Verschlechterung der Situation von Sexarbeiter/-innen während der Corona-Pandemie

27. November 2020

Die Corona-Krise und die beiden Lockdowns treffen die Gruppe der Sexarbeiter/-innen besonders hart. Die Situation stürzt die Sexualdienstleister/-innen in eine existenzielle Notlage. Viele von ihnen verloren nicht nur ihren Arbeits-, sondern auch ihren Wohnplatz; häufig ist auch ein Umsteigen auf „Online-Dienste“ nicht möglich. Während andere Selbstständige aber durch Hilfeleistungen unterstützt werden, fallen Sexarbeitende aufgrund rechtlicher Ungleichbehandlungen durch die Sicherungssysteme. Im Hinblick auf den besonderen Charakter der Sexarbeit ist es an der Zeit, spezifische Maßnahmen zum Schutz der Dienstleister/-innen zu treffen.

Ab Mitte März war jegliche Form der Ausübung sexueller Dienstleistungen verboten. Da die Lockerungsverordnung im April diese Berufssparte nicht erfasste, galt das absolute Berufsverbot bis zum 1. Juli. Das allgemeine Berufsverbot brachte große Schwierigkeiten mit sich. Insgesamt waren davon 8.000 registrierte Sexarbeiter/-innen – wobei die Dunkelziffer weit größer ist – betroffen. Seit 3. November dürfen die Sexualdienstleister/-innen gemäß der neuen Maßnahmeverordnung wieder nicht der Sexarbeit nachgehen.

Abgesehen vom Ausfall der Einkünfte verloren viele von ihnen auch ihr Obdach, da der Arbeitsplatz oft gleichzeitig als Wohnstätte dient. Ein etwaiges Umsteigen auf andere Dienste, wie etwa Telefonsex oder Online-Sex, ist eine Form der Überbrückung. Aber einerseits ist dies weniger lukrativ als „reale Kontakte“, andererseits fehlt es den meisten am notwendigen Equipment oder an den finanziellen Mitteln, sich entsprechend auszustatten.

Viele der Sexarbeiter/-innen haben ihren Lebensmittelpunkt im Ausland und pendeln zwischen ihrem Arbeits- und Wohnort. Aufgrund der Grenzschließungen und Reisebeschränkungen konnten viele von ihnen nicht in ihr Heimatland zurück und saßen an ihrem Arbeitsort fest.

Im Rahmen des zweiten Lockdowns erhalten Unternehmen und Branchen, welche direkt von der behördlichen Schließung erfasst sind, eine Umsatzentschädigung. Dabei wird der November-Umsatz aus dem Vorjahr in Höhe von bis zu 80 Prozent ersetzt. Welche Branchen direkt betroffen sind, ist nach der Klassifikation der Wirtschaftstätigkeit (ÖNACE 2008) zu beurteilen. Explizit ausgenommen sind dabei die Einrichtungen zur Ausübung der Prostitution. Bordellbetriebe erhalten demnach keinen Umsatzersatz.

Empfehlungen zur Ausübung der Sexarbeit ab 1. Juli 2020

Die Sexarbeit war ab 1. Juli 2020 wieder erlaubt. Diesbezüglich wurden vom Sozialministerium Empfehlungen erstellt. Die Sexarbeiter/-innen konnten im Zuge der sechswöchigen amtsärztlichen Untersuchungen auch einen Corona-Test durchführen, dieser war aber nicht verpflichtend. Hinsichtlich der Hygienemaßnahmen wurde auf die Bereitstellung von Desinfektionsmittel und das Auswechseln der Matratzenbezüge nach jedem Kunden/-innenbesuch gesetzt. Zusätzlich sollten die Sexarbeiter/-innen den Gesundheitszustand ihrer Kunden/-innen überprüfen und bei Vorliegen von Symptomen von jeglichen sexuellen Dienstleistungen Abstand nehmen. Empfohlen wurde auch, die Kontaktdaten der Kunden/-innen zum Zweck des Contact-Tracings aufzunehmen.

Abdrängen in die Illegalität

Die Existenzängste und die Unsicherheit während des Berufsverbots führten zur illegalen (= entgegen dem Berufsverbot) Ausübung von Sexarbeit. Sexarbeiter/-innen haben sich vor Aufnahme der Tätigkeit und danach in Abständen von sechs Wochen amtsärztlichen Untersuchungen zu unterziehen. Nur bei Freisein von Syphilis, Tripper und Aids wird ein entsprechender amtlicher Lichtbildausweis ausgestellt. Jene Sexarbeiter/-innen, die über dieses Zeugnis verfügen, gelten als registriert. Während des ersten Lockdowns wurden aber keine Untersuchungen durchgeführt, weshalb die Kontrollkarten abliefen. Somit war den Sexarbeiter/-innen auch nach der Aufhebung des Berufsverbots die Ausübung der Tätigkeit (teilweise) nicht möglich.

Auch dieser Umstand kann dazu führen, dass die Tätigkeit vermehrt illegal ausgeübt wird. Laut Christian Knappik, Sprecher des „Sexworker-Forums“ (Forum von Sexarbeitern/-innen für Sexarbeiter/-innen), dränge dies Sexarbeiter/-innen, die arbeiten wollen, dazu, ihre eigenen physischen und psychischen Grenzen laufend zu überschreiten, um irgendwie an Geld zu kommen. Das macht die Sexarbeiter/-innen leichter erpressbar und setzt sie einem erhöhten Gesundheitsrisiko und dem Risiko von Gewaltübergriffen durch Kunden/-innen aus.

Generell verleiten Existenzängste, der Verlust des Obdachs und etwaiger Druck von Angehörigen aus dem Heimatland die Sexarbeiter/-innen dazu, trotz des Berufsverbotes oder fehlenden Ausweises der Sexarbeit nachzugehen. Diese findet während der Krise nicht am Straßenstrich statt, sondern an räumlich geschlossenen Orten, beispielsweise in Bordellen oder Privatwohnungen. Im Gegensatz zur illegalen Ausübung in den Bordellen ist die Kontrolle von Privatwohnungen nur eingeschränkt möglich.

Keine Termine für Pflichtuntersuchungen

Mit 1. Juli 2020 durften die Sexarbeiter/-innen offiziell wieder ihre Tätigkeit aufnehmen. So die Theorie, denn es war vielen nicht möglich, tatsächlich wieder zu arbeiten.

Da die verpflichtenden Untersuchungen während des Lockdowns nicht stattgefunden haben, sind sämtliche Ausweise aufgrund der Überschreitung des Untersuchungsintervalls ausgelaufen. Um wieder legal arbeiten zu können, haben sich die Sexualdienstleister/-innen einer Kontrolluntersuchung zu unterziehen.

Bei den verschiedenen Untersuchungsstellen sowie Gesundheitsämtern herrschte ein Terminengpass, verbunden mit sehr langen Wartezeiten. Erschwerend kommt hinzu, dass es aufgrund der Einhaltung der Corona-Sicherheitsvorschriften zu einer Reduktion der üblicherweise möglichen Termine kommt.

Allein in Wien sind 3.800 Sexarbeiter/-innen registriert, was bei einer Tageskapazität von 60 Untersuchungen zu Wartezeiten von bis zu zwei Monaten führt. Nach diesem ohnehin langen Zeitraum des Berufsverbots dürfen die Dienstleister/-innen bis zur Ausstellung eines neuen Ausweises wieder nicht arbeiten.

Corona-Härtefallfonds

Um den Ausfall der Einkünfte auszugleichen, wurde der Corona-Härtefallfonds geschaffen. Auch die Gruppe der „neuen Selbstständigen“ konnte grundsätzlich um Förderungen ansuchen, sofern die Antragsteller/-innen die nötigen Voraussetzungen erfüllen. In der Praxis ist allerdings der Zugang zu diesen Hilfeleistungen nur erschwert möglich. Die Unterstützung aus dem Corona-Härtefallfonds erfolgte in zwei Phasen. Während die Anforderungen in Phase 1 wesentlich strenger waren, wurden mit Beginn der Phase 2 am 20. April 2020 die Anforderungen gesenkt.

Für Unterstützungen in Phase 1 war es erforderlich, eine Kennzahl des Unternehmensregisters oder eine österreichische Steuernummer aufzuweisen. Zusätzlich musste die Unternehmensgründung bis zum 31. Dezember 2019 erfolgt sein und eine Pflichtversicherung in einer Krankenversicherung nach GSVG bestehen. Die Pflichtversicherung besteht für neue Selbstständige ab einem Jahres-Nettoeinkommen von € 5.527,92. Liegt das Einkommen darunter, so besteht keine Pflichtversicherung. Da viele der Sexarbeiter/-innen über keine Pflichtversicherung verfügen, sondern freiwillig versichert sind, hatten sie keinen Anspruch auf Unterstützung aus dem Härtefallfonds in Phase 1.

In Phase 2 ist es ausreichend, wenn man eine Steuer- und Sozialversicherungsnummer in Österreich angibt. Zudem reicht nun auch eine freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung aus, um einen entsprechenden Antrag stellen zu können.

Arbeiten die Sexarbeiter/-innen selbstständig, so sind ihre Einkünfte nach § 23 EStG steuerpflichtig. In diesem Fall erteilt das Finanzamt eine eigene Steuernummer. Allerdings ist es häufig so, dass die Sexualdienstleister/-innen keine eigene Steuernummer haben, weil Bordellbetreiber/-innen trotz des seit 2014 bestehenden Verbots unverändert Pauschalsteuern einheben.

Zusätzlich ist bei der Beantragung von Unterstützungen aus dem Härtefallfonds die Kontonummer eines Kontos in Österreich bekannt zu geben. Viele Sexarbeiter/-innen haben jedoch kein österreichisches Konto, da etwa 95 Prozent davon Personen mit Migrationshintergrund sind, wobei der Großteil aus EU-Ländern wie Bulgarien, Rumänien und Ungarn stammt. Konsequenterweise verfügen diese Sexarbeiter/-innen meist über ein Konto im Ausland.

Oft scheitert die Zuwendung aus dem Härtefallfonds aber bereits daran, dass viele der Sexarbeiter/-innen sich aus Angst vor Stigmatisierung und Diskriminierung gar nicht erst registrieren lassen. Dadurch fallen sie durch jedes Unterstützungsnetz.

Fazit

Die Gruppe der Sexarbeiter/-innen ist durch die Auswirkungen der Corona-Krise besonders hart betroffen. Sie haben mit Erwerbslosigkeit und infolgedessen mit Einkommensausfällen sowie Obdachlosigkeit zu kämpfen. Das Thema Sexarbeit findet in der öffentlichen Diskussion kaum Beachtung, vielmehr ist es in den COVID-Verordnungen bloß „mitgemeint“ und findet häufig unter widrigen Rahmenbedingungen – vielfach auch in der Illegalität – statt. Es wurden keine spezifischen Regelungen getroffen, welche aufgrund des besonderen Charakters dieser Erwerbstätigkeit erforderlich wären.

Die Lage der Sexarbeiter/-innen in der Corona-Krise spiegelt die bestehenden Schwierigkeiten in diesem Metier wider. Sexarbeitern/-innen sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, an den für sie relevanten Themen mitwirken zu können. Es ist an der Zeit, die Sexarbeiter/-innen als selbstbestimmte und selbstständige Arbeitsgruppe anzuerkennen und die entsprechenden rechtlichen Maßnahmen zu setzen, um ihre Position zu stärken.