Eine Studienwahl zu treffen ist nicht immer einfach. Ein Technikstudium verspricht nicht nur spannende Inhalte sowie gute Berufsaussichten und Verdienstmöglichkeiten. Warum also gibt es dann nicht mehr Technikerinnen? Ist es wirklich nur eine Frage des Geschlechts oder spielen auch noch andere Faktoren, wie Herkunft oder sozialer Status, eine Rolle? Dieser Blogbeitrag spürt dem nach, indem Aspekte zur Studienwahl wie auch des Studiums aus intersektioneller Perspektive betrachtet werden.
Technik gilt schon lange als Männerdomäne. Aktuell werden beispielsweise mehr als zwei von drei ingenieurwissenschaftliche Studien von Männern inskribiert und absolviert. Aber auch lang etablierte Umgangsformen innerhalb der Technik beinhalten ein ganz bestimmtes – männliches – Menschenbild. Ingenieure bzw. Techniker gelten, um Klischees zu bedienen, als rational, abstraktionsfähig, hands-on und manchmal vielleicht auch ein bisschen nerdig. Es wäre jedoch vereinfachend anzunehmen, dass alle bzw. nur Männer diesen Vorstellungen entsprechen oder dass alle technischen Berufe genau und nur auf diesen Eigenschaften beruhen. Abgesehen von geschlechtsspezifischen Zuschreibungen spielen Klasse, Minderheitenstatus oder Gesundheitsfragen ebenfalls eine Rolle, wenn es darum geht, im Technikbereich erfolgreich zu sein.
Intersektionalität: ganze Kreuzungen statt einzelner Fahrbahnen
Diese Verschränkung von sozialen Faktoren wird Intersektionalität genannt. Der Begriff kommt ursprünglich von der US-amerikanischen Rechtswissenschafterin Kimberlé Crenshaw. Sie hat anhand von Gerichtsverfahren dargelegt, dass es nicht immer reicht, Situationen aus einer Perspektive zu beleuchten. Es ist vielmehr wesentlich, sich die „Kreuzung“ – auf Englisch intersection – von bspw. Rassismus und Sexismus anzusehen, um wirklich verstehen zu können, was in diesen Verfahren passiert. Sie zeigte, dass sich die Diskriminierungserfahrungen von schwarzen Frauen von jenen der weißen Frauen, aber auch von jenen der schwarzen Männer unterscheiden, da sie sowohl von Rassismus als auch von Sexismus betroffen sein können. Letztendlich, so Crenshaws Argument in Form einer Metapher, ist es egal, von welcher Seite der „Kreuzung“ ein „Unfall“ verursacht wurde. Vielmehr ist es wichtig, die gesamte Kreuzung und nicht nur einzelne Fahrbahnen im Blick zu haben. Davon ausgehend versucht intersektionelle Forschung soziale Realitäten in ihrer komplexen Gesamtheit zu erfassen.
Faktoren bei der Studienwahl
Schon bei der Studienwahl selbst ist nicht nur das Geschlecht von Bedeutung. Im Technikstudium zeigt sich Intersektionalität auf unterschiedliche Weisen: in der Selbstselektion von Studienanfänger_innen und Studierenden genauso wie im Umgang, den Lehrende mit den Studierenden pflegen.
Wie bereits erwähnt, wählen bedeutend weniger Frauen als Männer ein technisches Studium. Und das, obwohl der Technikbereich viele interessante und vielversprechende Karriereoptionen bietet. Die Erklärung dafür wird oft woanders gesucht – etwa beim Einfluss der Eltern, Freund_innen, Schulen oder Kindergärten, nicht aber beim Technikstudium selbst. Und tatsächlich haben all diese Bereiche Einfluss, aber nicht immer so geradlinig wie gedacht. So interessieren sich Mädchen aus höheren sozialen Schichten eher für technische Berufe als jene aus ärmeren Einkommensverhältnissen. Buben, auf der anderen Seite, orientieren sich bei ihrer Berufswahl – unabhängig ihres Klassenhintergrundes – stärker an dem Rollenvorbild ihres Vaters.
Schon Kindern ist klar: Ein Ingenieur ist ein Mann
Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass bereits Schulkinder eine Vorstellung davon haben, wer ein Ingenieur ist: nämlich ein Mann. Sich als junge Frau für so eine Karriere zu entscheiden, heißt mit diesen Vorstellungen zu brechen und sich somit auf ein unsicheres Unterfangen einzulassen. Das hat weniger mit Talenten oder Fähigkeiten zu tun als mit Selbstvertrauen. Und es ist einfacher etwas zu wagen, wenn es eine Absicherung gibt. Diese Absicherung kann durch vorhandene finanzielle Mittel, durch Vorbilder, durch unterstützende Lehrer_innen, Verwandte oder Freund_innen gegeben sein. Dies sind einige Faktoren, welche die Wahl für ein Technikstudium mit beeinflussen. Und bei all diesen Faktoren spielt die soziale Herkunft, das Geschlecht, eine Migrationsgeschichte und noch vieles mehr eine Rolle.
Das bedeutet jedoch nicht, dass Universitäten und Fachhochschulen sich ganz der Verantwortung entziehen können. Diese können mit beeinflussen, welche Studienanfänger_innen sie ansprechen, welche Themen und Kompetenzen sie hervorheben, ob und welche Auswahlkriterien sie festlegen und welche Angebote an potenzielle Studienanfänger_innen gemacht werden.
Bilder und Sprache im Technikstudium
Ein Faktor, der jedenfalls im Einflussbereich der Universitäten und Fachhochschulen liegt, ist die Gestaltung der Studien und der Lehre. Eine Untersuchung an technischen Universitäten in Deutschland hat ergeben, dass 80 Prozent der Studienabbrecher_innen hätten gehalten werden können, wären die Lernbedingungen besser gewesen. Leistungsdruck, Formellastigkeit und mangelnde Betreuung durch Lehrende wurden von Studierenden als zentrale Konfliktfelder genannt. Somit gilt es nicht nur die individuellen Situationen von Studierenden in den Blick zu nehmen, sondern auch die Rolle der Lehrenden. Immerhin gestalten diese den Studienalltag wesentlich mit, in der Art und Weise wie Inhalte vermittelt und Kompetenzen abgeprüft werden.
Dabei spielen die verinnerlichten Vorstellungen von „idealen“ Studierenden eine wesentliche Rolle. Gehen Lehrende vorreflexiv, also ohne bewusst darüber nachzudenken, davon aus, dass gute Studierende jene Kompetenzen lernen und beherrschen müssen, welche Wissenschafter_innen für ihre Arbeit benötigen, dann werden sie auch den Lernplan dementsprechend gestalten. Doch Universitäten haben laut Universitätsgesetz die Aufgabe, durch Wissenschaft zu bilden und Studierende für bestimmte berufliche Tätigkeiten zu qualifizieren. Das bedeutet, dass ein Studienabschluss nicht nur ein Qualifikationskriterium für die Wissenschaft ist, sondern auch für außerwissenschaftliche Berufe.
Wenn dann jedoch nur der „akademische Gedanke“ im Vordergrund steht, werden jene Studierende, die diesen nicht zur Gänze teilen, als schlechter wahrgenommen und manchmal eben auch als Studierender zweiter Klasse behandelt. Das bringt Frauen wie Männer, die solche akademischen Umgangstöne nicht gewohnt sind und sich auch nicht an diese anpassen wollen, dazu, sich während oder nach dem Studium für einen anderen Weg zu entscheiden, selbst wenn sie die nötigen Kompetenzen für eine erfolgreiche Karriere hätten. Studierende, deren Eltern akademisch gebildet sind und die denselben Umgangston kennen, den Lehrende verwenden, sind hingegen im Vorteil.
HTL-Abschluss erklärt nicht den Studienerfolg
Ein Argument, dass oft als Begründung für schlechtere Chancen von Studentinnen einerseits und Studierenden mit Migrationsgeschichte andererseits gebracht wird, ist die unterschiedliche Vorbildung oder Sprachkenntnisse. Es stimmt: Junge Frauen absolvieren seltener eine HTL als ihre männlichen Altersgenossen. Aber ein HTL-Abschluss hat nicht immer dasselbe Gewicht für ein erfolgreiches Technikstudium. Es entscheiden sich nicht nur HTL-Absolventinnen seltener als Absolventen für ein Technikstudium, auch ihre Aussichten auf einen Studienabschluss sind schlechter.
Zudem spielt auch die Staatsbürgerschaft, die hier stellvertretend für Migrationsgeschichte steht, eine Rolle. Männer, die in Österreich eine HTL-Matura ablegten – also über ausreichend Deutschkenntnisse für einen erfolgreichen Schulabschluss verfügten –, jedoch beispielsweise eine serbische Staatsbürgerschaft haben, sind stärker abbruchgefährdet, als ihre Kollegen mit österreichischer Staatsbürgerschaft. Die Vorbildung kann diesen Unterschied nicht erklären. Vielmehr ist es – neben möglichen finanziellen Restriktionen – das Vertrautsein mit dem Umgangston und die Ähnlichkeit zu den – meist männlichen – Vortragenden, die es österreichischen Studenten erleichtert, ihren Platz an der Universität zu finden.
Verantwortung der Universitäten
Es gibt noch viele andere Beispiele dafür, wie durch unbewusste Praktiken ein Bild von Technikern aufrechterhalten wird, das Menschen, die für diese Berufe geeignet wären, aber nicht diesem stereotypen Bild entsprechen, davon abhält, in diesem Bereich Fuß zu fassen.
Wollen Universitäten ihrem gesellschaftspolitischen Auftrag gerecht werden und zur Lösung sozialer Probleme beitragen, wäre es wichtig, sich dieser Frage stärker zu stellen. Es ist die Verantwortung der Universitäten, zu überlegen was im eigenen Einflussbereich getan werden kann, um eine inklusivere Lernumgebung herzustellen und Technik einem breiteren Spektrum von Menschen zugänglich zu machen.