Die griechische Regierung verhandelt seit Monaten mit den GläubigervertreterInnen der Eurozone und des Internationalen Währungsfonds (IWF) über die Bedingungen für weitere Finanzierungsunterstützung. Währenddessen machen TechnokratInnen von EU-Institutionen, PolitikerInnen unterschiedlicher europäischer Länder und konservative MedienvertreterInnen medial gegen Griechenland Stimmung.
Die griechische Regierung müsse endlich „ihre Reformhausaufgaben erledigen“, tönt es unablässig. Ausgeblendet wird, dass Griechenland viele der auferlegten „Strukturreformen“ umgesetzt hat – und dass gerade diese Maßnahmen zur Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage geführt haben, anstatt die wirtschaftliche Depression zu beenden.
Was ist mit „Strukturreformen“ gemeint?
Ambitionierte und umfassende „Strukturreformen“ würden den Krisenländern Europas eine Rückkehr zu kräftigem Wirtschaftswachstum und eine wirksame Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ermöglichen. Denn niedriges Wachstum und anhaltend hohe Arbeitslosigkeit seien im Kern auf „strukturelle Rigiditäten“ zurückzuführen. Das ist die offizielle Diagnose- und Argumentationslinie, die in den letzten Monaten unaufhaltsam in den Medien verbreitet wird.
Die wirtschaftlichen Probleme Europas seien im Kern auf der Angebots-, nicht auf der Nachfrageseite zu verorten, und die Lösung laute: Reduziere die Mindestlöhne und die Arbeitslosenunterstützung und mache es einfacher für die Unternehmen, ArbeitnehmerInnen anzustellen und zu entlassen – und schon wird sich das Arbeitslosigkeitsproblem von alleine lösen. Aus dieser dominierenden Perspektive erscheint es als konsequent, Griechenland Maßnahmen aufzunötigen, die primär auf eine weitere Deregulierung der Arbeits- und Produktmärkte, Kürzungen im Sozial- und Pensionsbereich sowie auf eine Zurückdrängung der Gewerkschaften abzielen.
Dass unter „Strukturreformen“ im Sprachgebrauch der herrschenden wirtschaftspolitischen Empfehlungsindustrie einfach die Umstrukturierung des öffentlichen Sektors unter der Maßgabe eines effizienten Einsatzes von Steuergeldern zu verstehen sei, ist ein weit verbreitetes Missverständnis. Es geht weniger um die Modernisierung und Weiterentwicklung des Staates, sondern um die Umsetzung eines „Reformmix“ – zusammengesetzt aus Maßnahmen zur Deregulierung der Arbeits- und Produktmärkte und zur „Verschlankung des Sozialstaates“. „Strukturreform“ ist ein scheinbar sachlicher, ideologiefreier Begriff. Tatsächlich hat er aber natürlich eine eindeutige ideologische Schlagseite zugunsten der Kürzung von Sozialleistungen und ArbeitnehmerInnenrechten.
„Strukturreformen“ gelten als vorteilhaft, weil sie angeblich dafür sorgen, dass die Wirtschaft über eine Verbesserung der Rahmenbedingungen der Unternehmen „entfesselt“ wird. Jene Länder, welche die „schmerzhaften, aber unabdingbaren Reformen“ bereits umgesetzt hätten, seien in Sachen Wirtschaftswachstum wieder auf dem Vormarsch. Die anderen – allen voran Griechenland – müssten einfach nachziehen, und schon werde es auch für ihre Volkswirtschaften bergauf gehen. Doch ist das wirklich so?
Mangelnde „Reformfreudigkeit“ der Krisenländer?
Abbildung 1 zeigt die „Reformfreudigkeit“ verschiedener europäischer Länder zwischen 2009 und 2014. Der Indikator misst für jedes Land den Anteil an den gesamten OECD-Politikempfehlungen zur Erzielung höheren Wirtschaftswachstums, denen das jeweilige Land gefolgt ist.
Abbildung 1: Index zur “Reformfreudigkeit” von europäischen Ländern (2009-2014)