In Deutschland ist es im Vergleich zu Österreich wesentlich schwieriger, eine Rente (Pension) über der Armutsgefährdungsgrenze zu erhalten. Gleichzeitig fallen dort die Leistungen der Mindestsicherung für BezieherInnen von Niedrigrenten merklich bescheidener aus und sind mit größeren Zugangsbarrieren behaftet als in Österreich. Die sehr niedrigen Quoten der Inanspruchnahme von Mindestsicherungsleistungen für Ältere sind die Konsequenz daraus und kein Beleg dafür, dass Altersarmut in Deutschland (noch) kein Thema wäre.
Vorweg eine Begriffsklärung: In Deutschland werden Pensionen als Renten bezeichnet, der Begriff Pension wird lediglich für Beamtenpensionen verwendet. Zur leichteren Lesbarkeit wird im Folgenden, wenn auf Österreich oder auf beide Länder Bezug genommen wird, der Begriff Pension verwendet.
In Österreich sichert das steuerfinanzierte, von der Pensionsversicherung administrierte System der Ausgleichszulagen (AZ) Mindesteinkommen für PensionistInnen. In Deutschland übernimmt die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – eine Sonderform der Sozialhilfe – diese Funktion.
Das österreichische Ausgleichszulagensystem
Liegen Pensionen inklusive weiterer Einkommen (aus Erwerbstätigkeit, Vermietung, Kapitalvermögen etc.) unter dem AZ-Richtsatz, dann gebührt eine Ausgleichszulage in Höhe des Differenzbetrages. Vermögensanrechnung gibt es keine. Für im gemeinsamen Haushalt lebende Ehepaare gilt der Ehepartnerrichtsatz, ansonsten der Einzelrichtsatz. 2017 beträgt der Einzelrichtsatz knapp 890 Euro, der erhöhte Einzelrichtsatz 1.000 Euro. Dieser gilt seit 1.1.2017, wenn zumindest 30 Beitragsjahre erworben wurden. Der Ehepartnerrichtsatz beträgt rund 1.334 Euro. Die Ausgleichszulage wird von der Pensionsversicherung als Pensionsbestandteil 14-mal jährlich ausbezahlt. Nach Abzug der Krankenversicherungsbeiträge ergeben sich Jahresnettobeträge von rund 11.822 Euro (Einzelrichtsatz), 13.286 Euro (erhöhter Einzelrichtsatz) und 17.726 Euro (Ehepartnerrichtsatz).
Der Zugang zur Leistung ist äußerst niederschwellig. Die Pensionsversicherung übernimmt für den Staat die Administration und Auszahlung. Sie informiert Personen, die einen Antrag auf Pension stellen, gegebenenfalls aktiv über den Anspruch. Ausgleichszulagen werden in der Bevölkerung als Pensionsbestandteil wahrgenommen, auf den ein Rechtsanspruch besteht. AusgleichszulagenbezieherInnen werden damit nicht in die Rolle von BittstellerInnen gedrängt.
Ältere oder erwerbsgeminderte Personen ohne Anspruch auf Eigen- oder Hinterbliebenenpension sind auf die bedarfsorientierte Mindestsicherung angewiesen. Diese von den Bundesländern ausbezahlte Fürsorgeleistung sieht eine Vermögensanrechnung vor. Für die Mindestsicherung Älterer spielt die bedarfsorientierte Mindestsicherung quantitativ allerdings eine wesentlich geringere Rolle, da ein erheblicher Anteil der BezieherInnen niedriger Alterseinkünfte von der Ausgleichszulage profitiert. Den rund 216.000 Ausgleichszulagen standen 2015 rund 16.000 BezieherInnen der bedarfsorientierten Mindestsicherung im Alter ab 65 (Männer) bzw. ab 60 (Frauen) gegenüber.
Die deutsche Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
Seit 2003 kommt die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zur Anwendung. Sie soll – so die damalige Begründung für die neue Leistung – „verschämte Altersarmut“ verhindern. Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung stellt dem Grunde nach eine Sonderform der Sozialhilfe dar. Sie wird durch die Träger der Grundsicherung im Alter bzw. Sozialhilfe verwaltet, ist steuerfinanziert sowie bedürftigkeitsgeprüft und sieht eine Vermögensanrechnung vor. Die Leistung setzt sich aus dem Regelbedarf (abhängig vom Haushaltsstand), den Kosten für Unterkunft und Heizung sowie eventuellen Mehrbedarfen zusammen. Die Höhe des Regelsatzes der Leistung beträgt seit Januar 2017 409 Euro für Alleinstehende, für Paare 368 Euro pro Person. Hinzu kommen die Kosten für Heizung und Unterkunft, die 2016 rund 350 Euro im Monat betrugen. Die Leistung für Alleinstehende inklusive durchschnittlicher Unterkunfts- und Heizkosten lag somit bei knapp 760 Euro monatlich (rund 9.100 Euro jährlich).
Eigenes Einkommen und Vermögen – wie auch das des/der im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehe- oder Lebenspartners/-partnerin – werden berücksichtigt (Vermögensfreigrenze 5.000 Euro). Der wesentliche Unterschied zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ist der eingeschränkte Regress auf das Einkommen und Vermögen anderer Personen: Unterhaltspflichtige Kinder oder Eltern mit einem Jahreseinkommen von bis zu 100.000 Euro werden nicht belastet, ebenso wie ErbInnen. Als Altersgrenze gilt die Regelaltersgrenze der Rentenversicherung, derzeit 65 Jahre und sechs Monate. Deren Träger sollen auf die Leistung hinweisen und bei der Antragstellung unterstützen. Leistungen werden auf Antrag jeweils für ein Jahr bewilligt.
Keine Reduktion der Armutsgefährdungsquoten durch die Mindestsicherung
Die Armutsgefährdungsgrenze Alleinstehender gemäß der Europäischen Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) entspricht 60 Prozent des äquivalenzgewichteten Medianeinkommens (das ist das mittlere Einkommen), das auf Basis der verfügbaren Nettohaushaltseinkommen nach Sozialtransfers ermittelt wird. Durch die Äquivalenzgewichtung werden die Haushaltsgröße und -zusammensetzung mitberücksichtigt. Menschen mit einem Einkommen unterhalb dieser Grenze werden als einkommensarm bzw. armutsgefährdet bezeichnet. Als letztverfügbaren Wert weist EU-SILC für das Jahr 2016 für Deutschland einen Jahreswert von 12.765 Euro und für Österreich einen von 14.217 Euro aus. Die Daten beziehen sich auf Einkommen des Jahres 2015.
Die aktuellen Mindestsicherungsniveaus liegen damit sowohl in Österreich als auch in Deutschland (relativ) deutlich unter den Armutsgefährdungsgrenzen (obwohl sich diese auf Einkommen des Jahres 2015 beziehen). Das heißt, in keinem der beiden Länder wird durch die Mindestsicherung eine Verminderung der (statistischen) Armutsgefährdungsquoten Älterer erreicht. Das Einkommen bleibt auch nach Bezug einer Mindestsicherungsleistung (mehr oder weniger) deutlich unter der jeweiligen Armutsgefährdungsgrenze. Der Umstand, dass eine Person als armutsgefährdet gilt, heißt damit noch lange nicht, dass auch ein Anspruch auf Mindestsicherung besteht. Je größer der Abstand zwischen Armutsgefährdungsgrenze und Mindestsicherungsniveau ausfällt, desto höher liegt der Anteil armutsgefährdeter Personen, die keinen Anspruch auf eine Leistung der Mindestsicherung haben.
Trotz der merklich höheren Armutsgefährdungsgrenze ist der Abstand zwischen der Mindestsicherungshöhe und dem Grenzwert in Österreich allerdings deutlich geringer als in Deutschland, sodass zumindest das Ausmaß der Armutsgefährdung stärker abgemildert wird. Anders gesagt, liegen Einkommen von BezieherInnen von Niedrigpensionen nach Erhalt der AZ in Österreich näher an der Armutsgefährdungsgrenze als in Deutschland.
Inanspruchnahme von Mindestsicherungsleistungen und Armutsgefährdungsquoten Älterer
Die Mindestsicherungsniveaus für BezieherInnen von Niedrigpensionen liegen also in Österreich merklich höher als in Deutschland und der Leistungszugang ist deutlich niederschwelliger. Beide Aspekte spiegeln sich in unterschiedlichen Quoten der Inanspruchnahme von Leistungen wider.
Im Dezember 2015 betrug der Anteil der Männer im Alter ab 65 Jahren, die eine AZ oder eine Leistung der bedarfsorientierten Mindestsicherung erhielten, 6,3 % (5,7 % nur AZ); der Anteil bei Frauen im Alter ab 60 Jahren lag bei 11,4 % (10,4 % nur AZ). Demgegenüber betrug 2015 der Anteil der Personen ab der Regelaltersgrenze, die in Deutschland die Grundsicherung im Alter bezogen, bei Frauen 3,3 % und bei Männern 2,9 %.
Diese sehr niedrigen Anteile werden häufig – auch in der wissenschaftlichen Diskussion – als Beleg dafür herangezogen, dass Altersarmut zumindest derzeit noch kein „großes“ Thema in Deutschland wäre. Tatsächlich stellt die Quote der Inanspruchnahme von Leistungen der Grundsicherung keinen geeigneten Indikator für die Messung von Einkommensarmut bzw. Armutsgefährdung dar. Denn der Umfang der Inanspruchnahme hängt natürlich nicht nur vom Ausmaß der Armutsgefährdung, sondern auch von der konkreten Ausgestaltung des Grundsicherungssystems ab. Bei gegebener Armutsgefährdung/Einkommensarmut wird die BezieherInnenquote umso geringer ausfallen, je niedriger das Grundsicherungsniveau und je restriktiver der Leistungszugang ist. Eine restriktivere Ausgestaltung von Grundsicherungssystemen reduziert zwar die Quote der Inanspruchnahme von Leistungen der Mindestsicherung, nicht aber das Ausmaß der (statistischen) Armutsgefährdung.
Es ist daher nicht überraschend, dass die Quoten der Inanspruchnahme von Grundsicherungsleistungen in der älteren Bevölkerung in beiden Ländern niedriger ausfallen als die Armutsgefährdungsquoten Älterer. Überraschend sind vielmehr die erheblichen Unterschiede beim Ausmaß der Abweichungen.
Der Abstand zwischen der Quote der Inanspruchnahme von Leistungen der Mindestsicherung und der Armutsgefährdung fiel 2015 in Deutschland wesentlich größer aus als in Österreich. Die Armutsgefährdungsquoten Älterer liegen in Österreich um 4,4 Prozentpunkte (Frauen) bzw. 4,9 Prozentpunkte (Männer) unter den deutschen Werten, die Quoten der Inanspruchnahme von Mindestsicherungsleistungen liegen demgegenüber um 8,1 Prozentpunkte (Frauen) bzw. 3,4 Prozentpunkte (Männer) über jenen in Deutschland.
Der Abstand zwischen Armutsgefährdungsquote und der BezieherInnenquote liegt somit in Österreich bei rund vier Prozentpunkten, in Deutschland bei den Männern bei zwölf Prozentpunkten und bei den Frauen bei knapp 17 Prozentpunkten! Die sehr niedrigen BezieherInnenquoten in der deutschen Grundsicherung für Ältere sollten daher nicht als Beleg für eine geringe Armutsgefährdung Älterer missinterpretiert werden. Sie legen wohl viel eher die Vermutung nahe, dass das Problem der Armutsgefährdung Älterer in Deutschland durch das bestehende System der Grundsicherung im Alter nicht ausreichend berücksichtigt wird – oder umgekehrt Österreich mit der AZ eine deutlich höhere und vor allem auch leichter zugängliche Leistung bietet.