Arbeitsbedingungen: Österreich ist Europameister! Oder doch nicht?

06. Mai 2015

Die Bedingungen am Arbeitsplatz bilden ein breites Spektrum, in dem unterschiedliche Faktoren auf komplexe Weise miteinander verflochten sind. Unter Arbeitsbedingungen fallen alle relevanten Themen zur Arbeitszeit, dem Arbeitsumfeld, der Arbeitsintensität, der Arbeitszufriedenheit und Arbeitsorganisation. Dazu kommen physische, psychosoziale und kognitive Faktoren sowie Fragen zu Gesundheit, Weiterbildung, Gewalt/Mobbing aber auch die sozialen Beziehungen zu den Stakeholdern und das Verhältnis zwischen Arbeits- und Privatleben. Die Vielfalt der Materie zeigt, dass viel Potential für wissenschaftliche Studien gegeben ist. Ob diese schlussendlich als objektiv, valide und reliabel bezeichnet werden, hängt vielfach von der Ausführung bzw. der Interpretation dieser ab.

 

Bestimmte Organisationen der Arbeitgeber/-innen berufen sich darauf, dass Österreich im europäischen Vergleich eine Spitzenposition bei den Arbeitsbedingungen einnehme. Es ist jedoch oftmals ein zweiter, kritischer Blick notwendig, um der Realität ein Stück näher zu kommen.

Österreich nimmt in puncto Arbeitsbedingungen in vielen wissenschaftlichen Untersuchungen der letzten Jahre einen der vorderen Plätze im Ranking ein. Im Vergleich zu anderen Ländern herrscht in Österreich derzeit eine erhöhte Zufriedenheit mit den Bedingungen am Arbeitsplatz. Zumindest auf den ersten Blick.

Verschlechterte Arbeitsbedingungen: Der Blick hinter die Kulissen

Laut Eurobarometerstudie 398, welche die Europäische Kommission im April 2014 veröffentlichte, landet die Alpenrepublik im Vergleich aller 28 EU-Staaten hinter Dänemark (94%) gleichauf mit Belgien auf Platz 2 (90%). Der EU-Durchschnitt beträgt 77%. Doch bevor die Arbeitgebervertretungen (WKO) in Glückseligkeit schwelgen und Dankes-Poster in oberösterreichische Betriebe verteilen, lohnt sich ein zweiter, kritischer Blick hinter die Kulissen. Mehr als die Hälfte aller befragten Österreicher/-innen (52%) gaben aufgrund ihrer Erfahrung bzw. aufgrund von Informationen von berufstätigen Freunden und Verwandten an, dass sich die Arbeitsbedingungen verschlechterten. Lediglich 11% sprachen von einer Verbesserung. Damit liegt Österreich auf Platz 16 und unterhalb des EU-Durchschnitts.

Der im Herbst 2014 veröffentlichte OECD-Beschäftigungsausblick bewertete die derzeitigen Entwicklungen auf den Arbeitsmärkten im OECD-Raum sowie in den wichtigsten Schwellenländern. In der erstmals ermittelten Beschäftigungsqualität, welche aus den drei Dimensionen „Qualität des Arbeitsplatzes, Einkommenshöhe und -ungleichheit sowie aus dem Arbeitsumfeld“ besteht, schneidet Österreich mittelgut ab. Lange Arbeitszeiten und hoher Zeitdruck dämpfen die Freude über das geringe Risiko arbeitslos zu werden. Dadurch liegt Österreich bei diesen Indikatoren auch nur auf dem bescheidenen 27. Rang von 32 erfassten OECD-Ländern. In den Empfehlungen der OECD für unser „viel gerühmtes“ Land wird hervorgehoben, dass das Arbeitsumfeld in Zukunft verbessert werden muss, um erhöhten Burnout-Raten und andere stressbedingte physische und psychische Krankheiten vorzubeugen.

Die Frage nach dem 13-Stunden-Arbeitstag

Um die Aussagekraft einer Studie beurteilen zu können, reicht oftmals der erste Blick auf die Fakten alleine nicht aus. Hochtönende, wirtschaftsromantische Phrasen werden voreilig in die Öffentlichkeit getragen, ohne eine gründliche Überprüfung der Vorgehensweise über die Studienerstellung durchzuführen. Wurde eine solche Kontrolle durchgeführt, besteht jedoch immer noch die Gefahr des bewussten Ignorierens.

Als besonders interessantes Beispiel kann an dieser Stelle, die oben angeführte Eurobarometerstudie fungieren. In dieser wurden Fragen an die Arbeiternehmer/-innen zur gängigen Praxis am Arbeitsplatz gestellt. Unter anderem wurden sie gefragt, ob sie in den „Genuss“ kommen von…

  • …einem arbeitsfreien Tag pro Woche
  • …vier Wochen bezahlten Urlaub pro Jahr
  • …Arbeitstage, die nicht länger als 13 Stunden dauern

Wenn solche Fragen in einer europaweiten Studie durch die EU-Kommission durchgeführt werden, dann darf die Frage nach der eigentlichen Aussagekraft wohl erlaubt sein. Dass Österreich an diesen minimalen Standards gemessen gut bis sehr gut abschneidet, wird niemanden überraschen und darf folglich nicht überbewertet werden. Es gilt: Man erhält immer die Antworten, nach denen man fragt.

Die Stärken weiter ausbauen und an den Schwächen arbeiten

Anstatt einzelne positive Fakten hervorzuheben und die negativen auszublenden, sollte der Blick vielmehr dahingehend gerichtet werden, weiterhin an den Stärken zu arbeiten und diese flächendeckend auszubauen, aber auch die Schwächen zu analysieren und Handlungsmöglichkeiten für Verbesserungen zu finden. Dies bedarf einer noch stärkeren Zusammenarbeit aller Sozialpartner als bisher, denn es gibt noch viel für die Arbeitnehmer/-innen zu tun, um die derzeitigen Arbeitsbedingungen zu optimieren.

Ob ein Land in einer Kategorie erster oder letzter in einem Ranking ist, kommt immer auf die Tatsache an, was und mit wem man sich vergleicht. Letzten Endes kommt es aber nicht darauf an, welchen Platz Österreich in einem Ländervergleich einnimmt. Das, was im Grunde genommen zählt, sind die bestmöglichen Arbeitsbedingungen für eine optimale Performance am Arbeitsplatz, denn davon profitieren schlussendlich alle.