Diktat statt Dialog. Wie der Deutschklassen-Schnellschuss schulpartnerschaftliche Prinzipien über Bord wirft

11. Juni 2018

Nur fünf Monate nach ihrer Angelobung hat die Bundesregierung die Einrichtung von Deutschklassen durch das Parlament gebracht. Die Eckpunkte: Statt der Schulleitung entscheidet künftig ein standardisierter Test darüber, ob SchülerInnen am Regelunterricht oder stattdessen an sogenannten “Deutschförderklassen” teilnehmen. Dafür sind Schulen ab Herbst verpflichtet, räumlich getrennte Klassen mit bis zu 25 SchülerInnen einzurichten. In diesen wird ausschließlich Deutsch, kein Fachunterricht vermittelt. Mit den übrigen SchülerInnen besteht der Kontakt nur noch im Zeichen-, Musik- und Turnunterricht. Ein Übergang zum Regelunterricht ist erst nach positivem Deutschtest am Semester- oder Schuljahresende möglich. Bis zu zwei Jahre können SchülerInnen in der Deutschförderklasse verbleiben, ohne in die nächste Schulstufe aufzusteigen.

Die Geschwindigkeit des Beschlusses geht auf Kosten seiner Qualität: Den Deutschklassen liegt keine Evaluation der bisherigen Deutschförderung zugrunde. Es werden keine wissenschaftlichen Belege für die Effektivität getrennter Klassen geliefert. Den überwiegend kritischen Stellungnahmen im Begutachtungsprozess durch Schulbehörden, DirektorInnen, Gewerkschaften und Wissenschaft wurde kaum Rechnung getragen. Vor allem aber hat man keinen Dialog mit den betroffenen Schulen, LehrerInnen und ElternvertreterInnen geführt, um sie bei der Entwicklung und Umsetzung des Modells einzubinden. Drei Wochen vor Schulschluss fehlt den betroffenen Schulen immer noch ein Stellenplan für das im September beginnende Schuljahr.

Das Diktat der Deutschförderklassen kann nicht schöngeredet werden

Angesichts dieses überhasteten Schnellschusses hat die Gewerkschaft der Pflichtschullehrerinnen und Pflichtschullehrer vor zwei Wochen eine Resolution verabschiedet. Darin fordert sie das Bildungsministerium auf, Planungssicherheit noch vor dem Sommer 2018 zu gewährleisten, die schulische Autonomie bei der Deutschförderung zu erhalten und die dafür erforderlichen Ressourcen bereitzustellen. Inzwischen haben auch betroffene Eltern, LehrerInnen und Schulleitungen ihren Protest offen geäußert: sie fühlen sich vom Bildungsministerium im Stich gelassen.

Als Reaktion rücken nun unzählige Sprecher der Koalitionsparteien aus, um einen chaotischen und schlecht vorbereiteten Eingriff in die Schulorganisation und Pädagogik schön zu reden. Man behauptet, das Ministerium bemühe sich, alle beteiligten Parteien miteinzubeziehen. In Wahrheit haben Elternvereine und Gewerkschaften hingegen seit Jahrzehnten das erste Mal erlebt, dass es vor der Beschlussfassung einer pädagogischen Materie im Parlament keine sozialpartnerschaftlichen Gespräche mit den Schulpartnern gegeben hat. Gleichzeitig werden verantwortungsbewusste Lehrerinnen und Direktoren als linke Ideologen und der Protest der Gewerkschaft als unnötig bezeichnet. Selbst die wissenschaftlichen Einschätzungen aus Sprach- und Bildungsforschung werden vom Bildungsminister als rein “ideologisch” abgetan.

Das bedeutet, dass ÖVP und FPÖ den in Österreichs Pflichtschulen engagierten Menschen keine Bildungsexpertise zutrauen, sondern eher auf die Gedankenwelt zweier Universitätsprofessoren setzen. Einer gemeinsamen Diskussion geht man tunlichst aus dem Wege. Denn wenn die fern der Volksschule agierenden Politiker Faßmann und Taschner in einer öffentlichen Diskussion mit Schulleiterinnen und Schulleitern aus Volksschulen diskutieren würden, wem würden die Zuhörer wohl Glauben schenken? Zwei Politikern oder vermutlich doch den PraktikerInnen, die gemeinsam mit der Gewerkschaft aufzeigen könnten, dass das Ministerium seine Hausaufgaben für die Deutschförderklassen nicht gemacht hat und an den Bedürfnissen der Schulen vorbei regiert:

  • Es fehlen Lehrplan und Diagnoseinstrumente
  • Für Ressourcen- und Raumprobleme erklärt sich das BMBWF für unzuständig
  • Während Deutschförderklassen promotet werden, werden die Deutschförderkurse von 11 auf 6 Stunden pro Woche gekürzt
  • Zahlreiche schulrechtliche (Schulpartnerschaft), dienstrechtliche (Stellung der Lehrkraft in einer Deutschförderklasse) und besoldungsrechtliche (Vergütungen und Zulagen) Fragen sind nicht gelöst
  • Der unsinnigste und ideologischste Fehler zuletzt: Den Schulen werden die autonomen Spielräume genommen, Sprachfördermittel entsprechend den Herausforderungen des Standorts einzusetzen. Ein Ministerium allein scheint zu wissen, was für tausende unterschiedliche Schulstandorte zwischen dem Bodensee und dem Neusiedler See richtig ist.

Endlich in Dialog treten, um Schulen, Eltern und Kinder Sicherheit zu geben

Ob die Deutschklassen bei einer ordentlichen, bisher nicht vorhandenen Vorbereitung erfolgreich sein könnten, ist durch die Gewerkschaft nicht zu entscheiden. Die Wissenschaft beurteilt diese Form des Erlernens von Sprache jedenfalls als ineffizient. Und auch die von der Regierung als Vorbild genannten „Berliner Willkommensklassen“ sind bei der Evaluierung in Deutschland bereits durchgefallen. Die für Jänner 2019 vorgesehene Evaluierung der bisher in Österreich autonom gestalteten Sprachfördermaßnahmen wurde von den Regierungsparteien nun jedoch abgesagt.

Die Gewerkschaft versucht daher den Start in ein für Kinder und Lehrkräfte gutes Schuljahr 2018/19 zu optimieren und Planungssicherheit vor dem Sommer, autonome Spielräume für die Schulstandorte und eine Nachdenkpause bis zur Klärung aller offenen Fragen zu erreichen. Infolge der massiven Kritik hat sich das BMBWF nun entschlossen, am 13. Juni mit der Vertretung der österreichischen Pflichtschullehrerinnen und Pflichtschullehrer erstmalig (!) nach dem Antritt der Regierung Kurz Gespräche zu führen. Die Schulen erwarten, dass sich das Ministerium bewegt und zumindest autonome Umsetzungen des beschlossenen Schulrechts zulässt.

Im Zentrum der Schulpolitik haben schließlich stets die SchülerInnen zu stehen. Die Politik soll SchulleiterInnen und LehrerInnen bestmöglich dabei unterstützen, SchülerInnen trotz ihrer unterschiedlichen Lernvoraussetzungen zu fördern. Werden neue Vorgaben aber von oben herab diktiert, ohne SchülerInnen-, Eltern- und LehrerInnenvertretung bei deren Entwicklung einzubinden, dann sind Umsetzungsprobleme vorprogrammiert.
Dass SchulleiterInnen und LehrerInnen öffentlich auf diese Probleme hinweisen, ist ihnen nicht als Ideologie vorzuhalten: es ist vielmehr Zeichen ihrer Professionalität und ihres Verantwortungsbewusstseins. Dem sollte eine verantwortungsbewusste Politik umgekehrt ebenso Rechnung tragen.