Die Zahl der Besichtigungen durch Arbeitsinspektoren brach quer durch Europa im letzten Jahrzehnt ein. Die meisten Arbeitsplätze waren dadurch auf die COVID-19-Pandemie schlecht vorbereitet, die Auswirkungen sind dramatisch und offenbaren sich etwa in mangelnden Schutzausrüstungen.
Neue Nachforschungen des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) decken auf, dass Inspektionen in Bezug auf ArbeitnehmerInnenschutz seit 2010 um ein Fünftel gekürzt wurden, die Anzahl jährlicher Besuche sank europaweit von 2,2 auf 1,7 Millionen.
Sinkende Zahl an Inspektionen von Arbeitsplätzen steigert das COVID-Risiko
Die Analyse des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) von ILO-Daten aus 22 Ländern ergab, dass Arbeitsplatzinspektionen in zumindest 16 Ländern der Europäischen Union seltener wurden, in Portugal und Malta wurden Kontrollen zwischen 2010 und 2018 um über die Hälfte reduziert.
Dazu kam innerhalb der EU der Verlust von über 1.000 ArbeitsinspektorInnen, die für Besuche von Arbeitsplätzen verfügbar sind. Am stärksten reduzierte Belgien die Zahl des Personals im Außendienst: um 48 Prozent, gefolgt von Rumänien mit 45 Prozent.
Von den europäischen Ländern erfüllt mittlerweile über ein Drittel den ILO-Standard von einem Arbeitsinspektor bzw. einer Arbeitsinspektorin je 10.000 ArbeitnehmerInnen nicht mehr. Im EU-Durchschnitt sank die Zahl der Inspektionen um 18 Prozent und die Zahl an ArbeitsinspektorInnen um 8 Prozent.
Auch Österreich reiht sich mit den Zahlen aus 2018 in dieses Negativ-Ranking ein (1 AI je 11.054 AN). Hierzulande wird immer wieder der Anspruch geltend gemacht, in der Top-Liga mitzuspielen: Zeit, den Personalstand (und somit die Kontrolle guter Arbeitsbedingungen) auch dementsprechend zu erhöhen!
Die EGB-Analyse der ILO-Daten erscheint am internationalen Gedenktag für ArbeitnehmerInnen. An diesem Tag gedenken die Gewerkschaften derer, die im vergangenen Jahr bei der Arbeit ums Leben gekommen sind, sich eine Behinderung, Verletzung oder sonstige Beeinträchtigung zugezogen haben.
Viele der über eine Million Opfer von COVID-19 in Europa haben sich die Krankheit am Arbeitsplatz zugezogen, über 100.000 Menschen sterben noch immer jedes Jahr an arbeitsbedingtem Krebs und die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle stieg.
Der große Einschnitt bei den Arbeitsinspektionen in den letzten zehn Jahren führte dazu, dass Arbeitsplätze für die COVID-19-Pandemie schlecht vorbereitet waren, und trifft die verletzlichsten ArbeitnehmerInnen wie Frauen, junge ArbeitnehmerInnen und MigrantInnen am meisten, während die niedrige Zahl an ArbeitsinspektorInnen eine sichere Rückkehr zum Arbeitsplatz erschwert.
Der EGB ruft dazu auf, COVID-19 als Berufskrankheit anzuerkennen, Regeln für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz gänzlich durchzusetzen mittels häufigerer und rigiderer Inspektionen und einen besseren Schutz und Ressourcen für die InspektorInnen, die sie durchführen, zu gewährleisten!
„Es ist ein Skandal, dass sich die Zahl der Sicherheitskontrollen an Arbeitsplätzen am tiefsten Punkt eines Jahrzehnts befand, als COVID-19 zuschlug. Arbeitsinspektionen europaweit wurden zusammengestrichen als ein Ergebnis der Austeritätspolitik, und das ließ Arbeitsplätze zweifelsfrei schlechter vorbereitet für die Pandemie zurück und kann viele Leben gekostet haben.
Es ist Zeit, dass Europa aufhört, Leben so billig zu behandeln, und die Sicherheit der Menschen an erste Stelle setzt. Alle Länder brauchen einen dramatischen Zuwachs der Zahl an ArbeitsinspektorInnen, um eine sichere Rückkehr zur Arbeit nach der Pandemie zu erleichtern und um der inakzeptabel hohen Zahl an tödlichen Arbeitsunfällen und arbeitsbedingtem Krebs zu entgegnen.
Es ist daher atemberaubend, dass die Europäische Kommission die Woche des internationalen Gedenktags für ArbeiterInnen für eine One-in-one-out-Deregulierungspolitik gewählt hat, die wichtige Regelungen für Sicherheit und Gesundheitsschutz verhindern könnte. Die Kommission sollte wissen: Red Tape (Vorschriften) ist roten Bandagen immer vorzuziehen!“
(Per Hilmersson, stellvertretender Generalsekretär des EGB)
Einer von drei Menschen arbeitet von zu Hause, doch für am Arbeitsplatz Anwesende müssen spezielle Vorkehrungen getroffen werden. COVID-19 zeigt die Bedeutung des ArbeitnehmerInnenschutzes für Leben – und Tod.
Unter 530.000 Toten durch COVID-19 in der Europäischen Union (per 25. Februar 2021) sind Tausende von ArbeitnehmerInnen, die das Virus durch die Arbeit bekommen haben.
Während Impfungen Hoffnung bieten, muss ArbeitnehmerInnenschutz eine absolute Priorität in den kommenden Monaten und darüber hinaus bleiben. Sicherheit und Gesundheit sind kein Geschenk der Behörden oder eines guten Arbeitgebers: Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit sind DEIN Recht. Ein Recht, für das Gewerkschaften kämpfen!
In der EU hat „jede/r ArbeiterIn das Recht auf Arbeitsbedingungen, die seine oder ihre Gesundheit, Sicherheit und Würde respektieren“ (Grundrechtscharta der Europäischen Union, Artikel 31).
Das EU-Recht (Rahmenrichtlinie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, 1989)
- verpflichtet Arbeitgeber, für sichere und gesunde Arbeitsplätze zu sorgen,
- erfordert, dass alle ArbeitnehmerInnen durch ArbeitnehmerInnenschutz-Recht geschützt sind, und
- gibt ArbeitnehmerInnen das Recht auf Information und Anhörung zu Sicherheit und Gesundheit sowie zur Benennung von Sicherheitsvertrauenspersonen.
Es bedeutet, dass Arbeitgeber für offensichtliche Risken verantwortlich sind, wie Exposition gegenüber gefährlichen Substanzen, schwerem Heben oder wiederholten Bewegungen, genauso wie andere weniger anerkannte Risken wie arbeitsbedingten Stress, Belästigung oder Bullying.
COVID-19 offenbart Mangel an Schutzausrüstung und sozialem Schutz
Trotz klarer Rechte sind Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Weitem nicht Realität für alle ArbeitnehmerInnen. Einer bzw. eine von drei ArbeitnehmerInnen in Bulgarien, der Slowakei und Spanien sowie fast die Hälfte in der Tschechischen Republik und Griechenland, die persönliche Schutzausrüstung (PSA) tragen müssen, bekommen diese nur manchmal oder gar nicht zur Verfügung gestellt. Während der COVID-Krise hatten viele der „SystemerhalterInnen“ – Frauen sind dabei überrepräsentiert –, etwa in der Pflege und im Reinigungssektor, keine adäquate PSA. Das Gleiche galt für prekäre ArbeiterInnen, deren verminderter sozialer Schutz ihnen keine Wahl lässt, als weiterzuarbeiten, sogar wenn sie Symptome des Coronavirus zeigten.
Viele Menschen hatten keine Möglichkeit, die vielbeschworene soziale Distanz in der Arbeit einzuhalten. Homeoffice hat spezifische Risiken, wie erhöhte häusliche Gewalt (bis zu einem Drittel in manchen EU-Ländern während des Lockdowns), lange Arbeitszeiten, verringerte Möglichkeit zum Abschalten und ein Mangel an passender Ausstattung zu Hause. Mit dem Wachstum an ArbeitnehmerInnen auf digitalen Plattformen gibt es auch eine wachsende Zahl an ArbeitnehmerInnen ohne ordnungsgemäße PSA. Nur 35 Prozent der Plattform-ArbeiterInnen sagen, ihre Plattform hat Maßnahmen ergriffen, sie in der Pandemie zu unterstützen.
Gewerkschaften als Schlüssel zu mehr Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz
Gewerkschaften und Sicherheitsvertrauenspersonen spielen eine entscheidende Rolle in der Sicherstellung von ArbeitnehmerInnenschutz. Jeder arbeitende Mensch, der sich über Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz Gedanken macht, sollte „seiner“ Gewerkschaft beitreten und herausfinden, ob es eine Sicherheitsvertrauensperson (SVP) im Betrieb gibt. Die Fachgewerkschaft kann mit rechtlicher Beratung unterstützen und fachliche Hilfestellung geben, sodass die SVP vom Management angehört wird.
Gewerkschaften kämpfen für bessere Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz und in rechtlicher Hinsicht. Die Gewerkschaftsbewegung erreichte EU-weite Grenzwerte am Arbeitsplatz für viele krebserregende Stoffe und kämpft darum, strengere Grenzwerte zu erhalten, für mehr gefährliche Arbeitsstoffe. Gewerkschaften streben nach stärkeren rechtlichen Verpflichtungen für Arbeitgeber, Stress und Rückenschmerzen (sowie andere sogenannte Muskel-Skelett-Erkrankungen) zu bekämpfen. Gewerkschaften drängen auch auf die Implementierung einer wichtigen Entscheidung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) von 2019 anlässlich der Konferenz ihres 100-jährigen Bestehens: Sicherheit und Gesundheitsschutz als fundamentales Recht am Arbeitsplatz zu implementieren.
Sicherheit und Gesundheit sind nicht nur etwas für den Gedenktag der ArbeiterInnen oder sogar in der Pandemie – es ist dein Recht, es gilt lebenslang: buchstäblich!
Weitere Infos:
EGB–Briefing zu Verletzungen von Regelungen im ArbeitnehmerInnenschutz während der COVID-Krise
Daten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu Inspektionen von Arbeitsplätzen
Daten der ILO zur Anzahl von ArbeitsinspektorInnen
Tätigkeitsberichte der Arbeitsinspektion