Tausende Menschen treffen im Juni in Genf zur Sitzung der Internationalen Arbeitskonferenz (IAK bzw. ILC), dem wichtigsten Organ der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO bzw. ILO) zusammen. Dieses Jahr ging es vornehmlich darum, ob die IAO als weltweit normsetzende Institution ihren Stellenwert behaupten kann. Der wichtigste Ausschuss ist deshalb der Normenüberprüfungsausschuss, in dem die Einhaltung der Normen in den Mitgliedstaaten überprüft wird und der im Vorjahr durch den Auszug der Arbeitgeber in Frage gestellt worden war. Drei weitere Ausschüsse legten Schwerpunkte fest, die zu mehr sozialer Gerechtigkeit durch sozialen Dialog führen, sozialen Schutz im demographischen Wandel verbessern und menschenwürdige Arbeit bei gleichzeitiger Ökologisierung der Volkswirtschaften gewährleisten sollten.
Heuer hat erstmalig Guy Ryder die IAK als Generaldirektor (GD) wahrgenommen. Guy Ryder ist der erste IAO-GD, der aus einer Gewerkschaft kommt, genauer: aus dem britischen TUC. Er war lange in der IAO tätig und kennt sie von innen.
Auf dem Weg zu hundert Jahren IAO
2019 wird die IAO hundert Jahre alt und in seinem die Konferenz eröffnenden Bericht Auf dem Weg zum hundertjährigen Bestehen der IAO: Realitäten, Erneuerung und dreigliedriges Engagement setzte der neue GD den Akzent auf sieben Initiativen:
- Die Leitungsinitiative hat die Reform der Leitungsstrukturen der IAO zum Ziel,
- Die Normeninitiative soll den Normenüberprüfungsmechanismus konsolidieren und damit das Normensystem der IAO stärken
- Die Grüne Initiative soll menschenwürdige Arbeit beim Übergang zu einer ökologischen nachhaltigen Entwicklung generieren bzw absichern
- Die Unternehmensinitiative soll eine Plattform für die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und IAO schaffen
- Die Initiative zur Beendigung von Armut hat zum Ziel, der Notwendigkeit allen AN einen angemessenen und den Lebensunterhalt sichernden Lohns Rechnung zu tragen
- Die Initiative für erwerbstätige Frauen soll die Chancengleichheit voranbringen und
- Die Initiative betreffend die Zukunft der Arbeit bedeutet, dass ein beratender Ausschuss zu diesem Thema eingerichtet werden soll, dessen Bericht auf der Tagung des hundertjährigen Jubiläums der IAO im Jahr 2019 erörtert werden könnte.
Guy Ryder rief zum Schluss der Konferenz dazu auf, wirkungsvolle Maßnahmen zu setzen, um den Anforderungen in einer sich immer schneller wandelnden Arbeitswelt besser begegnen zu können.
Konsens im Normenausschuss
2012 konnten sich die Sozialpartner auf keine Liste der auf der Konferenz zu diskutierenden Staaten einigen, da sie die Interpretation des Sachverständigenausschusses, dass das Streikrecht im Übereinkommen 87 über die Vereinigungsfreiheit enthalten sei, akzeptieren wollten. Die AG hatten den Konferenzsaal, damit auch die Verhandlungen verlassen und den Ausschuss gesprengt. Der Verwaltungsrat bereitete die daraus entstehenden Probleme in zwei Sitzungen und fortlaufenden informellen Verhandlungen mit Regierungen und internationalen Sozialpartnern soweit auf, dass sich zwei konkrete Perspektiven ergaben. Eine Gruppe von Fällen sollte heuer auf der 102. IAK behandelt werden, die zweite später. Bei der Konferenz gelang sowohl eine dreigliedrige Einigung auf die vorgeschlagenen 26 gleich zu behandelnden Fälle, als auch für alle diese Fällen zu Schlussfolgerungen zu gelangen. Die Konsensformel dafür findet sich im Bericht des Normenprüfungsausschusses (S 45f) und lautete:
Der Normenüberprüfungsausschuss hat im vorliegenden Fall das Streikrecht nicht angesprochen, weil die AG nicht zustimmen können, dass in Übereinkommen 87 das Streikrecht enthalten ist. Die AN behalten sich vor, aufgrund des Mandats des Sachverständigenausschusses (der dies bejaht hat) in Übereinkommen 87 die Verknüpfung zwischen Vereinigungsfreiheit und Streikrecht immer wieder in Erinnerung zu rufen.
Der Normenprüfungsausschuss war somit wieder arbeitsfähig, und die IAO in ihrer normprüfenden Funktion gestärkt, Allerdings war die Meinung vieler TeilnehmerInnen auf der Konferenz, dass nur das weitgehende Entgegenkommen der AN-Seite dies ermöglicht hatte. Viele meinten daher, die AN-Seite müsse im nächsten Jahr wieder deutlicher die Interessen der AN im Auge haben. Die AG-Seite hingegen spricht von einer neuen Ära in Sachen Vereinigungsfreiheit und fühlt sich an die Interpretation des Sachverständigenausschusses nicht gebunden.
Kollegin Agnieszka Bros, die österreichische Delegierte des ÖGB (Referat Internationales), vertrat die österreichischen AN im Ausschuss für Normenanwendung.
Sanktionen gegen Myanmar aufgehoben
Ein historischer Moment war am 21.6.2013 die Aufhebung der Sanktionen, die 2000 gegen Myanmar verhängt wurden. Bis 2015 gibt es weitere Unterstützung seitens der IAO, den Aktionsplan zur Beseitigung der Zwangsarbeit bis 2015 einzuhalten.
Sozialer Dialog als Grundlage für soziale Gerechtigkeit
In den Schlussfolgerungen (S 62f) dieses Ausschusses wird der Soziale Dialog und die Dreigliedrigkeit als das wichtigste ordnungspolitische Paradigma der IAO zur Förderung sozialer Gerechtigkeit, fairer und friedlicher Arbeitsbeziehungen und menschenwürdiger Arbeit unterstrichen. Als Grundlage für die Maßnahmen zur Förderung des sozialen Dialogs wird in unterschiedlichen Facetten die Wichtigkeit der Achtung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen für alle AN und AG sowie für ihre repräsentativen Verbände unterstrichen. Interessant, dass dieser Rechtsschutz auch Wirkung für AN in Kleinst-, Klein und mittleren Unternehmungen, verletzlicher AN und AN in atypischen Formen der Beschäftigung entfalten soll A.11). Zur Verwirklichung ihrer Ziele soll die IAO auf proaktive Weise den Kontakt zu internationalen Organisationen und Institutionen, wie dem IWF, der Weltbank, der WTO, der G20 und der OECD etc aufnehmen (C.1).
Kollegin Johanna Bögner, die österreichische Delegierte des ÖGB (GPA-djp – BRV Boehringer-Ingelheim iR), vertrat die österreichischen AN im Ausschuss zur Wiederkehrenden Diskussion über den Sozialen Dialog.
Sozialer Schutz und demographische Entwicklungen
Ausgehend von einer demographischen Prognose, dass die Weltbevölkerung wächst und altert – wenn auch in unterschiedlichem Tempo, werden 2050 drei Viertel der älteren Bevölkerung – vornehmlich Frauen – der Welt voraussichtlich in Entwicklungsländern leben. In diesen Ländern sind die Menschen sehr häufig in der informellen Wirtschaft tätig und nur 20 Prozent der Weltbevölkerung im erwerbsfähigen Alter hat effektiven Zugang zu einem umfassenden sozialen Schutz. Auch in diesem Ausschuss wurden Schlussfolgerungen (S 72f) angenommen. Um drohender Arbeitslosigkeit (va auch der Jugendarbeitslosigkeit) etwas entgegensetzen zu können und den langsamen und schwierigen Übergang zu menschenwürdiger und damit einkommenssichernder und sozialen Schutz bietender Arbeit zu unterstützen, bedarf es einer gut ausgewogenen umfassenden Kombination von multidimensionalen und integrierten Maßnahmen, die die Wechselbeziehungen zwischen demographischen Verschiebungen, Beschäftigung, Arbeitsmigration, sozialem Schutz und wirtschaftlicher Entwicklung sowie den unterschiedlichen Gegebenheiten der Länder berücksichtigen (ua integrierte Ausbildungs- und Beschäftigungsansätze insbesondere auch für Jugendliche, Förderung der Generationensolidarität, Sozialer Dialog und KV-Verhandlungen, Maßnahmen gegen alle Formen von Diskriminierung, Soziale Sicherheit als Menschenrecht, grundlegende Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege und Beendigung von Kinderarbeit).
Kollegin Martina Lackner, die österreichische Delegierte des ÖGB (Referat Sozialversicherungspolitik) vertrat die österreichischen AN im Ausschuss zum Sozialen Schutz im neuen demographischen Kontext
Nachhaltigkeit und grüne Arbeitsplätze auf der Tagesordnung
Auch in diesem Ausschuss wurden die Schlussfolgerungen (S 67f) angenommen. Es hatte 20 Jahre gebraucht, um dieses komplexe Thema überhaupt auf die Tagesordnung der IAO zu bringen. Nun wird es voraussichtlich auch im kommenden Jahr weiter diskutiert werden. Den Entwicklungsländern war in der Diskussion besonders wichtig, dass im gesamten Dokument nicht von grüner Wirtschaft sondern von der Ökologisierung der Volkswirtschaften, Unternehmen und Arbeitsplätze gesprochen wird. Darüber hinaus wurde arbeitnehmerseitig klargestellt, dass es beim Übergang zu einer ökologischeren Arbeitswelt aktiver (arbeitsmarkt-)politischer Schritte bedarf, um Maßnahmen zu einer gerechteren Verteilung, damit langfristig Armutsbeseitigung und Generierung von menschenwürdiger Arbeit zu setzen. Sehr hilfreich erscheint der im Anhang der Schlussfolgerungen hergestellte Zusammenhang zu den bestehenden und anzuwendenden IAO-Übereinkommen und -Empfehlungen
Ich war als technische Beraterin des ÖGB in den Ausschuss für Menschenwürdige Arbeit, grüne Arbeitsplätze und nachhaltige Entwicklung delegiert.
Wie funktioniert die IAO
Die Delegationen der einzelnen Staaten setzen sich jeweils aus zwei Regierungsvertretern und zwei Sozialpartnern zusammen. Österreich ist durch den ÖGB und die IV vertreten, nur freiwillige Verbände sind zur Teilnahme legitimiert; WKÖ und AK stellen nur begleitende technischen BeraterInnnen. Auf Regierungsseite: Arbeits- und Sozialministerium, Außenministerium und ständige Vertretung bei der UNO in Genf.
Bedeutung der IAO für Österreich an zwei Beispielen
Eine Anpassung des österreichischen Hausgehilfen- und Hausangestelltenrechtes wurde letztes Jahr sozialpartnerschaftlich – leider aufgrund unnachvollziehbaren Widerstands der AG-Seite (Standes- statt Mitgliederpolitik) – erfolglos diskutiert. Es ging um für die Ratifikation notwendige Änderungen der Arbeitszeitbestimmungen, Rückführungskosten usw. Jetzt geht der Diskurs in die nächsthöhere politische Ebene. Die österreichische Regierungsvertretung muss nämlich jedes Jahr bei der IAO-Konferenz berichten, warum das von Österreich mitbeschlossene Hausangestellten-Übereinkommen immer noch nicht ratifiziert wurde (Follow-Up aus der 101. IAK 2012).
In einer Zusammenkunft am Rande der Konferenz zum Thema: Der Herausforderung prekärer Arbeit begegnen wurden Möglichkeiten aufgezeigt, wie man sich das Instrumentarium der IAO beim Kampf gegen die Prekarisierung in der Arbeitswelt nutzbar machen kann und darüber diskutiert.
Ausblick 2014 und 2015
Die Tagesordnung der nächsten Konferenz wird in der 317. Sitzung des Verwaltungsrates festgelegt werden.
Voraussichtlich werden die Verbesserung des Übereinkommens zur Zwangsarbeit Nr 29 (einmalige Diskussion) und die Verbesserung des Übergangs von der informellen zu formellen Ökonomie (Normsetzung, zweifache Diskussion) Thema der 103. ILC 2014 sein. Die informelle Wirtschaft und die wiederkehrende Diskussion des strategischen Ziels des Sozialschutzes (Arbeitsschutz) werden voraussichtlich Themen der 104. ILC 2015 sein.
Dieser Beitrag entstand unter Mitwirkung von Neda Bei (European Network of Legal Experts in the Field of Gender Equality & vormals AK Wien).