Ungleichgewichte durch schulden- und exportgetriebene Wachstumsmodelle

27. Mai 2016

Die wirtschaftliche Entwicklung vor der Krise war gekennzeichnet durch stark wachsende Immobilienpreise sowie einer ansteigenden Verschuldung der privaten Haushalte, die wesentlich zum Aufbau gefährlicher Leistungsbilanzungleichgewichte beitrugen. Eine Analyse der Wachstumstreiber zeigt, dass die hohen Wachstumsraten der Länder mit defizitärer Leistungsbilanz (USA, UK, ES, IT) ohne einen massiven Anstieg der privaten Verschuldung und Immobilienpreise nicht möglich gewesen wären. Im Umkehrschluss wären die ohnehin niedrigen Wachstumsraten der Nettoexporteure (DE, AT, NL) noch niedriger ausgefallen. Um Krisen vorzubeugen, ist ein Mehr an internationaler wirtschaftspolitischer Koordination nicht nur in Hinblick auf die internationalen Finanzmärkte erforderlich.

In der Dekade 1997 bis 2007 akzeptierten Länder wie die USA, Großbritannien, Spanien, Italien, und Griechenland dauerhafte Leistungsbilanzdefizite als das Ergebnis von hohen Wachstumsraten der heimischen Wirtschaft, die vielerorts Dank steigender Immobilienpreise und privater Verschuldung florierte. Den Gegenpool hierzu bildeten Länder wie Deutschland, Finnland oder Österreich, die stark auf die positiven Wachstumsimpulse ihrer zunehmenden Nettoexporten vertrauten. Steigende Immobilienpreise spielten in diesen Ländern eine untergeordnete Rolle.

Es gibt verschiedene Besonderheiten, so spielte die öffentliche Verschuldung in Griechenland eine wesentliche Rolle, während beispielsweise in Spanien nicht nur die privaten Haushalte, sondern auch die Unternehmen (speziell in der Bauwirtschaft) hohe Verbindlichkeiten akkumulierten. Die Niederlande sind eines der wenigen Länder, die gleichzeitig hohe Leistungsbilanzüberschüsse und stark steigende Immobilienpreise (zwischen 1997 und 2007 plus rund 70%) verzeichneten.

Insgesamt bietet die Unterscheidung zwischen schulden- und exportgetriebenem Wachstum jedoch eine nützliche Kategorisierung für die weitere Analyse.

1997-2007: wachsende Ungleichgewichte

Um den Aufbau der Ungleichgewichte zu erklären, untersuchen wir welche Faktoren in den jeweiligen Ländern ausschlaggebend für das Einkommenswachstum waren. Wir konzentrieren uns dabei auf den Erklärungsgehalt von Veränderungen in der Einkommensverteilung, der Akkumulation von Schulden im privaten Sektor sowie dem Anstieg der Immobilienpreise für das Wirtschaftswachstum in der Periode 1997-2007 in 18 Ländern der OECD (im Detail siehe Cambridge Journal of Economics oder WuG 4/2015). Zur verbesserten Darstellung fassen wir die Länder – mit Ausnahme von Japan und Frankreich, die zwar enthalten sind, aber weder einer Gruppe zugeordnet noch dargestellt werden – in vier Gruppen zusammen: anglophone Länder (Australien, Kanada, USA, Vereinigtes Königreich), nördliche Mitglieder der Eurozone (Belgien, Deutschland, Finnland, Niederlande, Österreich), nördliche nicht-Euro Länder (Dänemark, Norwegen, Schweden, Schweiz) und südliche Euro Länder (Irland, Italien und Spanien). Die Gruppe anglophoner Länder und die südlichen Mitglieder der Eurozone können dabei als Länder mit schuldengetriebener Wachstumsorientierung angesehen werden. Die beiden anderen Gruppen als exportorientiert.

Aus einer Keynesianischen Perspektive betrachtet, sollte eine Polarisierung der Einkommensverteilung zu einer Verringerung des Konsums und der aggregierten Nachfrage führen und somit zu niedrigerem Wirtschaftswachstum führen. Stark steigende Vermögenspreise sollten sich hingegen positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken, da die privaten Haushalte bereit sein werden einen Teil dieses Vermögensanstiegs zu konsumieren. Um in einem Umfeld steigender Immobilienpreise das zugrundeliegende Haus oder Wohnung nicht verkaufen zu müssen um einen etwaigen Wertzuwachs zu realisieren, nehmen Haushalte Verbindlichkeiten auf. Somit erwarten wir sowohl von steigenden Vermögenspreisen als auch zunehmender Haushaltsverschuldung positive Nachfrageeffekte.

Ungleichgewichte, schuldengetriebene Performance © A&W Blog
Quelle: eigene Berechnungen basierend auf Daten der OECD. © A&W Blog
Quelle: eigene Berechnungen basierend auf Daten der OECD.

Unsere Analyse zeigt zunächst einmal, dass die Länder mit schuldengetriebener Wachstumsorientierung in der Periode 1997-2007 tatsächlich ein höheres Wirtschaftswachstum (schwarze Balken) aufweisen als die exportorientierten Gruppen. Was den Erklärungsgehalt von Einkommensverteilung und Vermögen bzw. Verschuldung anbelangt, so ist zunächst festzuhalten, dass dieser insbesondere in den exportgetriebenen Ländern gering ist. Insbesondere die Veränderungen in der Verteilung der Einkommen (kaum sichtbare blaue und orange Balken) bewirkten überraschenderweise in jenem Zeitraum keine nennenswerten direkten Wachstumseffekte. Wo sich ein deutlicher Effekt zeigt, ist in den Ländern mit schuldengetriebener Wachstumsorientierung: Durch den Anstieg der Immobilien- und Wertpapierpreise sowie die Zunahme der Haushaltsverschuldung (grauer Balken) lässt sich rund die Hälfte des BIP Wachstums in der Periode 1997-2007 erklären.

Manche LeserInnen mag es verblüffen, dass in unserer Analyse die Veränderungen der Vermögensverteilung keine nennenswerten direkten Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung hatten. Die Erklärung dafür ist, dass die obige Darstellung indirekte Effekte nicht als solche ausweist. Insofern beispielsweise die Zunahme der Einkommensungleichheit zu einer höheren Verschuldung der privaten Haushalte führt, wird dieser Effekt in der obigen Darstellung als Effekt der Haushaltsverschuldung dargestellt.

2008-2013: Krise und wirtschaftspolitische Unterschiede

Wiederholt man die Analyse für die Periode 2008 bis 2013, ergibt sich ein anderes Bild. Die Finanz- und Wirtschaftskrise, die 2007 in den USA ihren Ausgang nahm, hatte sehr unterschiedliche Auswirkungen auf die vier hier untersuchten Ländergruppen. Während die Gruppe anglophoner Länder zwischen dem Vorkrisen-Höchststand im Jahr 2008 und dem Jahr 2013 um beinahe 6% wuchsen, versank die Gruppe der südlichen Euromitglieder (Spanien, Italien, Irland) im selben Zeitraum in einer tiefen Rezession und büßte beinahe 8% ihrer Wirtschaftsleistung ein.

Ungleichgewichte, schlechte exportgetriebene Performance © A&W Blog
Quelle: eigene Berechnungen basierend auf Daten der OECD. © A&W Blog
Quelle: eigene Berechnungen basierend auf Daten der OECD.

Es zeigt sich somit in der post-Krisen Periode ein eklatanter Unterschied in der ökonomischen Performance zwischen den beiden Ländergruppen, die einem schuldenorientierten Wachstumsmodell folgten. Der Rückgang der Vermögenspreise sowie der Verschuldung können diese Unterschiede nicht erklären. Es zeigt sich auch, dass sich die exportorientierten Länder langsamer von der Krise erholten als die Gruppe anglophoner Länder.

Ein bedeutender Unterschied zwischen den Ländergruppen besteht in der Bereitschaft die Rezession mit aktiver Fiskalpolitik und unter Inkaufnahme von großen öffentlichen Defiziten zu bekämpfen. So betrug der Finanzierungssaldo des öffentlichen Sektors der Gruppe anglophoner Länder zwischen 2008 und 2013 rund 9% des BIP, während dieser in der Gruppe der nördlichen Euro Mitglieder bei 2% und in der Gruppe der südlichen Länder bei 6% lag. Die undogmatische Haltung gegenüber öffentlichen Defiziten von Ländern wie den USA oder dem Vereinigten Königreich trugen wesentlich zur schnellen Erholung dieser Länder bei. Im Gegensatz dazu führte die prozyklische Austeritätspolitik in Europa zu tiefen Rezessionen (siehe dazu beispielsweise Achim Truger).

BIP Trend seit 2003 © A&W Blog
Quelle: Ameco Datenbank. © A&W Blog
Quelle: Ameco Datenbank.

So haben Griechenland, Spanien und Italien selbst im Jahr 2016 ihre vor der Krise erzielten Produktionsniveaus nicht wieder erreicht. Dies ist umso unverständlicher, als dass sowohl die Finanzierungsbedingungen für öffentliche Haushalte äußerst günstig sind und darüber hinaus mit den Herausforderungen des Klimawandels dringend benötigte Investitionen in die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur benötigt werden würden.

Resümee

Die Finanz- und Wirtschaftskrise offenbarte nicht nur Mängel hinsichtlich der Regulierung der internationalen Finanzmärkte, sondern demonstrierte gleichsam, dass das Ignorieren der sich aufbauenden makroökonomischen Ungleichgewichte in Form von wachsenden Leistungsbilanzdefiziten und –überschüssen sich letztendlich als nicht nachhaltig erwies.

Ein Mehr an internationaler Zusammenarbeit und wirtschaftspolitischer Koordination ist somit nicht nur in Hinblick auf die Regulierung der internationalen Finanzmärkte erforderlich. Persistente Leistungsbilanzüberschüsse und –defizite müssen als Symptome nicht nachhaltiger Wachstumsmodelle erkannt werden, insbesondere innerhalb der Eurozone, die weder über einen fiskalischen Ausgleichsmechanismus noch über die Möglichkeit zur Wechselkursanpassung verfügt.

Dieser Beitrag ist eine überarbeitete Kurzfassung unseres Beitrags in der Ausgabe 4/2015 der Zeitschrift Wirtschaft und Gesellschaft, die nun zur Gänze online abrufbar ist (mit Beiträgen bspw. zu Arbeitsmarktreformen, Pflegegeld, Lohnpolitik).