Das Europäische Forum Alpbach widmet sich im heurigen Sommer der „Neuen Aufklärung“. Das ist erfreulich, denn mit Aufklärung verbinden wir wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt, die Vorherrschaft der Vernunft und der Demokratie. Die Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts hatte den Anspruch, mit rationalem Denken jene überkommenen Strukturen – wie etwa den mittelalterlichen Aberglauben – zu überwinden, die den Fortschritt behindern.
Fakten außer Streit stellen
Naturgemäß spielen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik unterschiedliche Interessen und Ideologien auch heute eine zentrale Rolle. In der konkreten Politik Österreichs wurden sie in den letzten Jahrzehnten von zwei Prinzipien eingehegt, die auf aufklärerischen Ideen fußen. Erstens: Die wesentlichen Fakten wurden gemeinsam außer Streit gestellt. Besteht Einigkeit über Preissteigerungsraten, Produktivitätsentwicklung und Konjunkturaussichten, also die Hard Facts, dann ist es leichter, Interessenunterschiede auszudiskutieren. Zweitens: Die Verfechtung unterschiedlicher Interessen ist wichtig, ebenso wichtig ist es, die Möglichkeiten für einen Konsens zwischen den Interessengruppen auszuloten. Das sind die Grundprinzipien der Sozialpartnerschaft, und bei allen bestehenden Versäumnissen darf nicht übersehen werden, dass sie wesentlich zum enormen Erfolg dieses Landes beigetragen haben.
Österreich ist vom Armenhaus an die Spitze Europas aufgestiegen: Die Wirtschaftsleistung pro Kopf ist heute die vierthöchste der EU, wir verfügen über eine exportstarke Industrie und eine gute Infrastruktur, Investitions- und Forschungsquoten liegen weit über dem EU-Durchschnitt, unser Sozialstaat gehört zu den besten der Welt. Auf Basis von Vernunft und harten Fakten ist es leichter, die bestehenden Probleme und Herausforderungen zu bewältigen, als auf jener von Vorurteilen und Aberglauben. Das sei gerade in Zeiten in Erinnerung gerufen, in denen das kontinuierliche Schlechtreden des Standorts, die Verunglimpfung des Erreichten, das Prinzip „Only bad news are good news“ mediale Berichterstattung und politische Auseinandersetzung bestimmen.
Kurswechsel in der EU
Als wichtigste Herausforderung erscheint mir die hohe Arbeitslosigkeit. Sie gefährdet die Stabilität von Gesellschaft, Wirtschaft und Sozialstaat und ist gefährlicher Sprengstoff für das europäische Projekt. Über ihre Ursachen besteht weitgehender Konsens, sie liegen in einer Kombination aus anhaltender Wirtschaftskrise in der EU und hoher Zuwanderung nach Österreich. Auch die Ansatzpunkte für erfolgreiche Beschäftigungspolitik liegen auf der Hand: ein Kurswechsel in der EU hin zu einer investitionsorientierten Wirtschaftspolitik und zur wirtschaftlichen und sozialen Stabilisierung der Herkunftsländer der Migration sowie aktive Arbeitsmarkt- und Arbeitszeitpolitik in Österreich. Um die Umsetzung dieser Maßnahmen gilt es politisch zu ringen.
Erbe der ersten Aufklärung
Eine grundlegende Herausforderung sehe ich in der Bewahrung der Demokratie. Wir sehen erstens ausgehend von den USA und zunehmend auch in Europa den wachsenden Einfluss reicher Erben und Oligarchen auf Wirtschaft, Medien und Politik; zweitens gibt es zum Teil berechtigte Abstiegsängste bis tief in die Mittelschicht hinein; drittens erleben wir den markanten Verlust des Vertrauens in die Lösungsfähigkeit demokratischer Systeme, der etwa in niedrigen Wahlbeteiligungen von sozial deklassierten Menschen zum Ausdruck kommt. Doch aus der Geschichte wissen wir, wie demokratische Einbindung und Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen an der Regelung des Gemeinwesens bessere Ergebnisse für alle mit sich bringen. Das ist ein Erbe der ersten Aufklärung des 18. Jahrhunderts und sollte ein Kernstück einer neuen Aufklärung bilden.
Dieser Beitrag ist als Kommentar in Arbeit&Wirtschaft 6/2016 erschienen. Schwerpunktthema dieser Ausgabe ist der Neoliberalismus.
www.arbeit-wirtschaft.at