Ahnungslos, aber nicht tatenlos – Wie ÖkonomInnen seit der Finanzkrise Politik mach(t)en

19. September 2013

Wer kennt sie nicht mehr, die Vorwürfe vor allem zu Beginn der Finanzkrise: Die ÖkonomInnen hätten versagt. Kaum einer hatte die Krise vorausgesehen. Sie waren fast alle ahnungslos. Ja, in einem kritischen Moment Frühjahr 2009 hieß es von ihnen sogar selber, ihre Modelle seien für solch Situation ungeeignet. Ahnungslos und unfähig heißt aber noch lange nicht inaktiv, und schon gar nicht politisch inaktiv. Wie einzelne Gruppen von deutschsprachigen ÖkonomInnen gezielt versuchen, gesellschaftliche Entwicklung nach neoliberalen Vorstellungen zu beeinflussen – von Kampagnen bis zur Parteiengründung – zeigt eine neue Studie des Instituts zur Gesamtanalyse der Wirtschaft an der Universität Linz.

Um es vorwegzunehmen: Bei der Analyse des politischen Verhaltens der deutschsprachigen ÖkonomInnen in der Finanzkrise standen zwangsläufig vor allem deutsche ÖkonomInnen im Mittelpunkt. Und sie beherrschten auch teilweise den Diskurs in Österreich (hier durch Hans-Werner Sinn) und in der Schweiz (hier durch Hans-Werner Sinn, Otmar Issing und Joachim Starbatty).

Ein noch wesentlicherer Unterschied war bei der Analyse der Vernetzung zwischen den drei deutschsprachigen Ländern zu erkennen: Während sich in Österreich und in der Schweiz die Netzwerke um die Wissenschaftsinstitute ranken – gemäß der ursprünglichen Aufgabe der Politikberatung seitens der Institute, und dabei relativ ausgewogene Interessensvertretungen anzutreffen sind, welche von der Tradition der institutionali­sierten Sozialpartnerschaft herrühren – ergab sich für Deutschland ein differenzierteres Bild, welches auch das alte Selbstverständnis der WissenschaftlerInnen als PolitikberaterInnen in Frage stellt: Hier sind Netzwerke anzutreffen, die sich im wahrsten Sinn des Wortes spezialisierten.

Der „Kern der Regierung“ in der Krise…

In Berlin/Bonn ist z. B. eine „Politiker“-Gruppe aktiv. Dieses Netzwerk besteht im Kern aus den Personen Axel Weber, Jörg Asmussen und Jens Weidmann. Letztere beide haben bei Weber in Bonn studiert bzw. promoviert. Zusammen sind diese drei (Axel Weber nur beratend) auch im SoFFin (Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung) tätig, dem Gremium, in dem die ca. 470 Mrd. Euro an Banken verteilt wurden, um diese vor Pleiten zu retten. In der Phase der Rettung von Banken und großen Unternehmen kam es also zu einer ungeheuren Konzentration von Macht auf eine sehr kleine Gruppe von Personen, die über Parteigrenzen hinweg sehr eng vernetzt war (Stern) und sich in ihrem Selbstverständnis als „Kern der Regierung“ (Asmussen im Spiegel 17/2009) begreifen.

Eine zweite Gruppe, die der „Wirtschaftsforscher“, ist in Mannheim anzutreffen. Zum engeren Kreis des Netzwerkes in Mannheim gehören Heinz König, Hans-Werner Sinn, Wolfgang Franz, Klaus Zimmermann und Christoph Schmidt. Hier steht die (klassische) „Lehrer“-Figur im Zentrum (Heinz König). Alle Akteure ste­hen bzw. standen einem Wirtschaftsforschungsinstitut vor (ZEW Mannheim, ifo München, DIW Berlin und RWI Essen), sind wissenschaftlich stark an universitäre Struk­turen ver­ankert, sind forschungsseitig international gut vernetzt, aktiv in Be­ratungsgremien und nur wenig in Think Tanks aktiv. (Klaus Zimmermann wird im „ÖkonomenBlog“ der neoliberalen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) aufgeführt).

… oder gleich eine eigene Partei…

Ganz anders dagegen ist das Bild in Hamburg: Hier wird vorrangig Think Tank gestützt mediale Politik gemacht. Zur Hamburger Gruppe gehören im Kern die Ökonomen Thomas Straubhaar, Bernd Lucke und Michael Funke, die zusammen auch den Hamburger Appell initiiert haben. Besonders auffällig ist hier die ausgesprochene Anbindung an Think Tanks.

Zudem geht der politische Anspruch hier so weit, dass es – vor allem über Bernd Lucke – im Geflecht „bürgerbewegter“ Initiativen sogar zur Parteiengründung kam – die „Alternative für Deutschland“, die aus der Initiative „Wahlalternative 2013“ hervorging.

bürgerbewegteQuelle: Hirte (2013)

Diese spezialisierten Netzwerke sowie die mediale Diskurspräsenz konterkarieren das gerne selbst gewählte Bild des „objektiv analysierenden“ ExpertInnen, die dann mit ihren „wissenschaftlichen“ Ergebnissen die Politik beraten. Und ebenso sind ÖkonomInnen nicht nur entweder international anerkannte SpitzenforscherInnen oder renommierte WissenschaftsberaterInnen, wie jüngst in einer Studie (Haucap und Mödl 2013) angeführt wurde.

Altbekannt in neuem Gewand … neoliberale neue Formierungen

Vielmehr lassen sich im Kern hier neben der „alten“ anerkannten politischen Einflussebene (WissenschaftlerInnen als BeraterInnen in entsprechenden Gremien wie dem Sachverständigenrat oder wissenschaftlichen Beiräten von Ministerien) letztlich drei neuere Einflussebenen ausmachen: 1. Think Tanks, 2. kampagnenartige mediale Präsenz, 3. parteiartige Initiativen bis Parteigründung. Im Rahmen der Studie „Ökonomische Krise und ÖkonomInnen“ wurde untersucht, welche ÖkonomInnen den öffentlichen Finanzkrisendiskurs dominierten und in welchen politischen Think Tanks und Initiativen diese aktiv waren. Die folgende Gewichtung (also die Größe der Kreise bei der Person) setzt sich hier einerseits aus ihrer Diskurspräsenz (verstanden als Anzahl ihrer Nennungen im öffentlichen Finanzkrisendiskurs von Sommer 2008 bis Sommer 2011) und andererseits aus ihrer wissenschaftlichen Reputation (hier wurde die Position im Handelsblatt-Lebensranking als Näherungswert verwendet, wobei dieses Ranking durch die niedrige Gewichtung heterodoxer Zeitschriften den ökonomischen Mainstream begünstigt) zusammen:

think tanksQuelle: Pühringer/Hirte (2013)

Es ist also klar erkennbar, dass auch unter veränderten Formen politischer Einflussnahme von ÖkonomInnen die zugrundeliegende ideologische Ausrichtung stark von einem neoliberalen Mainstream geprägt wird, wie sich in der Zentralität von Think Tanks wie der INSM, dem Kronberger Kreis und mittelbar der Mont Pelerin Society sowie auch deren gegenseitige Verbundenheit zeigt. Alternative, heterodoxe, dem Mainstream entgegengewandte polit-ökonomische Think Tanks wie die Keynes-Gesellschaft, die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik oder der Arbeitskreis Politische Ökonomie spielen hingegen eine klar untergeordnete Rolle, bzw. werden an den Rand gedrängt.