Im Zuge des Angriffskriegs Russlands in der Ukraine ist der Weizenpreis von einem Höchststand zum nächsten geschnellt. Seit Mitte Mai ist er nun wieder gefallen. Allein durch Angebot und Nachfrage lassen sich diese Turbulenzen nicht erklären. Während der Krieg einen großen Einfluss auf die Agrarmärkte hat, zeigt sich auch, dass Spekulationen auf den Rohstoff- und Finanzmärkten die Schwankungen noch weiter erhöhen können. Schon die letzte Lebensmittelpreiskrise hat die Instabilität dieses Systems gezeigt.
Rekordpreise auf den globalen Rohstoffmärkten
Schon wenige Tage nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine warnten Zeitungen und NGOs vor einer drohenden Nahrungsmittelkrise. Da Russland und die Ukraine beide große Agrarproduzenten sind, wurde eine Nahrungsmittelkrise durch ausgefallene Ernten, Blockaden und andere Kriegsfolgen befürchtet. Innerhalb weniger Tage erreichten die Börsenpreise für Weizen ein Rekordhoch von über 400 Dollar pro Tonne. Doch schnell zeigte sich: Nur durch die direkten Folgen des Kriegs lassen sich die enormen Preissteigerungen nicht erklären. Eine nicht zu unterschätzende Rolle kommt hier Spekulation auf den Finanzmärkten zu. Recherchen zeigten auf, dass die Aktivität auf den Rohstoff- und Finanzmärkten eine gewichtige Rolle spielte: Innerhalb weniger Tage flossen im März 4,5 Milliarden Dollar in Fonds, die mit Agrarrohstoffen handeln – so viel wie sonst in einem Monat. In die beiden größten Agrarfonds flossen allein bis 12. April 1,2 Milliarden Dollar, was mehr als sechsmal so viel ist wie im gesamten Jahr 2021. Spekulant:innen nutzen die Krise sichtlich als Möglichkeit für Profite.
Die Finanzialisierung von Rohstoffmärkten
Schon bei den letzten Lebensmittelpreiskrisen 2007/08 und anschließend 2011/12 sorgte die Finanzialisierung der Rohstoffmärkte als Ursache für Preisschwankungen für intensive Diskussionen. Da es in den Jahren zuvor zu verstärkter Aktivität an den Rohstoffbörsen gekommen war, befürchteten Wissenschaftler:innen und NGOs, dass die Preise durch exzessive Spekulation verfälscht seien. Über die Jahre hatte sich ein Markt für Derivate entwickelt, an dem Investor:innen mit Finanzprodukten handeln, ohne jemals auch nur Interesse an den Rohstoffen dahinter zu haben. Das hat sich auch seit der letzten Krise wenig verändert. 2019 wurden in den USA und Europa Futures – Termingeschäfte – über fünf Milliarden Tonnen Weizen abgeschlossen und damit fast siebenmal so viel, wie die gesamte Ernte ausmachte. Durch diese starke Aktivität, so die Hypothese, können die Finanzinvestor:innen die Preise durch ihre Aktivitäten mitbestimmen.
Wissenschaftliche Untersuchungen haben das weiter untermauert: Eine Studie der UNCTAD deutet darauf hin, dass die Aktivitäten von großen Indexfonds langfristig zwar nicht die großen Preistreiber sind, aber durchaus für kurzfristige Schwankungen verantwortlich sind. Diese wiederum machen kleineren Produzent:innen, die sich gegen Schwankungen absichern müssen, das Leben schwer. Andere Studien kamen wiederum zu dem Schluss, dass sich die Preise verschiedener Rohstoffe immer stärker synchron entwickeln würden und mit Aktienpreisen korrelieren, auch wenn es in den jeweiligen Märkten dafür keine Basis gebe.
Spekulation – auch dieses Mal
Neben den Finanzflüssen in Rohstofffonds gibt es weitere Zeichen die dafür sprechen, dass auch dieses Mal Spekulant:innen am Werk waren. Ein Indikator von exzessiven Finanzmarktaktivitäten ist der rapide Preisfall noch im Mai 2022. Noch bevor es Durchbrüche bei den Verhandlungen zu Getreidelieferungen aus der Ukraine gab, fiel der Weizenpreis wieder und ist aktuell niedriger als vor Ausbruch des Kriegs. Die Ökonomin Ann Pettifor erklärt dies damit, dass die Spekulant:innen damit rechnen würden, dass mit dem Ende der lockeren Geldpolitik eine Rezession bevorstünde und die Preise somit wieder fallen würden. Auf steigende Preise zu wetten, würde dann keinen Sinn mehr machen. Alternativ lässt sich die Korrektur der Preise auch damit erklären, dass Spekulant:innen und Produzent:innen erkannt haben, dass der Schock durch die Ukraine von anderen Ländern ausgeglichen werden kann und es somit eben global gesehen zu keinen Knappheiten kommen wird. Angebot und Nachfrage von Weizen werden sich 2022 nicht stark verändern, wie aktuelle Daten zeigen.