Über das Allgemeine Präferenzsystem gewährt die EU ausgewählten Ländern des globalen Südens seit 1971 einen erleichterten Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Anlässlich des Auslaufens der aktuellen Verordnung mit Ende 2023 soll über eine Fortsetzung des Instruments entschieden werden. Ein guter Anlass, einen genaueren Blick darauf zu werfen und über Verbesserungspotenzial und Grenzen des Systems zu diskutieren.
Das Allgemeine Präferenzsystem (APS) der EU
Geht es um Handelspolitik und die Frage, inwiefern diese zu Nachhaltigkeit und Entwicklung beitragen kann, wird gern auf das Schema der Allgemeinen Zollpräferenzen (APS, engl. GSP) verwiesen. Dieses soll ökonomisch schwächeren Ländern durch die Reduktion oder den völligen Abbau von Zöllen den Zugang zum EU-Binnenmarkt erleichtern. Im Austausch für die Gewährleistung der entsprechenden Begünstigungen sollen die Länder Menschenrechte, Nachhaltigkeit und eine verantwortungsvolle Staatsführung vorantreiben – so zumindest das erklärte Ziel der Europäischen Union. Ein solch unilaterales Instrument ist keine spezifisch europäische Idee. Neben der EU verfügen weltweit aktuell zwölf Länder über vergleichbare Systeme, unter anderem Japan und die Vereinigten Staaten. Entstanden sind diese ursprünglich im Rahmen einer Initiative der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung Ende der 1960er-Jahre.
Konkret umfasst das Instrument der EU drei Schemata, die prinzipiell jenen Ländern offenstehen, deren Bruttonationaleinkommen laut Weltbank unterhalb des „oberen mittleren Einkommens“ (zwischen 4.045 und 12.535 US-Dollar pro Kopf) liegt. Grundvoraussetzung für eine Begünstigung im Rahmen des APS ist außerdem die Unterzeichnung von 15 „wesentlichen Übereinkommen der Vereinten Nationen und der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO, engl. ILO) zu Menschenrechten und Arbeitnehmerrechten“. Zu diesen Übereinkommen gehören auch die acht Kernarbeitsnormen der ILO, beispielsweise das Übereinkommen zur Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen oder das Übereinkommen zur Abschaffung der Zwangsarbeit.
Das Standard-APS reduziert die EU-Einfuhrzölle für etwa zwei Drittel der in die EU exportierten Produkte. Davon ausgenommen sind Produkte, die nach Ansicht der EU-Kommission auch ohne entsprechende Begünstigungen wettbewerbsfähig sind. Noch umfassendere Zollerleichterungen sind im Rahmen des APS+ möglich. Es wird bei besonders vulnerablen Entwicklungsländern angewandt, vorausgesetzt, diese erfüllen noch weitreichendere Anforderungen hinsichtlich einer nachhaltigen Entwicklung. Um von diesem Schema profitieren zu können, müssen die betroffenen Länder – zusätzlich zu den 15 „wesentlichen Übereinkommen“ – zwölf weitere unterzeichnen. Im Gegensatz zu den als „wesentlich“ definierten Abkommen betreffen diese vor allem auch ökologische Mindeststandards. Das APS+ ermöglicht dann den vollständigen Abbau von Zöllen auf rund zwei Drittel der Produkte. Dadurch sollen besondere Anreize für eine nachhaltige Entwicklung, Umweltschutz und eine verantwortungsvolle Staatsführung geschaffen werden. Vom APS+ profitieren aktuell nur acht Länder. Für die von der UN als „am wenigsten entwickelte Länder“ bezeichneten Staaten gibt es außerdem die Möglichkeit, von der EBA-Regelung (Everything but Arms/„Alles außer Waffen“) zu profitieren. Diese erlaubt den zoll- und quotenfreien Export fast aller Waren in den EU-Binnenmarkt, ausgenommen sind lediglich Waffen und Munition.
Arbeits- und Menschenrechte oft nicht garantiert
Wie prekär allerdings die Situation für Erwerbstätige in manchen der begünstigten Länder ist, zeigt ein Blick in den Globalen Rechtsindex des Internationalen Gewerkschaftsbunds (IGB). In dessen Rahmen wird jährlich erhoben, in welchen Ländern die Situation für erwerbstätige Menschen besonders dramatisch ist. Gleich sechs der durch das System begünstigten Länder – unter anderem Syrien, der Sudan und Somalia – landen im Ranking jener Länder, in denen Arbeitnehmer*innenrechte aufgrund des „Zusammenbruchs der Rechtsstaatlichkeit“ überhaupt nicht garantiert sind. Nur unwesentlich besser ist die rechtliche Situation für Arbeitnehmer*innen unter anderem auf den Philippinen, die immerhin vom APS+ profitieren. Ebenfalls ernüchternd ist das Ergebnis, wenn man einen Blick auf die Umsetzung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation wirft. Obwohl der Großteil der Länder alle acht Kernarbeitsnormen ratifiziert hat, sind immer wieder Verletzungen der darin festgeschriebenen Standards zu beklagen. Darüber hinaus gibt es aber auch vereinzelt begünstigte Länder, die nach wie vor nicht alle Kernarbeitsnormen ratifiziert haben.
Entzug der Begünstigungen als Ultima Ratio
Die EU wird nicht müde, im Rahmen von Handelsabkommen auf die darin enthaltenen Nachhaltigkeitskapitel zu verweisen. Weil darin allerdings keine Sanktionsmechanismen vorgesehen sind, bleiben diese in ihren Konsequenzen zahnlos. Im Gegensatz dazu bietet das Allgemeine Präferenzsystem sehr wohl die Möglichkeit, den davon profitierenden Ländern gewisse Begünstigungen wieder zu entziehen.
Ein Beispiel: Nachdem das autokratische Regime in Kambodscha zunehmend vehement gegen Oppositionspolitiker*innen und Gewerkschafter*innen vorging und keinerlei Bereitschaft zur Kooperation erkennen ließ, leitete die EU-Kommission im Jahr 2019 ein Verfahren ein. Dieses führte im Februar 2020 zu einer teilweisen Aufhebung jener Zollfreiheiten, die dem Land im Rahmen der EBA-Regelung gewährt wurden. Betroffen davon waren unter anderem bestimmte Textilien, Schuhe und Zucker. Bernd Lange, SPD-Europaabgeordneter und Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament, bezeichnete den Schritt damals als „ein starkes Signal und die Ultima Ratio“. Klar ist allerdings auch, dass solche Maßnahmen gerade die einfachen Arbeiter*innen in den jeweiligen Sektoren treffen – im Falle Kambodschas vor allem in der Textilindustrie tätige Frauen. Das EU-Parlament plädierte 2019 im Rahmen der Halbzeitbewertung der Verordnung deshalb dafür, dass eine Rücknahme der Begünstigungen nur als letztes Mittel in Erwägung gezogen und der Schaden für die breite Bevölkerung dabei möglichst gering gehalten werden sollte.
Kritische Stimmen machen zudem die zögerliche Haltung der EU für Menschenrechtsverletzungen mitverantwortlich. So habe die EBA-Begünstigung für Kambodscha dazu beigetragen, dass sich zahlreiche Investoren aus dem asiatischen Raum dort niederließen, Land in Beschlag nahmen und darauf Produkte für den Export in die EU anbauten, um als Trittbrettfahrer von den garantierten Zollbegünstigungen zu profitieren. Dies habe regelmäßig zur Vertreibung, Zwangsenteignung oder Umsiedelung der lokalen Bevölkerung geführt, ohne dass hier vonseiten der EU Konsequenzen ergriffen worden wären.
Was es zu verbessern gilt: mehr Beteiligung, Transparenz und Konsequenzen
Die Verordnung zum Allgemeinen Präferenzsystem ist in ihrer Gültigkeit jeweils auf einen Zeitraum von zehn Jahren begrenzt. Nachdem die bestehende Verordnung am 31. Dezember 2023 auslaufen wird, hat die EU-Kommission im Mai 2019 einen Konsultationsprozess eingeleitet, auf dessen Basis sie entscheiden will, ob und in welcher Form das Präferenzsystem in Zukunft fortgesetzt werden soll.
Die „GSP Platform“, ein Zusammenschluss aus Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen, Gewerkschaften und anderen Interessengruppen, die sich für die Förderung der Menschen- und Arbeitsrechte im Kontext der Handelspräferenzen der Europäischen Union einsetzen, begrüßt das System zwar prinzipiell, sieht aber auch viel Verbesserungspotenzial. Anlässlich der Halbzeitbewertung der Verordnung betonte die Plattform – der unter anderem auch der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) und die Clean-Clothes-Kampagne angehören – das Potenzial der APS-Verordnung, die menschen- und arbeitsrechtliche Situation in den begünstigten Ländern zu verbessern und den zivilgesellschaftlichen Raum zu stärken. Dazu müsse sie allerdings konsequent, dynamisch und umfassend angewandt werden. Die EU-Kommission wurde deshalb aufgefordert, die APS-Verordnung mit den Zielen der EU-Verträge in Einklang zu bringen und stärker an menschen- und arbeitsrechtlichen Vorgaben auszurichten. Konkret sei etwa der Beurteilungsprozess, auf dessen Basis entschieden wird, ob ein Land für eine Begünstigung im Rahmen des APS+ infrage kommt, zu intransparent. Auch die fortlaufenden Monitoringprozesse sollen transparenter gestaltet und zivilgesellschaftliche Organisationen, Gewerkschaften und Menschenrechtsaktivist*innen stärker eingebunden werden. Ein wesentlicher Punkt ist außerdem die Liste der zu unterzeichnenden Konventionen. Diese sei veraltet und unvollständig. Wunsch der Plattform ist in diesem Zusammenhang, dass die Unterzeichnung jener zusätzlichen Konventionen, die Teil der strengeren Voraussetzungen für eine Begünstigung durch das APS+ sind und auch ökologische Mindeststandards festlegen, in Zukunft ebenfalls als Voraussetzung für eine Begünstigung im Rahmen der anderen beiden Schemata gelten.
Diese Forderung würde auch mit Blick auf den Grünen Deal als politischen Schwerpunkt der EU-Kommission Sinn ergeben, denn in den 15 als wesentlich definierten Abkommen findet sich kein einziges zum Thema Umweltschutz wieder. Gefordert wird des Weiteren die Einrichtung eines Beschwerdemechanismus mitsamt einer entsprechenden Stelle. In dessen Rahmen sollen alle Interessengruppen die Möglichkeit erhalten, bei vermuteten Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen oder Staaten Beschwerde einzureichen. Flankiert werden solle das Ganze mit positiven Konsequenzen bei Erreichen der gesteckten Ziele – oder negativen (gezielten) Konsequenzen bei deren Nicht-Erreichen.
Neben diesen Verbesserungsvorschlägen gibt es allerdings auch ganz konkrete Kritik an der Anwendung der Schemata auf bestimmte Länder und Regionen. So kritisiert etwa das Südwind Institut, dass Instrumente wie das APS nicht in der Lage sind, die asymmetrischen Handelsbeziehungen zwischen den afrikanischen, karibischen und pazifischen (AKP) Staaten einerseits und der EU andererseits auszugleichen. Südwind verweist außerdem auf die schwierige Situation von Gewerkschaften in Indonesien. In dem durch das Standard-APS begünstigten Land seien die Gewerkschaften seit 2015 von der Aushandlung eines Mindestlohns ausgeschlossen. Dabei wäre gerade deren Beteiligung eine Grundvoraussetzung für die Durchsetzung existenzsichernder Löhne.
Fazit
Auch wenn es aus menschen- und arbeitsrechtlicher Sicht grundsätzlich zu begrüßen ist, dass die Europäische Union im Rahmen ihrer Handelspolitik versucht eine nachhaltige Entwicklung in den Ländern des globalen Südens zu unterstützen, gibt es beim Allgemeinen Präferenzsystem noch Raum für Verbesserungen. Der Vergleich mit dem Globalen Rechtsindex des IGB zeigt, dass die arbeits- und menschenrechtliche Situation in vielen der begünstigten Länder (nach wie vor) äußerst prekär ist. Auch bezüglich Transparenz, Konsequenzen bei Nichteinhaltung der Übereinkommen sowie der Einbindung von Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und Menschenrechtsaktivist*innen gibt es noch Luft nach oben. Hier muss unbedingt nachgeschärft werden, um zu verhindern, dass das APS sich nicht oder gar negativ auf die Situation der Bevölkerung auswirkt. Zudem ist zu hinterfragen, inwiefern die Kategorisierung nach dem Bruttonationaleinkommen als zuverlässiges Kriterium für eine mögliche Begünstigung gelten kann. So zählen zu den Ländern mit mittlerem Einkommen im oberen Bereich unter anderem der Irak und Libyen. Stattdessen sollte der Fokus verstärkt auf die Einhaltung von Arbeits- und Menschenrechten sowie umweltpolitischer Mindeststandards gelegt werden. Dabei ist der Aufbau entsprechender Kapazitäten für lokale Akteure wie Gewerkschaften und Arbeits- bzw. Umweltinspektorate neben der Möglichkeit von Sanktionen von zentraler Bedeutung. Nur so kann das Instrument zu einer wirklich nachhaltigen Entwicklung beitragen.