Die marktliberalen Eliten fahren die Eurozone wirtschaftlich und sozial gegen die Wand. Umso schlimmer die Auswirkungen ihrer Politik spürbar werden, umso aggressiver fordern sie Maßnahmen um den Niedergang des Kontinents zu verhindern. Doch ein Vergleich mit den USA zeigt: Nichts trägt mehr zum Niedergang der EU bei als genau diese Maßnahmen.
Vor 100 Jahren hatte Europa im globalen Vergleich den größten Entwicklungsvorsprung. Zwei Weltkriege schwächten seine politische, kulturelle und ökonomische Weltdominanz erheblich. Im Jahr 1945 lag Europa darnieder, die USA erzeugten nach Angaben des Historikers Eric Hobsbawm beinahe zwei Drittel der weltweiten Industrieproduktion. Bis in die frühen 1980er-Jahre legten besonders die kontinentaleuropäischen Staaten einen erstaunlichen Aufholprozess hin: 1982 erreichten die zwölf ursprünglichen Mitglieder der Eurozone eine Wirtschaftsleistung pro Kopf, die bei 76 Prozent des US-Wohlstandsniveaus lag. Die USA und Großbritannien entwickelten sich weniger dynamisch, und gerieten gegenüber Kontinentaleuropa und Japan ins Hintertreffen.
Ende der 1970er und Anfang der 1980er-Jahre begannen die Regierungen in den USA und Europa mit neuen Formen der ökonomischen Steuerung zu experimentieren. Die Wirtschaftspolitik war inspiriert vom Paradigma des Monetarismus Milton Friedmans. Dieser Kurswechselbedeutete laut dem Ökonomen Engelbert Stockhammer eine bewusste „Verschiebung der Prioritäten hin zu Preisstabilität auch auf Kosten von Massenarbeitslosigkeit.“ Jenseits des Atlantiks blieb der Monetarismus allerdings nur eine Episode. Mitte der 1980er-Jahre kam es in den USA zu einer moderaten Abkehr, kurz darauf zu einem deutlichen Bruch. Europa hat sich allerding mit dem Monetarismus – mit den Worten den Ökonomen Heiner Flassbeck – „auf eine langwierige und folgenreiche Partnerschaft eingelassen“.
Das ist genau der Punkt, ab dem der alte Kontinent den Anschluss an die US-Entwicklung verloren hat. Nach einem ersten Einbruch schien sich der Konvergenzprozess Ende der 1980er-Jahre wieder einzustellen. Nach 1991 ging es jedoch tendenziell bergab, sodass heute das BIP pro Kopf der Euro-12 sogar unter 70 Prozent des US-Werts liegt.
Anteil des BIP pro Kopf (in Kaukraftparitäten) der Euro-12 an jenem der USA 1960-2014