Ein Thema eint die österreichischen Finanzskandale der letzten Jahre und viele neoliberale Reformvorschläge zu Privatisierung und Deregulierung: Der Glaube durch Finanzgeschäfte leichtes Geld machen zu können, indem Unterschiede zwischen Zinsätzen ausgenützt werden. Der Enthusiasmus neoliberaler Reformer für Finanzgeschäfte lässt sich ironischerweise nur rechtfertigen, wenn dieselben Reformer nicht an die Effizienz der Finanzmärkte glauben. In der Praxis folgen auf die Spekulation meist der Crash und eine große Rechnung, die die Allgemeinheit begleichen muss.
Stellen Sie sich die folgenden Szenarien vor:
1) Geschäftsleute treten an eine Landesregierung heran mit folgendem Vorschlag: Sie würden am Markt Kredite aufnehmen, um lukrative Investitionen im benachbarten Ausland zu tätigen. Die Landesregierung solle die Ausfallshaftung für die Kredite übernehmen, und diese dadurch wesentlich billiger machen. Weil – mit so einer Ausfallshaftung – die erwarteten Gewinne wesentlich höher wären als die Kreditzinsen, würde am Ende ein schöner Profit für alle Beteiligten übrigbleiben.
2) Das Finanzreferat einer anderen Landesregierung hat liquide Mittel zur Verfügung. Es könnte diese Mittel verwenden um öffentliche Schulden zu tilgen, und sich dadurch die – allerdings recht niedrigen – Zinsen auf diese Schulden sparen. Oder es könnte, in Zusammenarbeit mit Finanzinvestoren, diese Mittel in diversen Derivaten auf den Finanzmärkten veranlagen. Bei der zweiten Variante würde wesentlich mehr Geld am Ende des Tages übrigbleiben – Geld, das sich für wichtige öffentliche Projekte verwenden ließe, die vielleicht auch die Chancen erhöhen, die nächsten Wahlen zu gewinnen.
3) „Wirtschaftsexperten“ rechnen vor: Im gegenwärtigen Pensionssystem werden die Pensionen der jetzigen PensionistInnen aus den Pensionsbeiträgen der jetzt Arbeitenden finanziert. Dieses System ließe sich wie folgt reformieren: Alle, die neu in den Arbeitsmarkt einsteigen, zahlen keine Pensionsbeiträge mehr, sondern investieren in private Pensionsfonds. Solche Fonds werfen wesentlich mehr Rendite ab als öffentliche Schulden Zinsen verursachen. Durch so eine Reform hätten deswegen am Ende alle mehr Geld.
4) In Folge einer Finanzkrise wird vorgeschlagen, die Eigenkapitalerfordernisse der Banken (welche zuvor gesenkt wurden) wieder zu erhöhen, um die Gefahr von neuen Bankenkrisen – und damit Bankenrettungen, die den Staat viel Geld kosten – zu verringern, und um bessere Anreize für Banken zu schaffen. Daraufhin protestiert der Finanzsektor (erfolgreich): Eigenkapital sei viel teurer als Fremdkapital, und deswegen würde durch so eine Reform viel Geld verloren gehen.
Klingt bekannt? Das erste Szenario beschreibt die Anfänge des Hypo Skandals in Kärnten, das zweite die Spekulationen des Salzburger Finanzreferats, das dritte die Privatisierung des Pensionssystems in verschiedenen Ländern, und das vierte Diskussionen zur Finanzmarktreform nach der Krise, die 2008 begann. Die Liste ließe sich beliebig verlängern.
Was eint diese Szenarien? In allen 4 Szenarien glauben die Handelnden, leichtes Geld verdienen zu können – ob im Eigeninteresse oder im Interesse der Allgemeinheit – indem Unterschiede zwischen Zinssätzen ausgenutzt werden. Geld billig borgen und lukrativ investieren, dann bleibt am Ende, nach Rückzahlung der Kredite, was übrig, und alle sind besser dran. Klingt gut, funktioniert aber nicht.
Die Hypothese effizienter Finanzmärkte
Szenewechsel: Der Wirtschaftsnobelpreis ging letzten Herbst an drei Ökonomen für ihre Arbeit über Finanzmärkte. Einer der drei war Eugene Fama, der bekannt ist für seinen quasi-religiösen Glauben an die Effizienz der Finanzmärkte. In ihrer extremen Form, die Fama vertritt, besagt die Hypothese effizienter Finanzmärkte, dass alle verfügbaren Informationen in Marktpreisen verarbeitet sind. Daraus zieht Fama den interessanten Schluss, dass es keine Finanzkrisen geben kann und deswegen auch 2008 keine gab.
Die Hypothese effizienter Finanzmärkte lässt sich allerdings auch etwas weniger radikal (und damit plausibler) formulieren: Es ist schwer, Geld zu verdienen, indem man Unterschiede zwischen Zinssätzen (oder erwarteten Preissteigerungen) ausnutzt. Wenn das möglich wäre, hätten es professionellere Investoren wahrscheinlich schon getan, und damit die Preise soweit nach oben oder unten getrieben, dass sich kein Geschäft mehr machen ließe. Wenn es Unterschiede zwischen Zinssätzen gibt, bedeutet das meist, dass die Anlageform mit den höheren Zinsen riskanter ist.
Und tatsächlich, die Auslandsinvestitionen der Kärntner Hypo scheiterten ebenso wie die der Salzburger Landesregierung; die Privatpensionen amerikanischer Pensionisten verloren 2008 ein Drittel ihres Werts, und die riskanten Investitionen privater Banken mit niedrigem Eigenkapital führten dazu, dass letztlich die Öffentlichkeit die Verluste im Rahmen gigantischer Bankenrettungspakete bezahlte.
Rechtfertigen Zinsdifferenziale Finanzgeschäfte und Privatisierung?
Die Ironie an der Geschichte ist nun, dass die Fans der Finanzmärkte – ob im Kontext von öffentlichen Finanzgeschäften, Pensionsprivatisierungen, oder Bankenderegulierung – ihr Handeln nur rechtfertigen können, wenn sie nicht an die Hypothese effizienter Finanzmärkte glauben. Die „guten Geschäfte für alle“, das „schnelle Geld“, gibt es nur, wenn sich Zinsunterschiede ausnutzen ließen, die nicht mit Unterschieden im Risiko einhergehen.
Andernfalls ist es eine gute Idee, die Hände von solchen Geschäften zu lassen. Spekulation mit öffentlichem Geld, Privatisierungen, und Deregulierung sind nicht magische Geldquellen, sondern verursachen Kosten auf denen meist die Allgemeinheit sitzen bleibt.