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Die drastische Zunahme der Krankenstände aufgrund psychischer Erkrankungen ist die bei weitem auffälligste Entwicklung im Krankenstandsgeschehen. Erstmals macht diese Krankheitsgruppe schon mehr als zehn Prozent an allen Krankenstandstagen aus.
Ein durchschnittlicher Krankenstand aufgrund einer psychischen Erkrankung dauerte im vergangenen Jahr 41 Tage. Im Vergleich dazu dauert ein durchschnittlicher Krankenstand beim klassischen grippalen Infekt lediglich fünf Tage. Generell lässt sich sagen, dass innerhalb des rückläufigen Krankenstands die psychischen Erkrankungen als Ursache für Arbeitsunfähigkeit einen immer größeren Raum einnehmen. Dabei stagnieren die Muskel-Skelett Erkrankungen schon seit über 20 Jahren auf konstant hohem Niveau. Hier zeichnet sich keinerlei Rückgang ab.
Zeitdruck als Hauptursache für psychische Belastungen
Die großen Megatrends der modernen Arbeitswelt, die Informatisierung, die Globalisierung, die Ökonomisierung und die Tertiärisierung haben zu einer signifikanten Beschleunigung der betrieblichen Ablaufstrukturen geführt. Produkte werden kund_innenspezifisch und in immer kürzeren Innovationszyklen zur Verfügung gestellt. Markt- und Wettbewerbsorientierung haben erheblich zugenommen. Die innerbetriebliche Organisation gibt diese Rahmenbedingungen bspw. in Form von markt- und produktspezifischen Business Units und operativer Ergebnisverantwortung wider. Change Prozesse wie Fusionen, Übernahmen, Teilverkäufe, Personalabbau oder Expansionen und Outsourcing stehen auf der täglichen Agenda.
Korrespondierend dazu: Zeitdruck in der Arbeit gilt als die Hauptursache für psychische Belastungen von Arbeitnehmer_innen. 40 Prozent der Beschäftigten, die unter Zeitdruck stehen, weisen mehrfache psychische Belastungen auf. Bei 21 Prozent hat dieser bereits zu starken psychischen Beeinträchtigungen geführt. Stress und psychische Belastungen in der Arbeitswelt haben stark zugenommen, weil immer weniger Beschäftigte mehr Aufgaben schneller und in besserer Qualität erbringen müssen.
29 Prozent aller Beschäftigten in Österreich gelten bereits als „psychisch höher belastet“, zehn Prozent davon als „sehr hoch“, so das Ergebnis des Arbeitsgesundheitsmonitors. Dabei gelten Stressempfinden/Druck, Demotivation, Unfähigkeit abzuschalten, Depressivität, Gefühl der Erschöpfung und Überlastung, Gereiztheit und das Gefühl der Sinnleere als psychische Belastungsfaktoren.
Eine kürzlich europaweit durchgeführte Meinungsumfrage verdeutlicht die Meinungen von Arbeitnehmer_innen bezüglich arbeitsbedingtem Stress in Europa:
– 72 Prozent der Arbeitnehmer_innen sehen in Change-Prozessen oder durch drohende Arbeitsplatzverluste häufige Gründe für arbeitsbedingten Stress.
– 66 Prozent schieben Stress den geleisteten Stunden oder der Arbeitsbelastung zu.
– 59 Prozent sehen die Ursache von Stress darin, inakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing oder Belästigung ausgesetzt zu sein.
– 51 Prozent gaben an, dass arbeitsbedingter Stress an ihrem Arbeitsplatz häufig auftritt.
– Rund vier von zehn Arbeitnehmer_innen sind der Ansicht, dass Stress an ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt wird.
Erwerbstätigenbefragungen zeigen übereinstimmend die zunehmende Bedeutung der im Regelfall als beeinträchtigend wahrgenommenen psychischen Belastung für die Arbeitnehmer_innen: Etwa die Hälfte der Befragten sagt, dass Zeit- und Leistungsdruck sowie Störungen und Unterbrechungen – zentrale Dimensionen in der Arbeits- und Gesundheitsforschung – ihren Arbeitsalltag kennzeichnen.
Stress kostet
Stress ist das zweithäufigste arbeitsbedingte Gesundheitsproblem in der Europäischen Union. 51 Prozent der Arbeitnehmer_innen meinen, dass arbeitsbedingter Stress an ihrem Arbeitsplatz häufig sei, so die gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz in Europa bei der Arbeit 2013. (vgl. S. 19)
Stressbedingte Erkrankungen vernichten nicht nur die individuelle Gesundheit, sondern kosten laut Berechnungen des Wirtschaftsforschungsinstituts (vgl. S. 137) 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder 3,3 Mrd. Euro jährlich. Die Gesamtkosten, die durch psychische Erkrankungen in der EU, sowohl arbeitsbedingt als auch anderweitig verursacht werden, belaufen sich auf jährlich 240 Mrd. Euro, so das European Network for Workplace Health Promotion. (vgl. S. 5)
Ein Umdenken ist gefragt
Während es einen weitgehenden gesellschaftlichen Konsens darüber gibt, dass psychische Belastung mit dem Wandel der Arbeit zunimmt, mangelt es teilweise an erfolgreichen betrieblichen Strategien im Umgang mit dieser Thematik. Bislang gibt es immer noch sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber was unter „psychischer Belastung“ zu verstehen ist. Entgegen der arbeitswissenschaftlichen Fachwelt ist dieser Begriff vielfach negativ konnotiert und tabuisiert. Immer dann, wenn in Unternehmen psychische Belastungen mit psychischen Störungen oder fälschlicherweise mit individuellen Problemen in Verbindung gebracht werden, gilt es, dies zunächst zu überwinden.
Verhaltens- oder verhältnispräventive Maßnahmen können zur Vermeidung oder Minimierung von physischen und psychischen Belastungen maßgeblich beitragen. Dabei setzt die Verhaltensprävention bei der der Förderung von Gesundheitskompetenz und gesundheitsgerechtem Verhalten am Individuum an. Maßnahmen zur Vermittlung von Bewältigungstechniken, wie bspw. Anti-Stress-Trainings zählen dazu. Solche verhaltensbasierte und das jeweilige Individuum betreffende Maßnahmen können nur dann erfolgreich sein, wenn sich an der arbeitsbedingten Belastung, wie Führungsstil, Unternehmenskultur oder der Arbeitsorganisation, also an den Verhältnissen, ebenso etwas ändert. Generell gilt: Verhältnisprävention geht vor Verhaltensprävention!