Unter dem Deckmantel der Flexibilisierung

28. Oktober 2013

Im Zuge der aktuellen Kollektivvertragsverhandlungen geraten Wirtschaftsseite und Gewerkschaften neben dem Ausmaß der Lohn- und Gehaltserhöhung auch bezüglich Arbeitszeitregelungen in Konflikt. Mehr als 700.000 ArbeitnehmerInnen erbringen regelmäßig Über- bzw. Mehrarbeitsstunden. Ein Viertel dieser Arbeitsleistung bleibt unbezahlt. Das von Wirtschaftsseite unter dem Deckmantel der Flexibilität geforderte „Zeitkonto“ in der Metallindustrie würde die ArbeitnehmerInnen noch mehr unter Druck setzen und ihnen mehr als 600 Euro im Jahr kosten.

Entgegen der von Wirtschaftsseite gern monierten angeblichen Starrheit bei der Arbeitszeit arbeiten Österreichs Vollzeitbeschäftigte am viertlängsten im Euroraum. Auch bei den Sonderformen der Arbeitszeit wie Wochenend-, Schicht-, Abend- und Nacharbeit liegt Österreich im Mittelfeld der EU. Fakten dazu in der aktuellen Broschüre der Arbeiterkammer Oberösterreich. Ein besonderes Reizthema sind Überstunden bzw. Mehrarbeit, wo regelmäßig Verschlechterungen gefordert werden. Dabei bleibt bereits jetzt ein Viertel des Überstundenbergs, der 2012 knapp 300 Millionen Stunden hoch war, unbezahlt. Und dieser Anteil der weder in Zeit noch in Geld – auch nicht 1 zu 1 – abgegoltenen Stunden ist 2012 im Vergleich zum Vorjahr sogar um einen Prozentpunkt auf 23 Prozent angestiegen (Berechnungen auf Basis der Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebungen von Statistik Austria).

Mehr Personen von unbezahlten Überstunden betroffen

2012 musste jede/r fünfte lohnabhängig Beschäftigte, das sind 722.200 Personen regelmäßig Überstunden leisten. Die regional absolut meisten ArbeitnehmerInnen mit regelmäßiger Überstunden- bzw. Mehrarbeit gibt es in Wien (mehr als 160.000 Personen), gefolgt von Niederösterreich (mehr als 140.000 Personen) und Oberösterreich (mehr als 120.000 Personen):

 

Dekoratives Bild © A&W Blog
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 Jede/r Vierte, das sind rund 170.000 Personen, erbrachte 2012 Überstunden, ohne bzw. nur teilweise dafür bezahlt zu werden. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Anstieg um sechs Prozent. Werden die bundesweiten Anteile der Bezahlung bzw. Nicht-Bezahlung auf Bundesländerebene umgelegt, dann sieht die regionale Verteilung so aus:

 

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 Die meisten Überstunden werden in der Produktion erbracht – Tendenz steigend

Der größte Überstunden-Wirtschaftsbereich ist die Warenherstellung, wo 136.000 Beschäftigte 2012 rund 53 Millionen Über- bzw. Mehrarbeitsstunden erbrachten. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Anstieg um 0,7 Prozent bei den Personen und um 3,4 Prozent beim Stundenvolumen. Zum Vergleich: die Veränderung auf gesamtwirtschaftlicher Ebene war mit minus 0,6 bzw. minus 1,3 Prozent rückläufig. In der Produktion ist rund jede/r Sechste von unbezahlter Überstundenarbeit (gar keine bzw. nur teilweise Bezahlung) betroffen. Der Anteil der betroffenen Personen ist 2012 um zwei Prozentpunkte auf rund 18 Prozent angestiegen.

Flexiblisierungsdeckmantel

Die vom Wirtschaftskammer-Fachverband Maschinen und Metallwaren geforderte Einführung eines Zeitkontos im Ausmaß von 167,4 Mehrstunden (ohne die bisher geltenden 25 % Zuschlag für die neunte Stunde) sowie 167,4 Minusstunden brächte massive Verschlechterungen mit sich. Die Unternehmen erhielten von den Beschäftigten einen Gratiskredit in Höhe eines Monatseinkommens. Unter dem Deckmantel der Flexibilisierung drohen den ArbeitnehmerInnen durch wegfallende Zuschläge 620 Euro Lohnverlust, wie die Arbeiterkammer Oberösterreich (AK OÖ) errechnet hat. Und durch das Zeitkonto „würden die Beschäftigten in der Metallindustrie zu Tagelöhnern gemacht werden“, wie Rainer Wimmer und Karl Proyer von der Produktionsgewerkschaft und der Gewerkschaft der Privatangestellten GPA-djp warnen. Dem mickrigen Lohnerhöhungsangebot sowie der damit noch verknüpften Arbeitszeitverschlechterung antworten die Gewerkschaften mit der Ankündigung eines unbefristeten Streiks.

Wenn die geforderte Flexibilität bedeutet, dass sich die lohnabhängig Beschäftigten den ausbeuterischen Unternehmenswünschen absolut zu beugen haben, dann bleibt nur der Streik. So ähnlich sehen das auch die oberösterreichischen BetriebsrätInnen, für die mehrheitlich Streik ein legitimes Mittel darstellt (ISW/AKOÖ). Die EU-Grundrechtecharta (Artikel 28) zählt Streik zu den Grundrechten: bei Interessenkonflikten gibt es für ArbeitnehmerInnen und Gewerkschaften das Recht, „kollektive Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Interessen, einschließlich Streiks, zu ergreifen.“

Arbeit fair teilen

Überstunden sind abzubauen und korrekt zu bezahlen. Als Kompensation für die negativen Effekte von zu vielen Überstunden sowie als Anreiz für den Überstundenabbau soll eine vom Unternehmen zu zahlende Abgabe in Höhe eines Euros je geleisteter Über- bzw. Mehrarbeitsstunde dienen. Statt der vorgestrigen Arbeitszeitirrwege braucht es eine faire Verteilung von Arbeit und Arbeitszeit mit einer echten Verkürzung bei der Vollzeit, ein Recht auf Wechsel zwischen Voll- und Teilzeit und mehr Mitbestimmungsrechte bei der Gestaltung der Arbeitszeit. Zeit ist Leben, und Arbeitszeit ist Teil des Lebens. Es braucht wieder mehr Souveränität über die eigene Zeit!