Märkte sind, so die Europäische Kommission, für die Menschen da. Dafür muss der Wettbewerb funktionieren – und zwar für alle Menschen. Funktionierender, fairer Wettbewerb liefert bessere wirtschaftliche Ergebnisse, etwa eine ressourceneffiziente Produktion, die bestmögliche Verteilung knapper Güter, mehr Wohlstand und Innovation. Und auch wirtschaftlichen Aufschwung nach Krisen. Aber wie steht es um den Einfluss des Wettbewerbs auf die Gleichheit der Geschlechter?
Wettbewerb spiegelt als soziale Praktik und rechtliche Institution bestehende Ungleichheiten auf Märkten und in anderen gesellschaftlichen Sphären wider. Bislang wurden Wettbewerbspolitik und Wettbewerbsrecht aber noch nicht regelmäßig zusammen mit der Gleichstellung der Geschlechter gedacht.
Frauen stärker betroffen
Die österreichische Inflationsrate wird auch im Jahr 2024 über dem Eurozonen-Schnitt liegen. Funktionierender Wettbewerb könnte einiges dazu beitragen, die Preise zu senken oder stabil zu halten – etwa für wichtige Grundgüter wie Lebensmittel und Energie. Wird Wettbewerb beschränkt oder gestört, beispielsweise durch Kartelle, Monopole, Marktmachtmissbrauch oder gewisse Unternehmenszusammenschlüsse, so schädigt dies Konsumenten unweigerlich. Sie zahlen höhere Preise für Güter in niedrigerer Qualität und haben dabei eine geringere Auswahl. Und die Konsumentinnen? Die sind meist nicht oder nur mitgemeint. Dabei sind sie von wettbewerbswidrigem Verhalten verhältnismäßig stärker betroffen.
Konsumentinnen und Konsumenten sind eine höchst heterogene Gruppe mit unterschiedlicher Bereitschaft und Möglichkeit, Güter zu kaufen beziehungsweise zwischen angebotenen Gütern effektiv zu wechseln. Frauen verfügen bekanntermaßen durchschnittlich über weniger Einkommen, Vermögen und Kapital als Männer, Unternehmerinnen sind deutlich in der Unterzahl, und die übergroße Mehrheit aller weiblich geführten Unternehmen sind Kleinst- oder Kleinunternehmen. Frauen sind also als Unternehmerinnen und auch als Konsumentinnen sogenannte Preisnehmerinnen, denn sie verhandeln oder setzen Preise überwiegend nicht, unfaire Geschäftspraktiken und Preissteigerungen treffen sie wesentlich stärker. Dieser Umstand ist auch für die wettbewerbliche Analyse von Bedeutung.
„Pink Tax“ auf Produkte
Frauen sind außerdem mit genderspezifischem Marketing und mit diskriminierender Preisgestaltung konfrontiert: An sich idente bzw. nur leicht variierende Waren oder Dienstleistungen, die auf Frauen zugeschnitten sind, kosten mehr als die Männervariante. Die mögliche wettbewerbliche Relevanz sexistischer Werbung als unlautere Geschäftspraktik sei hier nur angedeutet. Zusätzlich kann das Geschlecht bei Onlinekäufen immer leichter als Diskriminierungsfaktor herangezogen werden, und zwar dank datengetriebener, algorithmischer Preissetzung.
Eine Studie des IHS aus dem Jahr 2019 weist die Praktik „Gender Pricing“ für eine große Palette an Produkten in signifikantem Ausmaß nach. Eine aktuelle Erhebung der AK Salzburg zeigt, dass Frauen für Körperpflegeprodukte ein Drittel mehr als Männer bezahlen, obwohl die Produkte im Grunde ident sind. Diese Praktik wird auch als „Pink Tax“ diskutiert. Nach dem Gleichbehandlungsgesetz stellen ausschließlich nach dem Geschlecht differenzierende Formen der Preisgestaltung eine unmittelbare Diskriminierung dar und sind damit rechtswidrig, machen schadenersatzpflichtig und sind abzustellen. Dennoch sind sie weiterhin Realität.
Dabei handelt es sich nicht immer auch um ein Wettbewerbsproblem. Es könnte sich jedoch um ein solches handeln – hierzu wird derzeit geforscht. So wäre etwa das Geschlecht bei der wettbewerbsrechtlichen Marktabgrenzung stärker zu berücksichtigen und Auswirkungen auf den Wettbewerb wären nach Geschlechterdifferenzen zu analysieren. Angebotsseitig wäre zu untersuchen, wie sich Produktmarketing und -eigenschaften einerseits, Vertriebs- und Preisstrategien andererseits auf Frauen und Männer unterschiedlich auswirken; nachfrageseitig, wie die jeweilige Konsument:innengruppe überhaupt zusammengesetzt ist und auf Preis- oder Qualitätsänderungen reagiert bzw. reagieren kann.
Männliche Kartelle?
Die neuere verhaltensökonomische Forschung zeigt, dass wettbewerbswidrige (und andere wirtschaftskriminelle) Handlungen häufig von Personen begangen werden, die sich ähneln, da diese Ähnlichkeiten Gelegenheiten zu diesem Handeln schaffen. Der Schlüsselfaktor dabei: das Geschlecht. Es sind traditionell männliche Verhaltensweisen und Werte, welche die Begehung, Verheimlichung und unzureichende Meldung von Wirtschaftsdelikten ermöglichen.
Auch die Bildung von Kartellen ist oft das Ergebnis männlicher Beziehungs- und Machtstrukturen („Boysʼ Clubs“) innerhalb von und zwischen Unternehmen. Kartellabsprachen entstehen häufig durch persönliche Interaktionen am Rande geschäftlicher Veranstaltungen oder in Netzwerken. Diese Erkenntnis gab und gibt auch Hinweise für mögliche Durchsetzungsprioritäten von Wettbewerbsbehörden – Stichwort: österreichisches Baukartell.
Branchen mit hohem Männeranteil in höheren Führungsebenen und ein Verständnis von informellen und formellen geschlechtsspezifischen Strukturen sind aber nicht nur für Kartellermittlungen in hohem Maße relevant, sondern auch für Korruptionsprävention und Compliance als Teil einer guten, gendersensiblen Corporate Governance. Denn das Risiko für Kartellverhalten kann durch faire, inklusive Prozesse und Vielfalt im Unternehmen minimiert werden. Dazu zählen etwa ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis und aktive Maßnahmen zugunsten von Leistungsgerechtigkeit sowie gleiche Teilhabe.
Genderinklusive Wettbewerbspolitik
Wettbewerbspolitik und -vollzug ersetzen keine Gleichstellungspolitik. Wettbewerb kann aber sehr wohl zur Gleichheit der Geschlechter beitragen. Was sind solche Bausteine einer genderinklusiven Wettbewerbspolitik?
Ein umfassendes, datenbasiertes Wettbewerbsmonitoring kann eine wichtige und wirksame Grundlage für die Analyse von Wettbewerbsverstößen und die Gestaltung von gezielten Abhilfemaßnahmen sein, auch in Bezug auf genderspezifische Aspekte. Spezifische Auflagen bei Unternehmenszusammenschlüssen bieten eine Möglichkeit, Wettbewerb in gewünschte Bahnen zu lenken. Auch können wettbewerbliche Umfragen, Fallstudien und Branchenuntersuchungen aufzeigen, inwiefern die untersuchten Märkte für Menschen – Männer und Frauen – funktionieren und so zur Förderung von Geschlechtergleichheit beitragen. All dies wäre ganz im Sinne einer ambitionierten, genderinklusiven Wettbewerbspolitik, wie sie unlängst von der OECD empfohlen wurde.
Als Teil einer genderinklusiven Wettbewerbspolitik ist auch die Dimension der Kartellrechtsdurchsetzung mitzudenken. In der Europäischen Union werden zwei Drittel der 27 nationalen Wettbewerbsbehörden von Männern geleitet. Österreich ist hier mit der seit 1. November 2023 amtierenden Generaldirektorin Natalie Harsdorf-Borsch somit in einer Vorreiterrolle. Auch in der Kartellrechtscommunity ist das Geschlecht nach wie vor ein Thema. So besteht in Österreich seit 2018 das Women in Competition Law Network Austria (WCNA), das weibliche Expertise im Kartellrecht in den Vordergrund rückt und damit den üblichen patriarchalen Strukturen gezielt entgegenwirken möchte – ohne aber Männer auszuschließen. Erst jüngst haben über 60 Wissenschaftlerinnen aufgezeigt, dass es auch in der Kartellrechtswissenschaft nach wie vor zu genderbasiertem Fehlverhalten kommt, das es abzustellen gilt. Dieses führt nämlich mitunter dazu, dass die weibliche Expertise, die im Rahmen einer genderinklusiven Wettbewerbspolitik zentral ist, schlicht übergangen oder ausgeblendet wird.
Sowohl auf inhaltlicher als auch auf struktureller Ebene ist eine genderinklusive Wettbewerbspolitik somit möglich, denn wenn einige Weichen gestellt werden, so kann Wettbewerb zur Gleichheit der Geschlechter beitragen. Diese Möglichkeit gilt es zu nutzen.
Der Beitrag ist am 23.1.2024 in einer ähnlichen Fassung in der Tageszeitung „DerStandard“ erschienen.