Daseinsvorsorge und Demokratie

03. März 2014

Dienstleistungen und Infrastrukturen der Daseinsvorsorge sollen allen Menschen zugute kommen. Dass sie eine positive Wirkung auf den demokratischen Zusammenhalt haben, steht außer Zweifel. Aber werden sie auch tatsächlich demokratisch kontrolliert und gestaltet? Vorteile und Verbesserungsmöglichkeiten dazu werden hier grundsätzlich beleuchtet.

 

Öffentliche Dienstleistungen sind seit über 100 Jahren ein prägendes Element unserer Gesellschaft und unseres demokratischen Staatsverständnisses. Die Daseinsvorsorge orientiert sich an dem Grundgedanken, Leistungen in hoher Qualität flächendeckend allen Menschen sozial gerecht und diskriminierungsfrei zur Verfügung zu stellen und für faire Arbeits- und Einkommensbedingungen der in diesem Sektor Beschäftigten zu sorgen. Dabei verfolgt die öffentliche Hand – Bund, Länder und Gemeinden – keine kurzfristigen Gewinninteressen, sondern strebt eine nachhaltige Sicherung der Lebensgrundlagen für alle an und gewährleistet die Einhaltung hoher Standards der Sicherheit, des Gesundheits- und Umweltschutzes und unterstützt durch die Zurverfügungstellung von öffentlicher Infrastruktur auch die Unternehmen sowie die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes. 
Der Staat ist bei der Leistungserbringung dem Gemeinwohl verpflichtet und verfolgt einen Versorgungsauftrag, der für private Unternehmen niemals Priorität besitzt, da sie auf Gewinninteressen ihrer Eigentümer Rücksicht nehmen müssen.

Was hat aber die Erbringung von öffentlichen Dienstleistungen in den Bereichen der Daseinsvorsorge (Bildung, Gesundheit, Wasserver- und -entsorgung, Verkehr, Telekommunikation, Post, Abfallentsorgung, soziale Einrichtungen etc.) abgesehen von der Gemeinwohlorientierung mit Demokratie zu tun? Es gibt in diesen Bereichen höchst unterschiedliche Traditionen, Strukturen und Rahmenbedingungen für die Bereitstellung und Erbringung von Dienstleistungen. Mit der Ausdehnung des Wettbewerbsgedankens vor allem durch die EU-Politik wird der Versuch unternommen, historisch gewachsene Strukturen aufzubrechen und ihnen ein einheitliches Regulierungsregime überzustülpen.

Begehrlichkeiten

Dadurch wird dem Staat bzw. den Kommunen die Wahlmöglichkeit genommen, selbst demokratisch legitimiert zu entscheiden, wie und in welcher Ausgestaltung öffentliche Dienstleistungen – im Rahmen der Verwaltung, durch eigene Betriebe oder durch Beauftragung – erbracht werden. Der Zwang zur wettbewerblichen Ausschreibung öffentlicher Dienstleistungen schränkt den Spielraum ein und zwingt die öffentliche Hand, sich vom Leistungserbringer zum bloßen Gewährleister zu verändern. Ihre Aufgabe besteht nur noch darin, die Einhaltung der Rahmenbedingungen zu überwachen.

Diese Vorstellung klingt in der Theorie verlockend, zumal sie in der Regel mit der mehr oder weniger ideologiegetriebenen Vorstellung verknüpft ist, dass private Unternehmen effizienter wirtschaften, so dass letztendlich die Leistung der Daseinsvorsorge für den Staat und damit für den Steuerzahler günstiger erbracht wird. Was dabei aber meist übersehen wird, ist die Tatsache, dass die erhofften Einsparungen einerseits durch den hohen bürokratischen Aufwand für Ausschreibung und laufende Kontrolle deutlich geringer ausfallen oder nur kurzfristig bestehen und andererseits in der Regel zulasten der Beschäftigten gehen, die dann vom Sozialsystem aufgefangen werden müssen. Beim Staat als Besteller geht zudem das spezifische Fachwissen, das auch für die Kontrolle und Vorgabe von Bedingungen nötig ist, verloren und muss – teurer – extern zugekauft werden. Demokratiepolitisch wesentlich dabei ist jedoch, dass die Definition der Leistungen und die laufende Kontrolle nicht mehr Verhandlungsgegenstand der gewählten Mandatare sind, sondern Teil einer komplexen Vertragskonstruktion. Damit wird Demokratie abgebaut, werden die unmittelbaren Kontrollmöglichkeiten von Regierung und Opposition eingeschränkt.

Demokratieabbau

Die größere Gefahr für die Demokratie besteht allerdings darin, dass die zunehmende Erosion öffentlicher Dienstleistungen den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet. Die Daseinsvorsorge bildet einen wichtigen Teil des Sozialstaats und hat so einen unmittelbaren Bezug zum Demokratieprinzip des Staates. Die Verwirklichung einer rechtsstaatlichen Demokratie ist davon abhängig, dass sie auf einer stabilen gesellschaftlichen Grundlage beruht. Zerrissene Gesellschaften, die in Arm und Reich auseinander klaffen, können keine rechtsstaatliche Demokratie aufbauen und bewahren. Die Gefahr der Spaltung der Gesellschaft ist auch innerhalb der EU konkret sichtbar: Wenn die Jugendarbeitslosigkeit 50% bis 60% beträgt wie in Griechenland und Spanien, insgesamt die Arbeitslosigkeit bedrückend hohe Ausmaße erreicht und ein zunehmender Teil der Menschen von Armut bedroht ist, sind auch demokratische Strukturen in Gefahr. Je schwieriger die Wirtschaftslage und die Budgetsituation, desto größer wird das Dilemma: Einerseits sind öffentliche Infrastrukturen und Dienstleistungen dazu da, die Ungleichheit der Chancen zu beseitigen und allen den Zugang zur Grundversorgung sicherzustellen und damit eine stabile Gesellschaft zu erhalten, andererseits sehen sich die öffentlichen Eigentümer und Besteller gezwungen, ihre Einrichtungen der Daseinsvorsorge zu verkaufen oder zumindest deren Angebot drastisch einzuschränken sowie Personal abzubauen und die Einkommens- und Arbeitsbedingungen zu verschlechtern.

Interessant ist auch die Frage, ob Unternehmen der Daseinsvorsorge, die mit den Steuern und Abgaben der BürgerInnen aufgebaut und finanziert worden sind, nicht auch im Eigentum der Bevölkerung stehen und daher ohne ausdrückliche Zustimmung nicht veräußert werden dürften. Auch wenn rein rechtlich ein Verkauf der öffentlichen Daseinsvorsorge zulässig sein mag, ist dennoch zu bedenken, dass damit die demokratische Kontrolle und die Einflussmöglichkeiten mit veräußert werden.

Demokratische Legitimation und Kontrolle, ihr Beitrag zur Stabilisierung der Gesellschaft, zur Verteilungsgerechtigkeit und zur Erhöhung der Chancengleichheit sind eindeutig unverzichtbare Vorteile von öffentlichen Dienstleistungen und Infrastrukturen. Aber sie sind nicht automatisch auch überall in gleichem Maß gewährleistet. Transparenz, demokratische Beteiligung an der Mitgestaltung und Kontrolle der Leistungen der Daseinsvorsorge hängen davon ab, ob und in welchem Umfang die öffentlichen Eigentümer oder Besteller (im Falle der Erbringung von öffentlichen Dienstleistungen durch private oder ausgegliederte Unternehmen im Auftrag der Gebietskörperschaften) dies vorsehen. Dabei ist nicht die Rechtsform oder das Eigentum allein entscheidend, denn auch innerhalb einer Rechtsform können die Kontrollmöglichkeiten sehr unterschiedlich ausfallen, die Bandbreite geht von partizipativ über bürokratisch und politisch geführten bis hin zu profit­maximierenden Unternehmen und Institutionen.

Legitimation und Kontrolle

Wenn es darum geht, den Bereich der Daseinsvorsorge zu stärken und in öffentlichem Eigentum zu erhalten, dann ist es ein absolutes Muss, die demokratische Ausgestaltung und Legitimation der öffentlichen Dienstleistungen im Auge zu haben. Konkret bedeutet das eine systematische Berücksichtigung und Einbeziehung der EndkundInnen in die Gestaltung der Dienstleistungen, also eine konsequente Kundenorientierung, etwa über Fahrgastbeiräte oder KundInnenforen, Transparenz von Leistungsverträgen und Grundlagen der Tarif- und Gebührengestaltung (etwa durch ein Begutachtungsrecht der AK auch bei ausgegliederten Unternehmen), Einbeziehung und Partizipation der Öffentlichkeit in längerfristige Planungsvorhaben, transparente Systeme des Qualitätsmonitorings und eine systematische Berücksichtigung von strengen Sozialkriterien und Mitgestaltungsrechten für die Beschäftigten zur Sicherung der Arbeitsplätze und menschenwürdiger, fairer Arbeitsbedingungen. Nur so ist auch die Akzeptanz der Bevölkerung und letztlich der politische Rückhalt für die Sicherung der Daseinsvorsorge entgegen den neoliberalen Mainstream längerfristig denkbar.

Der folgende Beitrag ist in veränderter Fassung auch in der Wirtschaft und Umwelt erschienen: http://www.ak-umwelt.at/