Die Risiken im Schatten des Systems

10. März 2014

Mit der im Jahr 2007 einsetzenden Finanzkrise erlangten Schattenbanken erstmals traurige Berühmtheit. Der Ausbruch der Krise offenbarte einer breiteren Öffentlichkeit, dass sich über die letzten Jahrzehnte hinweg bankenähnliche Finanzinstitutionen und innovative Finanzprodukte „im Schatten“ des traditionellen Bankensystems als essentieller Bestandteil des globalen Finanzsystems etabliert hatten. Geringe bis fehlende Regulierungen und mangelhafte Aufsicht durch Behörden mündeten letztlich in gestiegener finanzieller Fragilität und der Anhäufung systemischer Risiken. Diese entluden sich schließlich in der Krise und bestehen aufgrund der bisher mangelnden Reformen nach wie vor im Finanzsystem fort.

Schattenbankensystem – Was ist das?

Mit dem Begriff des Schattenbankensystems wird versucht, ein ausgeprägtes System an hoch verschuldeten und teils kaum bis nicht regulierten Finanzinstitutionen zu erfassen, welches sich „im Schatten“ des offiziellen Bankensystems gebildet hatte. In der wissenschaftlichen Debatte gibt es jedoch keine weithin akzeptierte Definition. Der von den G 20 zur Erarbeitung von Regulierungsvorschlägen beauftragte Rat für Finanzstabilität (Financial Stability Board, FSB) definiert beispielsweise das Schattenbankensystem als ein „System der Kreditintermediation, an dem Entitäten und Aktivitäten außerhalb des regulären Bankensystems beteiligt sind.“ (FSB) Das Schattenbankensystem umfasst folglich zahlreiche Institutionen, Instrumente und Märkte, welche in kaum bis nicht regulierten sowie nicht beaufsichtigten Bereichen des Finanzsystems existieren und die dabei die für Banken charakteristische Tätigkeit der Kreditintermediation – das Weiterreichen von Spareinlagen in Form von Krediten an Dritte – ausüben. Während traditionell die Vermittlung von Krediten innerhalb einer Bank vor sich geht, teilt sich dieser Prozess im Schattenbankensystem auf eine Reihe von unterschiedlichen Institutionen auf, welche durch spezifische Instrumente miteinander gekoppelt sind und je eine spezifische Funktion ausüben.

Eng mit den Vorzügen der Kreditintermediation im Schattenbankensystem verbunden sind zugleich auch dessen Schwachpunkte und Gefahren. Denn einerseits bringt die geringe bis fehlende Regulierung den Schattenbanken Kostenvorteile gegenüber traditionellen Banken. So existieren für sie z.B. keine „teuren“ Eigenkapitalvorgaben. Banken und andere Finanzmarktakteure greifen infolge solcher Anreize auf den weniger regulierten und somit kostengünstigeren Bereich des Finanzmarktsystems aus (im Fachjargon: sie begehen Regulierungsarbitrage). Da aber andererseits für die Schattenbanken im Gegensatz zu traditionellen Banken kein offizielles „Sicherheitsnetz“ zur Verfügung steht (Refinanzierung bei der Zentralbank, Einlagensicherung), sichern sich die Akteure mittels anderer Vorkehrungen gegenüber Risiken ab (Claessens/Ratnovski) – beispielsweise durch Kreditbesicherungen, Derivate oder private Kreditlinien zu Banken. Diese individuellen Absicherungen trugen allerdings zum Aufbau systemischer Risiken bei, welche sich mit dem Ausbruch der Finanzkrise auf einen Schlag offenbarten (Perotti).

Schattenbanken und ihre Instrumente

Bei den Schattenbanken im eigentlichen Sinne handelt es sich um Zweckgesellschaften (special purpose vehicles), rechtliche Konstrukte, welche für ganz bestimmte ökonomische Zwecke meist von herkömmlichen (Investment-)Banken ins Leben gerufen werden. Solche Zwecke sind etwa:

  • das Aufkaufen von unterschiedlichen Forderungstypen (speziell Hypothekenforderungen) von Banken oder anderen Firmen, welche die Kredite ursprünglich vergeben haben;
  • die Verbriefung dieser Forderungen zu forderungsbesicherten Wertpapieren durch dafür eigens eingerichtete Verbriefungsvehikel;
  • das Investieren in solche forderungsbesicherte Wertpapiere.

Ein spezifisches Charakteristikum dieser Vehikel ist, dass sie jenseits der Bilanzen der sie betreibenden Banken und sonstigen Finanzinstitutionen existieren – sie sind außerbilanziell. Diese Gesellschaften sind umgeben von einer Vielzahl weiterer Finanzmarktakteure, die in ihrem Zusammenspiel erst ein voll entwickeltes System der Kreditintermediation – das Schattenbankensystem – ausmachen. Dazu zählen beispielsweise so unterschiedliche Akteure wie die bereits erwähnten (Investment-)Banken, aber auch Geldmarktfonds, Hedgefonds, Pensionsfonds, Ratingagenturen, Hypothekenfinanzierer oder Versicherungsunternehmen. Alle diese Akteure nehmen auf ihre spezifische Art am System teil, indem sie beispielsweise in entsprechende Instrumente investieren oder für ihre speziellen Dienste Gebühren verlangen.

Die wichtigsten finanziellen Instrumente, die die einzelnen Akteure erst miteinander verbinden, sind:

  • forderungsbesicherte Wertpapiere (asset-backed securities, ABS), welche das Resultat eines komplexen Verbriefungsprozesses sind, im Zuge dessen Zahlungsströme eines Bündels an Vermögenswerten (z.B. Hypothekarkredite, etc.) zerteilt und unterschiedlichen Tranchen zugeordnet werden, welche sich in Priorität, Risiko und Verzinsung unterscheiden. Diese Tranchen werden durch Rating Agenturen bewertet und als Wertpapiere an Investoren weiterverkauft;
  • kurzfristige Schuldverschreibungen, welche von manchen Zweckgesellschaften zur (Re-)Finanzierung am Geldmarkt ausgegeben werden;
  • Wertpapierpensionsgeschäfte oder kurz Repos (repurchase agreements), ökonomisch betrachtet ein besicherter Kredit von meist relativ kurzer Laufzeit (oft nur über Nacht), welcher es Finanzinstitutionen (speziell von (Investment-)Banken und Hedgefonds genutzt) ermöglicht, im Austausch gegen Sicherheiten sich kurzfristig Liquidität zu besorgen.

Wie aus den bisherigen Darlegungen ersichtlich wurde, handelt es sich beim Schattenbankensystem keinesfalls um ein parallel existierendes und unabhängiges Bankensystem. Vielmehr bestehen unzählige enge Verbindungen zum traditionellen Bankensystem, sei es über außerbilanzielle Zweckgesellschaften, Hedgefonds oder Geldmarktfonds, welche von Banken aufgelegt, gemanagt und im Notfall  „gerettet“ werden müssen. Das Schattenbanksystem kann als eine tiefgreifende funktionale Erweiterung des regulierten Finanzmarktes aufgefasst werden, mit dessen Hilfe Regulierungsvorschriften umgangen und Gewinnmargen gesteigert werden konnten.

Historische Entwicklung, Bedeutung und Reichweite

Die Ursprünge des Schattenbankensystems reichen bis in die 1970er-Jahre zurück, als in den USA erstmals Verbriefungen von Hypotheken vorgenommen wurden. In den 1980er-Jahren konstituierte sich das Schattenbankensystem als Ergebnis der amerikanischen Hochzinspolitik, stetiger Deregulierungen und durch immer rascher erfolgende Finanzinnovationen. Im Zuge der Hochzinspolitik der Federal Reserve Anfang der 1980er-Jahre wurde das traditionelle „originate-to-hold“-Geschäftsmodell der Banken – das Erzeugen von Krediten und das Halten der daraus resultierenden Forderungen bis zum Ende ihrer Laufzeit – zusehends unrentabel. Als Ausweg begannen die Banken zuerst die Kreditforderungen in ihrem Besitz zu verbriefen und weiterzuverkaufen, wofür sie Gebühren lukrierten. Das „originate-to-distribute“-Geschäftsmodell war geboren, und mit ihm ein wesentlicher Pfeiler des Schattenbankensystems. Speziell die ab den 1980er-Jahren entstehenden und rasant wachsenden Vermögensverwalter (Geldmarktfonds, Investmentfonds, Pensionsfonds) beschleunigten aufgrund ihrer enormen Nachfrage nach Anlagemöglichkeiten das Wachstum des Schattenbankensystems, welches gute Renditen bei hoher Sicherheit in Aussicht stellte. Die hohe Nachfrage wiederum animierte Banken und andere zusehends auch zur Vergabe von Krediten an Haushalte mit schlechterer und ungenügender Bonität (subprime) und deren Weiterverwertung.

Die  Finanzkrise ab 2007 konnte dem Wachstum und dem Bedeutungszuwachs des Schattenbankensystems bisher nur bedingt Einhalt gebieten. Heute stellt es einen qualitativ wie quantitativ äußerst wichtigen Teil des Finanzsystems dar. Das FSB  schätzt für das Jahr 2012 die Vermögenswerte des Schattenbankensystems auf bis zu 71 Billionen US-Dollar, wobei sich ein erheblicher Teil auf den angelsächsischen Raum konzentriert. In den USA entspricht das Schattenbankensystem derzeit in etwa der Größe des traditionellen Bankensektors. Nesvetailova spricht hinsichtlich der Bedeutung des Schattenbankensystems für das globale Finanzsystem davon, dass dieses zum „Rückgrat des zeitgenössischen Finanzsystems geworden ist.“ (Quelle) Es ermöglicht über seine Institutionen und Instrumente die rasche und enorme Ausweitung von Kreditbeziehungen, wie es speziell in den boomenden Jahren vor der Finanzkrise der Fall gewesen ist. Zugleich aber birgt es das Potential einer ebenso abrupten Kontraktion, wie es sich im Zuge der Krise offenbarte (Perotti). Anders gesagt: Das Schattenbankensystem kann in gewissen Zeiten durch entsprechende Kreditversorgung positiv zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen. Es trägt jedoch durch sein nicht reguliertes Wirken gleichzeitig zur Steigerung systemischer Risiken bei. Die logische Folge ist, dass Finanzkrisen umso stärker ausfallen und äußerst negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung zurückwirken.

Schattenbanken im Zentrum der Finanzkrise

Zahlreiche WissenschaftlerInnen sprechen von der großen Finanzkrise als einer Krise des Schattenbankensystems. Die Plausibilität dieser Sichtweise spiegelt sich in zwei Aspekten wider: a) in den Bereichen, in denen die Krise ihren Anfang nahm und welche von der Krise zuerst getroffen wurden; b) in den Bereichen, welche im Fokus der staatlichen Interventionen standen. Es waren zunächst die unterschiedlichen Segmente des Schattenbankensystems, welche durch die fallenden Eigenheimpreise in den USA, die damit einhergehenden steigenden Ausfälle bei Hypothekenforderungen und den darauf folgenden umfangreichen Abzug von Finanzmitteln durch Investoren betroffen waren und durch erheblich steigende Finanzierungskosten aufgrund eines allgemeinen Misstrauens in Schieflage gerieten. Als Folge von deren drastisch verschärfter Finanzierungslage und diesbezüglich schlagend werdender Kreditlinien drohte wiederum vielen bekannten Finanzinstituten die Zahlungsunfähigkeit. Beispielhaft genannt seien die US-Investmentbanken Bear Stearns und Lehman Brothers, der US-Versicherungsgigant AIG, die britische Bank Northern Rock oder eine Reihe deutscher Landesbanken. Um der Panik im Finanzsystem Einhalt zu gebieten, versuchten die Zentralbanken und Regierungen weltweit  durch in ihren Umfang bisher einzigartige Finanzhilfen und Garantieerklärungen das globale Finanzsystem zu stabilisieren. Ein Großteil dieser Unterstützungen war speziell an das Schattenbankensystemadressiert.

Systemische Risiken im Finanzsektor

Die Krise des Schattenbankensystems verweist auf wichtige und für lange Zeit unbemerkt gebliebene bzw. unterschätzte Momente in der Entwicklung des globalen Finanzsystems der letzten drei Jahrzehnte. Der steigende Verschuldungsgrad bei Finanzinstitutionen und eine tendenziell zurückgehende Qualität der Finanzprodukte gingen mit deutlich verschärfter Intransparenz, zunehmender Komplexität und Kurzfristigkeit der Finanztransaktionen einher. Hinzu kamen eine ausgeprägte Unbekümmertheit bei Investoren und eine gestiegene Konzentration von Risiken bei einzelnen großen Playern des Finanzsystems. Alle diese Aspekte verweisen darauf, dass die finanziellen Beziehungen heute eine deutlich erhöhte Fragilität aufweisen. Die praktizierte private Absicherung von Schattenbankaktivitäten ist hierbei mehr Problem als Lösung und trägt ihren Teil zu steigenden systemischen Risiken bei. Die oft ins Feld geführte Disziplinierung durch den Markt hat letztlich völlig versagt.

Zudem liefen viele zentralen Regulierungen für Banken ins Leere bzw. hatten sogar gegenteilige Effekte. Viele Banken forcierten die Auslagerung risikoreicher Bankgeschäfte aus den Bilanzen, was die systemischen Risiken generell ansteigen ließ, weil das vorgehaltene Eigenkapital nur die bilanzierten Risiken beschränkte. Die Zersplitterung der Kreditintermediation zu einem System von Einzelleistungen veränderte die Anreizstrukturen für viele Akteure nachhaltig. Der Weiterverkauf finanzieller Vermögenstitel und die damit einhergehenden Profite durch Gebühren und Veräußerungsmargen erhöhten die systemischen Risiken aus zwei Gründen. Einerseits brachten die Veräußerung (wie auch die Verbriefung von Krediten) Informationsverluste mit sich, die eine Beurteilung der Risiken erschwerten und häufig deren Unterschätzung zur Folge hatten. Andererseits mussten einzelne Akteure die eingegangenen Risiken selbst nicht mehr fürchten, da sie diese einfach weiterverkauften. Neben der einsetzenden Leichtfertigkeit bei der Vergabe von Krediten wurden zugleich auch kriminelle Energien, betrügerische Geschäfte und der Missbrauch der entstandenen Finanzstrukturen gefördert. Da die von den Akteuren zu befürchtenden Konsequenzen ihres Handelns für sie selbst ausblieben, wurde die in der ökonomischen Theorie seit Adam Smith behauptete Selbstregulierung der Marktteilnehmer – das sinnvolle, vernünftige und indirekt Gemeinwohl fördernde wirtschaftliche Handeln – vollständig ausgehebelt. Stattdessen steuerte die Aussicht auf reichhaltige Prämien, Boni und Gehälter die finanziellen Operationen, für deren mögliche negative Folgen keine ausreichenden Haftungsmechanismen existierten.

Reform und Aussicht

Aus den bisherigen Darlegungen ist die Komplexität und Problematik von Schattenbanken ersichtlich geworden. Eine Regulierung des Schattenbankensystems erweist sich zugleich als unbedingt notwendig wie auch schwierig. Seit Ausbruch der Krise sind unzählige Beiträge mit Reformvorschlägen vorgelegt worden. Dennoch sind bisher nur zögerliche Versuche zur Reformierung unternommen worden. Eine bereits angedeutete Konsequenz daraus ist, dass sich das Schattenbankensystem weiter im nicht regulierten Wachstum befindet. Mittlerweile wird von einigen Seiten (so auch der EZB) die neuerliche Forcierung der Verbriefungstechnik sogar als Lösung des Problems der schleppenden Kreditvergabe und somit als Mittel zur Ankurbelung realwirtschaftlichen Wachstums angepriesen. Des Weiteren gibt es generelle Bedenken, dass manche Regulierungen das Ausweichen von Banken in die kaum bis nicht regulierten Bereiche des Finanzsystems intensivieren, während es bei wichtigen Maßnahmen wie der Erhöhung der Eigenkapitalquote und der Gläubigerhaftung (bail-in), welche den meisten Finanzinstituten den Status „systemisch relevant“ (too big to fail) nehmen würde, nur sehr schleppend zu Fortschritten kommt. Während eine Erhöhung der Eigenkapitalquote noch relativ leicht umzusetzen ist, sind Regelungen zur Gläubigerhaftung erheblich komplizierter. Das liegt daran, dass Finanzmarktakteure durch ihre Beteiligungen an anderen Banken im Haftungsfalle selbst destabilisiert werden können. Ein interessanter Vorschlag des Liikanen-Berichts  besteht darin, dass nur Nichtbanken Gläubiger von Banken sein dürfen, damit prinzipiell einen bail-in ohne Bedenken durchführbar ist und keine Steuergelder für die Stabilisierung des Bankensystems verwendet werden müssen. Ohne Zweifel würde eine Regulierung in diese Richtung auch zu einem Rückgang risikoreicher Finanztransaktionen führen.

Grundsätzlich bestehen für die erfolgreiche Regulierung des Finanzsystems im Allgemeinen und des Schattenbankensystems im Speziellen jedoch auch zahlreiche politische Probleme. Neben den bereits sehr schwierigen Entscheidungsprozessen auf europäischer und internationaler Ebene existieren über die ganze Welt verteilt zahlreiche Regulierungs- und Steueroasen. Diese gemeinhin als Offshore-Gebiete bezeichneten Rechtsräume beherbergen eine Vielzahl von Akteuren des Schattenbankensystems und bieten diesen sowohl rechtlich legale Schlupflöcher, als auch zahlreiche Möglichkeiten, den Regulierungs- und Fiskalbehörden anderer Länder wesentliche Informationen vorzuenthalten. (Schmidt).

Eine Vertiefung in die im Beitrag angesprochene Materie bietet der folgende Artikel: http://www.icae.at/wp/wp-content/uploads/2013/06/WP17.pdf