Der Gleichstellungsindex zum Arbeitsmarkt 2017

29. November 2017

Gleichstellung am Arbeitsmarkt ist ein Phänomen mit vielen Aspekten: Wie häufig sind Frauen und Männer erwerbstätig? Mit wie vielen Stunden? In welchen Jobs? Und natürlich auch wichtig: Was verdienen sie dabei? Der Gleichstellungsindex Arbeitsmarkt berücksichtigt all diese Aspekte und noch andere und führt sie für Österreich im Allgemeinen und die einzelnen Bundesländer zu einem Gesamtwert zusammen.

Zwei Jahre nach der ersten Präsentation hat sich der Gleichstellungsindex gerade einmal um einen Prozentpunkt verbessert. Bleibt es bei diesem Tempo, wird die Gleichstellung bis 2075 auf sich warten lassen.

Der Gleichstellungsindex wurde 2015 erstmalig im Auftrag vom AMS und in enger Zusammenarbeit mit dem Wifo entwickelt und präsentiert. 2017 erfolgte die Aktualisierung, mit dem Fokus die Verbesserungen in den einzelnen Bereichen der Gleichstellung darzustellen. Dieser Beitrag soll einen Überblick über die wichtigsten Kernaussagen geben.

Insgesamt fließen 31 Basisindikatoren zu den Bereichen Arbeit, Einkommen, Bildung und Familie in den Index ein und werden den folgenden Bereichen zugeordnet:

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Gleichstellung 2075 erreicht?

Zwei Jahre nach der ersten Präsentation hat sich die Gleichstellung gerade einmal um einen Prozentpunkt verbessert und erreicht für Österreich 71 Prozent. Bei 100 Prozent wäre eine tatsächliche Gleichstellung erreicht. Damit ist weiterhin knapp ein Drittel Verbesserungspotenzial vorhanden. Wenn diese Geschwindigkeit der Verbesserung fortgesetzt wird, bedarf es noch weiterer 58 Jahre, bis die Gleichstellung am Arbeitsmarkt tatsächlich erreicht wird.

Wien ist top, im Burgenland und in Vorarlberg gibt es Bewegung

Es konnten sich sieben Bundesländer im Gesamtergebnis verbessern. In Vorarlberg und im Burgenland gab es mit + 2 % die größte Veränderung, jedoch befanden sich beide Bundesländer – insbesondere Vorarlberg – auf einem niedrigen Niveau (62). Keine Veränderung im Vergleich zu 2015 gab es in Tirol und Kärnten. Am besten schneidet mit Abstand Wien ab (81 von 100), wo es auch eine Verbesserung von + 1 % gab, gefolgt von Kärnten (72 von 100) und Niederösterreich (71 von 100).

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Verbesserungen bei niedrigen Einkommen – doch jede fünfte Frau ist niedriglohnbeschäftigt

Die größte Verbesserung gab es beim Themenfeld Einkommen und zwar im Bereich der Niedriglohnbeschäftigung. Dennoch sind Frauen weiterhin wesentlich stärker als Männer von Niedriglöhnen betroffen. 22,4 % und damit jede fünfte Frau in Österreich ist niedriglohnbeschäftigt; bei Männern ist es jeder zehnte. Dennoch gab es hier im Vergleich zu 2015 (Frauen 24,2 %, Männer 8,7 %) die größte Verbesserung.

Auch bei den Personen mit ganz geringen Einkommen – das sind jene 25 %, die am wenigsten verdienen – gab es bei den Frauen eine leichte Verbesserung von 7.170 Euro auf 7.620 Euro Nettojahreseinkommen. Damit liegen sie allerdings immer noch bei der Hälfte von dem, was die am wenigsten verdienenden Männer bekommen (14.240 Euro).

Erklärungen dafür sind, dass in den Kollektivverträgen in den letzten Jahren die Niedriglöhne stärker berücksichtigt wurden, zunehmend mehr Frauen höher qualifiziert sind und es bei Frauen im Vergleich zu den Männern einen stärkeren Rückgang bei Hilfsarbeit gab.

Die Verbesserungen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Österreich im Vergleich zu anderen europäischen Staaten beim Einkommensunterschied Schlusslicht ist. So erreichen Frauen über alle Einkommensindikatoren des Index hinweg nur 69 % der Männerwerte. Das mittlere Bruttojahreseinkommen von ganzjährig vollzeitbeschäftigten Frauen beträgt nur 68 % von jenem der Männer.

Und während 82 % der Männer 18 Monate nach Ausbildungsabschluss ein Einkommen von mindestens 1.800 Euro brutto erzielen, sind es bei Frauen nur 57 %.

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Mythos: „Sind Frauen erst einmal gleich gut ausgebildet wie Männer, wird sich die Gleichstellung am Arbeitsmarkt von selbst einstellen.“

Frauen sind im Durchschnitt bereits höher ausgebildet als Männer. Im Bereich Bildung erreichen Frauen einen Indexwert von 118 Prozent und übersteigen damit die Werte von Männern um 18 Prozentpunkte. Frauen haben eine höhere Quote bei der Matura, ihr Anteil bei den Hochschulabschlüssen ist höher und sie nehmen wesentlich stärker Weiterbildungsaktivitäten in Anspruch.

Ein weitverbreiteter Mythos der letzten Jahrzehnte lautet, dass sich die Gleichstellung am Arbeitsmarkt „automatisch“ einstellen werde, wenn Frauen erst einmal gleich gut ausgebildet sind wie Männer. Ein Trugschluss, wie sich jetzt zeigt. Denn trotz dieses durchschnittlich höheren Ausbildungsgrades von Frauen zeigt sich keine Gleichstellung der Frauen in den anderen drei Bereichen Arbeit, Einkommen und Familie. Das Bildungspotenzial von Frauen wird weiterhin zu wenig genützt.

Darüber hinaus ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Ausbildungslandschaft von Frauen stärker zwischen niedrigen und hohen Abschlüssen verteilt ist. So sind Frauen bei den 15- bis 24-Jährigen, die weder in Ausbildung noch in Beschäftigung stehen (NEET), stärker vertreten (Frauen 9,7 %, Männer 8,4 %) und ihr Anteil mit max. Pflichtschulabschluss ist höher (Frauen 22,7 %, Männer 15,5 %). Auch die Wahl unterschiedlicher Ausbildungsfelder hat aufgrund der unterschiedlichen Einkommen nach Branchen und Berufsgruppen einen wesentlichen Einfluss auf die geringere Entlohnung von Frauen.

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Größter Nachholbedarf beim Thema Familie

Frauen erreichen im gesamten Themenfeld Familie österreichweit nur 39 % der Werte der Männer, wobei es seit 2015 de facto keine Veränderung gab (38 %). Damit besteht hier der größte Nachholbedarf. Gleichzeitig hat dieses Themenfeld einen zentralen Einfluss auf die anderen Indikatoren. Den besten Wert erreicht Wien mit 49 %, während Vorarlberg nur ein Drittel der Gleichstellung im Bereich Familie erreicht (33 %). Somit bestehen im westlichsten Bundesland zwei Drittel Verbesserungspotenzial.

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Den größten Unterschied gab es beim Indikator Frauen- und Männeranteil in Karenz. Der Männeranteil in Karenz lag bei 19 % und obendrein wählen Männer vermehrt kurze Kindergeldbezugszeiten. Auch die Vereinbarkeitsproblematik nach der Karenz trifft mehrheitlich Frauen. Während 77 % der Frauen mit betreuungspflichtigen Kindern unter 15 Jahren in Teilzeit arbeiten, tun das nur 6,8 % der Väter. Ihr Teilzeitanteil lag damit sogar unter jenem von Männern ohne Kinder.

Und während Frauen nach der Karenz 81,2 % ihres vorherigen Einkommens erhalten, sind es bei Männern 102,4 %. Die Einkommenssteigerung bei Männern nach der Karenz ist dabei nicht auf eine vermeintlich höhere Position und besser bezahlte Branche zurückzuführen – wie eine Analyse der Ausbildungs- und Branchenstruktur jener Männer zeigt –, sondern darauf, dass Männer nach der Karenz im Schnitt schlicht nicht mit Einkommenseinbußen rechnen müssen.

Hingegen muss die Einkommensreduktion bei Frauen nach der Geburt des ersten Kindes noch größer geschätzt werden, denn zum Teil haben Frauen bereits vor der Karenz Teilzeit gearbeitet – oft aufgrund eines betreuungspflichtigen Kindes. Hinzu kommt, dass ein Viertel der Frauen (26,7 %) und 18,6 % der Männer nach der Karenz die Branche wechseln. Bei Frauen liegt das insbesondere an Mobilitäts- und zeitlichen Flexibilitätsgründen.

Geringere Arbeitslosenquoten von Frauen führen zu einem vergleichsweise guten Abschneiden im Themenbereich Arbeit

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Frauen verzeichnen in allen Bundesländern eine niedrigere Arbeitslosenquote und in allen Bundesländern außer in Salzburg und Tirol einen geringeren Anteil an wiederkehrender Arbeitslosigkeit. Von verfestigter Arbeitslosigkeit sind Frauen dagegen anteilsmäßig häufiger betroffen als Männer (Frauen 47,6 %, Männer 43,3 %).

In den Teilbereichen Arbeitszeit, berufliche Position und Ausmaß der Beschäftigungsintegration schneiden Frauen ebenfalls schlechter ab als Männer. Überdies sind Frauen weniger häufig ausbildungsadäquat beschäftigt. 23,4 % der Frauen und 14,2 % der Männer sind für ihre Tätigkeit zu gut qualifiziert.

Das AMS reagiert seit längerer Zeit auf diese Analysen und hat ein arbeitsmarktpolitisches Frauenprogramm konzipiert, das auf Laufbahnberatung und Qualifizierung für Frauen setzt. Das Programm unterstützt gezielt Frauen beim Wiedereinstieg in den Beruf und gibt Frauen in Handwerk und Technik (FiT) die Möglichkeit, technische Ausbildungen bis zum Lehrabschluss bzw. einen Abschluss an einer Fachhochschule zu machen.

Fazit: Ansatzpunkte, damit wir nicht bis 2075 warten müssen

Im Vergleich der Bundesländer schneidet Wien punkto Gleichstellung mit Abstand besser ab als die übrigen Bundesländer. Dies kann auf mehrere Faktoren zurückgeführt werden: Neben einer sich unterscheidenden Branchenstruktur (höherer Anteil an öffentlichem Dienst) bietet Wien ein flächendeckendes, leistbares und ganztägiges Kinderbetreuungsangebot, eine hohe Mobilität durch die öffentliche Infrastruktur und eine höhere Väterbeteiligung an Karenz und Teilzeitbeschäftigung. Die vorhandene Betreuungsstruktur ermöglicht mehr Frauen in Wien, Vollzeit zu arbeiten. Zusätzlich spielt der große Anteil von Frauen mit Hochschulabschluss eine tragende Rolle. Auch wenn die Höherqualifizierung nicht automatisch zu einer Gleichstellung führt, so trägt sie doch wesentlich zu einer besseren Arbeitsmarktintegration bei. Darüber hinaus ist ein modernes Rollenbild von Müttern und Vätern im urbanen Umfeld ein wesentlicher Faktor. Hier gäbe es durchaus Ansatzpunkte für den regionalen Raum. Aber auch Wien ist weiterhin gefordert.