinkommen mit den höchsten Subventionen sind bei dieser Erhebung jedoch kaum berücksichtigt, da die Ergebnisse aus freiwilligen Buchführungsdaten berechnet werden. Im Jahr 2015 erhielten 425 landwirtschaftliche Betrieben in Österreich mehr als 150.000 € unter dem Titel „Direktzahlungen“. Die Verteilung der Agrarsubventionen zeigt eine sehr ungleiche Verteilung der öffentlichen Gelder. Knapp 4% der Betriebe erhielten 30% der Direktzahlungen (490 Mio €), während 56% der kleineren Betriebe in Summe nur auf 17% (278 Mio €) kommen.

Verteilung der Direktzahlungen, 2015

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog
Quelle: Grüner Bericht 2016, BMLFUW, Bundesanstalt für Bergbauernfragen

Steuergeld für die Ernteversicherung

Im Mai dieses Jahres wurden 76 Mio € an Budgetmitteln für die Erweiterung der subventionierten Ernteversicherung beschlossen. Die öffentlichen Zuschüsse kommen aus dem Katastrophenfonds des Bundes und aus Ländermitteln. Das ohnehin reichlich dotierte Agrarbudget wird dadurch geschont. Auch mögliche EU-Budgetmittel werden dafür nicht herangezogen.

Steuergeld für Frostschäden

Heuer gibt es extra Steuergelder für Frostschäden. Denn nicht alle LandwirtInnen hatten sich gegen Frostschäden versichert, obwohl bereits bisher die Versicherungsprämie subventioniert war. Und wer zahlt die zusätzlichen 100 Mio €? Die Gelder kommen nicht aus dem Agrarbudget oder dem Landwirtschaftsministerium, sondern aus dem Katastrophenfonds und von den Ländern. Budgetmittel also, die anderswo eingespart werden müssen.

Zu bedenken ist, dass die „Belohnung“ für Nicht-Versicherte nicht gerade zur Versicherungsmoral der LandwirtInnen beiträgt. Weil, so der bleibende Eindruck: Wenn wieder was passiert, springt ohnehin der Staat ein.

Erstes EU-Hilfspaket – 500 Mio Euro

Als direkte Beihilfe wurden davon sieben Mio € in Österreich unter dem Titel „besondere Marktstützungsmaßnahme für Erzeuger“ der Sektoren Schweinefleisch und Milch ausbezahlt. Diese Zuschüsse haben die Marktlage nicht verbessert. Zusätzlich gab es staatliche Aufkäufe von Milchprodukten und Preisstützungsmaßnahmen in Form von Beihilfen für die private Lagerhaltung von Butter und Schweinefleisch, die den Markt entlasten sollten. Der Preis für Schweinefleisch hat sich tatsächlich inzwischen erholt, wobei vor allem die Grillsaison und der Appetit im Asiatischen Raum dafür gesorgt haben, dass für heuer wahrscheinlich keine zusätzlichen Subventionen für den Schweinesektor fließen.

Zweites 500 Mio Euro Milch-Hilfspaket zum Jahresende 2016

Während auf politischer Ebene überlegt wurde, wie Angebot und Nachfrage am Markt einander angenähert werden könnten, stieg die Milchmenge kontinuierlich. Nach monatelanger Diskussion auf Brüsseler Ebene kamen die AgrarministerInnen mit einem weiteren 500 Mio €-Milchpaket siegreich nach Hause. Österreichs LandwirtInnen werden davon 5,863 Mio € als „außergewöhnliche Anpassungsmaßnahme“ fix bekommen und einen noch nicht bekannten Teil, der für die EU-weite Milchreduktionsmaßnahme beantragt wurde. MilcherzeugerInnen erhalten eine Beihilfe, wenn sie ihre Lieferung reduzieren. Damit soll EU-weit eine Produktionsmenge von etwas mehr als 1 Mio Tonnen „herausgekauft“ werden. Ob die gesamte Milchmenge am Markt tatsächlich um diesen Betrag verringert wird, hängt nicht nur von der freiwilligen Teilnahme ab. Es könnte auch ein Null-Summenspiel werden. Denn falls sich der Milchpreis weiter erholt – und das zeichnete sich bereits vor Beginn dieser Aktion ab – könnten jene, die nicht am Programm teilnehmen, ihre Produktion ankurbeln. Es gibt ein beachtliches Produktionspotenzial, und sobald der Milchpreis wieder steigt, könnten auch die Mengen weiter in die Höhe gehen. Ein Teufelskreis – unterstützt mit hohen Steuermitteln – denn für die Produktionsausweitung gibt es großzügige Investitionsbeihilfen für Stallbauten.

Einkommensversicherung mit Steuergeld für die Zukunft?

Schätzungen für die Zukunft bringen gute und schlechte Nachrichten: Einerseits gibt es positive Signale für die Welternährung. So schätzt das U.S. Department of Agriculture (USDA) die kommende Welt-Maisernte auf annähernd 1 Milliarde Tonnen und die Welt-Weizenernte auf 740 Mio Tonnen, was eine Steigerung im Zehnjahresmittel um 16% bzw. 8% bedeutet. Die wachsende Weltbevölkerung könnte ausreichend ernährt werden – aber: Es ist und bleibt eine Verteilungsfrage.

Hohe Erntemengen bringen jedoch auch Preisschwankungen und Einkommensunsicherheiten für die LandwirtInnen mit sich. Daher wird in letzter Zeit immer lauter über Einkommensversicherungen nachgedacht. Damit sollen nicht nur durch wetterbedingte Risiken verursachte geringere Erntemengen versicherbar werden, sondern auch Einkommensverluste bedingt durch niedrige Preise. Die schlechte Nachricht dabei: Würde diese neue Versicherung nicht zu einem kompletten Umbau des Agrarsubventionssystems führen, wäre mit enormen zusätzlichen Budgetmitteln zu rechnen. Ideal wäre ein Modell, das sich aus dem Agrarsektor selbst finanziert, sodass zusätzliche Steuermittel nicht mehr aufgebracht werden müssen. Denn die Frage ist naheliegend, ob z.B. SteuerzahlerInnen mit niedrigen Einkommen, wie VerkäuferInnen oder LandarbeiterInnen, tatsächlich auch Einkommen von großen Landwirtschaftsbetrieben auf unbestimmte Zeit finanziell absichern sollen.

Dieser Beitrag erschien in ausführlicher Form in Wirtschaftspolitik – Standpunkte 2016 (3).