Die Bedeutung der unterschiedlichen Verwaltungsebenen in der Stadt – Wien als Bundesland, Wien als Gemeinde und Wien als Summe von 23 Bezirken – hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert. Das Bundesland Wien hat auch durch den Beitritt zur Europäischen Union an Gewicht verloren, die städtische Ebene ist nach wie vor die wichtigste, hier werden die wesentlichen Entscheidungen getroffen. Die Bezirksebene wurde seit den 70er Jahren zwar ständig aufgewertet, weist aber nach wie vor viele Ungereimtheiten und unklare Zuständigkeiten auf.
Bezirk gegen Stadt – das ist Brutalität
Die Dezentralisierung erfolgte ab den 70er Jahren in einer Phase der stagnierenden Stadtentwicklung und zielte auf politische Stärkung der Bezirke ab. Die angedachten Aufgaben betrafen ursprünglich Bestandspflege und Erhaltungsmaßnahmen. In mehreren Schritten wurden die Kompetenzen und Mitwirkungsmöglichkeiten der Bezirke erweitert. Manche sind Festgeschrieben andere haben sich mit der Zeit eingebürgert. Vor dem Hintergrund der nun völlig veränderten Situation, einer sehr dynamischen Stadtentwicklung, scheint es zielführend, eine deutlichere Unterscheidung zwischen gesamtstädtischen Interessen und Bezirksinteressen zu treffen und die Entscheidungsstrukturen und das Verwaltungshandeln entsprechend anzupassen. So sehr lokale Anliegen verständlich sind, sind gesamtstädtische Notwendigkeiten in einer wachsenden Stadt von zentraler Bedeutung. Dass zB aufgrund eines Bezirksvertretungsbeschlusses, der im Endeffekt ein paar Schanigärten in der Neubaugasse rettet, die frequenzstärkste Wiener Buslinie 13 A (13 Millionen Fahrgäste jährlich) und mit ihr täglich tausende Passagiere einen kilometerlangen Umweg fahren, ist mit dem Begriff Schildbürgerstreich nur unzureichend beschrieben.
Die tatsächliche Macht ist informell
Das zeigt aber auch eine andere Usance im Verhältnis Stadt – Bezirke auf. Die tatsächliche ‚Macht‘ der Bezirke ist informell begründet und kann va in den Bereichen Verkehr und Flächenwidmung sehr groß sein. Gegen an sich unverbindliche Stellungnahmen der Bezirke gibt es kaum Entscheidungen seitens der Stadt. Das war auch bei der Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung gut zu beobachten. Eine gesamtstädtische Kompetenz wird Bezirken übertragen – völlig unabhängig davon, dass jede Bezirksentscheidung massive Auswirkungen auf andere Bezirke hat. Ein gesamtstädtisches Konzept ist so kaum sinnvoll realisierbar, das Florianiprinzip wird bisweilen zur Handlungsmaxime.
ArbeitnehmerInnen Außen vor
Zudem betrifft Bezirksentwicklung nicht nur die Wohnbevölkerung sondern insbesondere auch die Arbeitsbevölkerung, deren Interessen im Bezirk aufgrund des Wahlrechts unzureichend beachtet werden. In einigen Bezirken treten die stadtstrukturellen Unterschiede in der Verteilung der Betriebsstätten und Arbeitsplatzangebote besonders klar zu Tage – so weisen die Bezirke 1, 3, 6, 7 und 9 die höchsten Arbeitsplatzdichten (Arbeitsplätze pro EinwohnerIn) auf: Im 1. Bezirk kommen auf eine/n BezirksbewohnerIn sieben ArbeitnehmerInnen. Im 9. Bezirk ist das Verhältnis 1:1,4, und in Neubau 1:1,2. Die politische Vertretung wird jedoch ausschließlich von den BewohnerInnen, sofern EU BürgerInnen, gewählt. Bei der Bezirksvertretungswahl 2015 waren das in der Innere Stadt 9.151 BewohnerInnen die ihre Stimme abgaben.
Auf die Liste des im Endeffekt gewählten Bezirksvorstehers entfielen 2.350 Stimmen. Im ersten Bezirk sind 114.628 Beschäftige erfasst. 2.350 die den Vorsteher gewählt haben zu 114.628 die von seinen Entscheidungen täglich betroffen sind, aber nicht wählen dürfen. Anders ausgedrückt: 1 zu 49 – es scheint so als ob da ein dezenter Schwanz mit einem übergewichtigen Labrador wedelt.
BezirksrätInnen unter Druck
Eine wichtige Mitwirkungsmöglichkeit der Bezirke sind Lokalaugenscheine, bei denen oft für das alltägliche Leben im Bezirk wichtige Entscheidungen getroffen werden. Von Verkehrsumleitungen, Anwohnerbeschwerden über Baustelleneinrichtung bis zur Grünraumgestaltung. Ein mittlerer Bezirk hat etwa 3.000 dieser Termine pro Jahr. Viele Bezirke haben jetzt schon Probleme diese Lokalaugenscheine wahrzunehmen, da immer weniger berufstätige BezirksrätInnen in der Lage sind (tagsüber) daran teilzunehmen. Diese Probleme werden durch den Druck in der Arbeitswelt zunehmen und werden durch eine ungleiche politische Repräsentanz verschärft. Die momentanen Regelungen führen zu einer starken Gewichtung der kleinen Innenstadtbezirke gegenüber bevölkerungsreichen Flächenbezirken im Außenbereich. So kommt in der Inneren Stadt 1 BezirksrätIn auf je 407 EW, in Favoriten 1 BezirksrätIn auf je 3.043 EW. Es macht den Eindruck dass „besser gestellte” Bezirke politisch dichter repräsentiert sind. Zusammen mit höherer Artikulationsfähigkeit von bestimmten besser gestellten (gebildeten) Bevölkerungsgruppen in neuen Beteiligungsprozessen hat dies Auswirkungen auf das Themensetting der Stadtentwicklung. Eine Stärkung der bevölkerungsreichen Außenbezirke, die mit großen Herausforderungen bezüglich Stadtentwicklung und der sozialen Entwicklung konfrontiert sind, sowie eine bessere Absicherung und Unterstützung der BezirksvertreterInnen bei der täglichen Arbeit sind dringend erforderlich. Außer man findet sich damit ab, dass nunmehr StudentInnen und rüstige RentnerInnen die wesentliche Feldarbeit im Bezirk erledigen.
Budgets und die Budgets der anderen
Darüber hinaus erschwert die geltende Budgetaufteilung (städtisches Zentralbudget vs Bezirksbudgets) und Kompetenzteilungen die Aufgabenerfüllung. Die Bezirksbudgets machen nur einen sehr kleinen Teil des Wiener Budgets aus (unter 2%) und sind zum größten Teil strukturell gebunden. Viele Gestaltungsmöglichkeiten sind nur pro Forma und beschränken sich auf einfaches Durchwinken im Bezirksfinanzausschuss. Die Bezirke haben im Gegenzug aber die Möglichkeit ihren Spielraum zu erweitern, indem sie manche Aufgaben einfach nicht wahrnehmen. Früher oder später muss das Land die Aufgabe übernehmen oder mit starken finanziellen Anreizen versuchen anzuschieben. Zuletzt musste die Stadt mit über 200 Millionen € die Bezirke zu ihrer eigentlichen Aufgabe der Schulsanierung motivieren. Speziell ist hier wieder der 1. Bezirk. Er hat mit 227 € pro EinwohnerIn rund doppelt so viel Budget pro Kopf als die anderen Bezirke (das liegt auch an den vielen ArbeitnehmerInnen, die nicht mitbestimmen dürfen) und ruft ständig nach Sonderbudgets und städtischer Beteiligung – wegen seiner Sondersituation. Das führt dann zu Ergebnissen wie bei der Sanierung der Kärntnerstraße: 90 Prozent zahlt die Stadt – aber der Bezirk pocht auf Mitbestimmung bis ins letzte Detail. – Bis zuletzt kämpfte die Bezirksvorsteherin um ihre geliebten altmodischen „Maiglöckchen-Lampen“ – erfolgreich. Wer zahlt schafft an war gestern?
Bezirksvorsteher als letzte Alleinherrscher ?
Die Rolle der BezirksvorsteherInnen ist zwiespältig angelegt. Der eigene Wirkungsbereich und das eigene Budget sind überschaubar. Die tatsächliche ‚Macht‘ ist informell begründet und kann in den Bereichen Verkehr und Flächenwidmung sehr groß sein. Gegen an sich unverbindliche Stellungnahmen der Bezirke gibt es kaum Entscheidungen seitens der Stadt. Auch auf Bezirksebene tun sich großzügige Handlungsmöglichkeiten auf. Beschlüsse des Bezirksparlaments sind (mit Ausnahme des allgemeinen Budgets) leicht zu ignorieren. Bei speziellen unbeschlossenen Ausgaben und Projekten hilft die Notkompetenz des Bezirksvorstehers. Was „Not“ ist, ist dabei seiner eigenen Auslegung überlassen. So sind Projekte auch ohne Mehrheit „unbürokratisch“ leicht umzusetzen. Und diese ist ja auch nicht Voraussetzung für die Wahl des Bezirksvorstehers. Für die Wahl reicht es aus, dass die aufgrund des Wahlergebnisses berechtigte (stärkste) Partei einen Wahlvorschlag einreicht, der zumindest von der Mehrheit der auf ihrer Liste gewählten BezirksrätInnen unterstützt wird. So reichen theoretisch im 1. Bezirk etwa 13% der BezirksvertreterInnen um den Bezirksvorsteher zu wählen (das ist die Hälfte der 25,7% der Stimmen der Mehrheitsfraktion ÖVP). Gegen diese Regelung ist das heftig diskutierte mehrheitsfördernde Wahlrecht auf Wiener Ebene eine basisdemokratische Spinnerei.
Wie viele Bezirke braucht eine Großstadt?
Eine Reform der Arbeit in den Bezirken, die für die unmittelbare Lebensqualität von hoher Bedeutung ist, ist dringend erforderlich. Wobei die jetzige geografische und sozioökonomische Struktur der Wiener Bezirke aufgrund extrem großer Disparitäten eine sinnvolle generelle Regelung unmöglich macht. Es gibt extreme Unterschiede zwischen den Bezirken: EinwohnerInnen zwischen 16.000 und 182.000, Beschäftigte zwischen 15.000 und 114.000, Größe zwischen 109 und 10.231 HektarBezirke mit heftiger und welche mit praktisch keiner Neubautätigkeit,
Dazu kommt zwischen den Bezirken eine sehr ungleiche Verteilung der Menschen mit hohem und niedrigen Einkommen (und Bildungsstand) sowie der sozialen Infrastruktur und öffentlichen Einrichtungen. Strategische Einrichtungen der Sicherheitsdienste sind dagegen weitgehend gleichverteilt.
Eine sinnvolle allgemeine Reform der Bezirke sollte daher mit einer Gebietsreform zusammenhängen, die vergleichbare Bezirke entweder nach dem Prinzip der Homogenität (gleiche Strukturen sollen zusammenkommen) oder dem der Diversität (jeder Bezirk ist gut gemischt) schafft. Nur für vergleichbare Bezirke lassen sich sinnvolle allgemeine Regelungen finden. Der erste Bezirk passt auf Grund seiner besonderen Bedingungen (geringe Bevölkerungszahl, hohe Arbeitsplatzdichte, städtebauliche Sondersituation „Weltkulturerbe“, Tourismus – historisches Zentrum) jedoch in keines dieser Modelle. Eine direkte Verwaltung durch den Wiener Bürgermeister wäre hier eine passende Lösung. Es gibt Beispiele für große Bezirksreformen in europäischen Städten, jedoch ist vollkommen klar, dass jede Zusammenlegung auf vernünftige Bezirkseinheiten in Wien auf massiven Wiederstand aus mehr oder weniger rationalen wie emotionalen Gründen treffen wird. Sinnvoll wär‘s trotzdem.
Ansätze für eine Bezirksreform in einer wachsenden Stadt:
- Die Einführung klarer Kompetenzzuteilung zwischen Gemeinde und Bezirken mit deutlicher Beachtung gesamtstädtischer Notwendigkeiten ist in einer wachsenden Stadt von großer Bedeutung. Entlastung von Aufgaben auf Bezirksebene, die zentral genauso gut gesteuert werden können bzw von regionaler Bedeutung sind, bei gleichzeitiger weiterer Unterstützung und Qualifizierung der BezirksvertreterInnen.
- Durchführung einer Gebietsreform zugunsten weniger Bezirke, die dafür aber ähnlichere Größen und Strukturen haben. Im ersten Bezirk ist das nicht möglich, er wird aufgrund seiner höchst speziellen Struktur und Funktion direkt vom Wiener Bürgermeister geleitet.
- Unterstützung für berufstätige BezirksvertreterInnen, die immer weniger Möglichkeit haben, tagsüber wichtige Lokalaugenscheine wahrzunehmen: Einführung von mehreren hauptamtlichen „BezirksrätInnen“ (zB öffentlicher Raum, Verkehr, Soziales). Bei Abschaffung des 2. Bezirksvorsteherstellvertreters wäre diese Maßnahme kostenneutral.
- Demokratisierungen des Wahlrechts auf Bezirksebene: BezirksvorsteherInnen sollen von der Mehrheit der BezirksvertreterInnen gewählt werden.
- Mehr regionalen Fokus auf die ArbeitnehmerInnen und deren Bedürfnisse sowie auf den Bereich Soziales.
- Demokratiereformen und politische Beteiligungsinstrumente müssen darauf ausgerichtet sein gesellschaftlichen Spaltungstendenzen entgegenzuwirken und die gleiche Teilnahme aller zu ermöglichen. Im Rahmen von Beteiligungsverfahren sind geeignete Themen und Methoden zu wählen, um auch ausgegrenzte Gruppen anzusprechen.
- Beteiligungsprozesse müssen offen, integrativ und gegebenenfalls aufsuchend und mehrsprachig gestaltet sein, sie sollen Machtunterschiede ausgleichen und dürfen diese nicht verstärken. Dazu braucht es entweder neue Institutionen die gleiche Beteiligung ermöglichen oder zusätzliche Unterstützung für bereits vorhandene Institutionen wie Gebietsbetreuung, Jugendzentren, Mieterbeiräte, Parkbetreuung etc…