Sind Männer vor allem ein Hindernis auf dem Weg zur Gleichstellung oder können Männer neue Verbündete für eine gemeinsame Gleichstellungspolitik sein? Kann überhaupt von „den“ Männern und „den“ Frauen gesprochen werden oder sind andere Faktoren wie soziale Schicht, Migrations- oder Bildungshintergrund zentraler?
Wo werden Änderungen im Geschlechterverhältnis sichtbar, wo (noch) nicht? Welche konkreten – vielleicht neue – Wege können gemeinsam Richtung Gleichstellung und Geschlechterdemokratie eingeschlagen werden?
Auf diese und andere Fragen wurden im Rahmen der Publikation „Bewegung im Geschlechterverhältnis? Zur Rolle der Männer in Österreich im europäischen Vergleich“ Antworten gesucht. Ziel der Publikation, die auf der EU-weiten Studie „Role of Men in Gender Equality“ beruhte, war es, die Rolle der Männer im Geschlechterverhältnis in den Bereichen Bildung, Aufteilung unbezahlter Arbeit, Erwerbsarbeit, Gesundheit, Gewalt und Politik in den letzten Jahren zu skizzieren. So sollten Fortschritte bzw. Stagnationen in den unterschiedlichen Feldern und die Situation in Österreich im EU-Vergleich analysiert werden.
Wenn es auch nach wie vor in erster Linie Männer sind, die von der bestehenden Geschlechterhierarchie profitieren, wird gleichzeitig auch immer deutlicher, dass nicht alle Männer gleichermaßen Profiteure des Systems sind, sondern vor allem bestimmte Gruppen die so genannte „patriarchale Dividende“ – wie es R. W. Connell nannte – lukrieren. Außerdem ziehen gängige Bilder von „Männlichkeiten“ auch viele Nachteile nach sich, beispielsweise aufgrund der einseitigen Ausrichtung auf Erwerbsarbeit bei Ausblendung anderer Lebensperspektiven. Vor allem jüngere Männer lehnen diese einseitige Zurichtung immer stärker ab und streben vermehrt nach einer Erweiterung und Öffnung einseitiger Rollenzuschreibungen und -modelle.
Ein Beispiel, welche konkreten gleichstellungs- bzw. gesellschaftspolitischen Änderungen sich abzeichnen, wenn Frauen und Männer in den Blick Richtung Gleichstellung genommen werden, ist die Verteilung der Arbeitszeiten: So sind die unterschiedliche Verteilung der Lohn- wie Reproduktionsarbeit und die verschiedenen Arbeitszeitmuster jahrzehntelange Themen der (angewandten) Geschlechterforschung.
Neue Aspekte durch kritische Männerforschung
Die kritische Männerforschung bereichert den Diskus um weitere Elemente und Fragen. So wird das Bild des „erwerbszentrierten Familienernährers“ als Norm und nahezu einzige Rollenmöglichkeit auch für Männer in Frage gestellt. Einerseits macht der Arbeitsmarkt diese Norm immer brüchiger – aufgrund des stattfindenden Strukturwandels, der Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse und einem breiten Ausschluss aus dem Erwerbssystem vor allem von Menschen ohne weiterführender Ausbildung. Andererseits wird eine breitere Vielfalt an Lebens- und Rollenperspektiven von vielen Männern und Frauen aktiv eingefordert und gelebt.
Auf empirischer Ebene zeigt sich ein EU-weiter Trend einer langsamen, aber stetigen Arbeitszeitverkürzung der Männer bei gleichzeitiger Erhöhung der Arbeitszeit bei Frauen und damit eine schrittweise Annäherung der Arbeitszeitmuster von Frauen und Männern. Österreich stellt hier insofern eine Ausnahme dar, als die durchschnittliche Arbeitszeit der Männer zwar ebenfalls leicht sinkt, jene der Frauen aber noch stärker – die Arbeitszeitschere klafft also stärker auseinander. Dennoch: Auch in Österreich kommt Bewegung in das System der Aufteilung der Lohn- und Reproduktionsarbeit und vor allem ein Blick auf die Männer zeigt hier weiteres Änderungspotential.
So ist für Österreichs Männer (ebenso wie EU-weit) evident, dass die Arbeitszufriedenheit mit besseren Vereinbarkeitsmöglichkeiten und kürzeren Arbeitszeiten steigt. Insgesamt ist von einer immer stärkeren Konvergenz der Arbeitszeitwünsche zwischen Frauen und Männern auszugehen. Geschlechtsspezifische Ausprägungen von Arbeitszeiten sind eher Ausdruck nicht mehr zeitgemäßer institutioneller und betrieblicher Eigenheiten, als Wunsch der Beschäftigten.
‘Frauenbranchen’ bringen auch Männern bessere Vereinbarkeit
Insgesamt lassen sich enorme branchenspezifische Unterschiede ausmachen, ob Arbeitszeiten auch an anderen Lebensbereichen ausgerichtet werden können und ob hauptsächlich betriebliche Interessen diese diktieren. Dies wurde durch eine Studie von L&R Sozialforschung im Auftrag der AK Wien belegt: Im männerdominierten Produktionsbereich sind kürzere, an anderen Lebensbereichen orientierte Arbeitszeiten für Männer (und Frauen) die Ausnahme, in frauendominierten Dienstleistungsbereichen kommen gewisse vereinbarkeitsrelevante Errungenschaften beiden Geschlechtern zugute (die Nachteile treffen vor allem Frauen). Viele gemischte Berufsfelder sind von überlangen Arbeitszeiten, aber auch Teilzeitmöglichkeiten für Männer und einer relativ hohen Arbeitszeitautonomie geprägt. Hier zeigt die Analyse, dass vor allem regulierte gemischte Branchen die besten Möglichkeiten für weibliche wie männliche Beschäftigte zur Verfügung stellen.
Dabei ist auch wichtig, dass geschlechtergerechte, neue Arbeitszeiten nicht nur eine Frage des Stundenausmaßes sind, sondern auch die Planbarkeit, Lage, Autonomie, Ermöglichung kleiner Alltagsflexibilitäten sowie die Betriebskultur betreffen.
Während in einigen Branchen männliche Angestellte von bestehenden, ursprünglich vor allem auf Frauen ausgerichtete Vereinbarkeitsmöglichkeiten profitieren und diese auch nützen, ist vor allem für Arbeiter eine Arbeitszeitreduktion (außer in Zeiten der Krise) bislang kaum ein betriebliches und/oder sozialpartnerschaftliches, sondern höchstens ein individuelles Thema.
Deutlich wird hier, dass quer über alle Beschäftigten Männer in Produktionsbranchen den höchsten Änderungsbedarf punkto anderer Arbeitszeiten formulieren – an Arbeitszeiten, die sich auch an anderen Lebensbereichen orientieren. Gleichzeitig sind diese Beschäftigten aber kaum in entsprechende Strategien einbezogen, da es in so genannten Männerbranchen angeblich nicht notwendig sei, auf Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu achten. Hier zeigt die Realität, dass das die Beschäftigten selbst mittlerweile anders sehen.
Männlich konnotierte Vollzeitnorm tatsächlich das, was „die“ Männer wollen?
Werden Männer nicht nur als Hindernis auf dem Weg zur Geschlechtergleichstellung gesehen, sondern als mögliche Bündnispartner, ergeben sich auch neue Blickwinkel rund um eine andere Gestaltung der Arbeitszeiten. Als besonders bereichernd ist vor allem die Frage, ob die so genannte „Vollzeitnorm“ wirklich das ist, was „die Männer“ wollen? Und ob wirklich von einer ewigen „männlichen Verhaltensstarre“, wie Andreas Heilmann es treffend nannte, auszugehen ist oder ob nicht vielmehr von einem immer stärkeren Interesse an neuen geschlechtergerechten Erwerbsarbeits-/Lebensmodelle von Frauen und Männern auszugehen ist, das von der politischen und sozialpartnerschaftlichen Ebene noch zu wenig unterstützt und aufgegriffen wird?
So wird in Österreich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie die ökonomische Absicherung der Familien über kurze Frauen- und (über)lange Arbeitszeiten der Männer gefördert – nordeuropäische Länder fördern stärker eine sanfte, abgestimmte Verkürzung beider Geschlechter und auch in Deutschland haben entsprechende Diskussionen längst Einzug in die öffentliche Debatte unter dem Stichwort „Familienarbeitszeiten“ erhalten. Gefordert wird eine Verkürzung der durchschnittlichen Männer- und Verlängerung der Frauenarbeitszeit und die Etablierung neuer Normen, wie jene einer 35 Stundenwoche als neue Normalarbeitszeit. Spannende Diskussionen und Ideen gäbe es genug, die auch Eingang in die Diskussion in Österreich finden könnten, insoferne von alten Dogmen, Normen, Bildern und Rollenzuschreibungen Frauen und Männer betreffend abgerückt wird.