Impfpflicht ins Gesetz: Anmerkungen zum Entwurf im Schnelldurchlauf

18. Januar 2022

Als letzte Möglichkeit zur Hebung der Durchimpfungsrate wird von der österreichischen Politik nun auf die Impfpflicht gesetzt. Die bisherigen Versäumnisse, eine die gesamte Bevölkerung ansprechende Impfkampagne zu etablieren, haben diesen Schritt notwendig gemacht. Im Entwurf und darüber hinausgehend finden sich diverse rechtliche Unklarheiten und Lücken. Auch der vorgesehene Vollzug wird sich in der Praxis äußerst schwierig gestalten.

Da die Pandemiesituation und die politischen Handlungen einer derzeit äußerst dynamischen Veränderung unterliegen, wird betont, dass dieser Beitrag zum Rechts- und Wissensstand am 10. Jänner 2022 verfasst wurde.

Grundrechtseingriff

Jede Impfpflicht bedeutet einen Eingriff in das Grundrecht auf Achtung des Privatlebens nach Art 8 EMRK. Ein Eingriff in Grundrechte ist allerdings nicht immer rechtswidrig – er kann zum Schutz besonderer, gesetzlich festgelegter Ziele zulässig sein. Solche Ziele sind unter anderem der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung oder der Rechte und Freiheiten anderer Personen. Die vorgeschlagene Impfpflicht dient diesen Zielen, da eine hohe Durchimpfung nicht nur allgemein die Verbreitung von COVID-19, sondern auch eine Überlastung des Gesundheitssystems und damit auch weitere, die Gesellschaft belastende Akutmaßnahmen – wie Lockdowns – verhindert. Verfassungsexpert:innen betrachten den Grundrechtseingriff zwar als grundsätzlich gerechtfertigt; zu beachten ist aber die Verhältnismäßigkeit – denn nur jene Maßnahme, die am wenigsten in die Grundrechte eingreift, ist zulässig.

Während das Virus stetig mutiert, gewinnt die Wissenschaft regelmäßig neue Erkenntnisse zu Behandlungsmöglichkeiten der Krankheit. Die Impfpflicht muss jederzeit auch im Hinblick auf neue Entwicklungen gerechtfertigt sein. Eine regelmäßige Evaluierung der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit ist daher unumgänglich. Bestehen aufgrund der neuen Entwicklungen Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit, so müsste die Impfpflicht unverzüglich außer Kraft gesetzt bzw. ausgesetzt werden.

Es sind verschiedene weitere Szenarien denkbar:

1. Die Impfung schützt gegen schwere Verläufe: Nach derzeitigem Stand der Wissenschaft ist anzunehmen, dass mit der Booster-Impfung auch gegen die Omikron-Variante ein gewisser Schutz vor schweren Verläufen besteht. Ist der Schutz „nur“ hinsichtlich einer Infektion herabgesetzt, besteht aber weiterhin ein Schutz gegen schwere Verläufe und Hospitalisierungen, so bleibt die Impfung für den Zweck des Schutzes der öffentlichen Gesundheit weiterhin ein zweckmäßiges Mittel.

2. Die Impfung schützt nicht mehr gegen schwere Verläufe: Sollten zukünftige wissenschaftliche Studien ergeben, dass eine Impfung mit den derzeit zugelassenen Impfstoffen nicht mehr vor einer schweren Erkrankung schützt, wäre diese nicht mehr zweckmäßig und daher verfassungswidrig.

3. Eine Mutation führt zu milderen Verläufen: Stellt sich heraus, dass eine neue Variante, unabhängig vom Impfstatus, an sich zu milderen Verläufen führt, sodass eine Überlastung des Gesundheitssystems selbst bei sehr vielen Infektionen daher nicht zu erwarten ist, so ist eine Impfung nicht mehr notwendig, um das vorgesehene Ziel zu erreichen. Eine Impfpflicht wäre auch in einem solchen Szenario verfassungswidrig.

4. Alternativ gibt es neue wirksame Medikamente: Auch hinsichtlich der Behandlungsmöglichkeiten erzielen Wissenschaft und Forschung laufend neue Erkenntnisse. Für den Fall, dass Medikamente zugelassen und verfügbar sind, welche schwere Verläufe und Hospitalisierungen in einem solchen Ausmaß verhindern können, dass ein Kollaps des Gesundheitssystems selbst bei einer sehr hohen Inzidenz unwahrscheinlich erscheint, ist eine verpflichtende Impfung nicht mehr notwendig.

Gesundheitliche Ausnahmen von der Impfpflicht

Die zugelassenen Impfstoffe verursachen bloß äußerst selten schwere Nebenwirkungen. Langzeitfolgen der Impfung sind nach dem Stand der Wissenschaft keinesfalls zu erwarten – entgegen fälschlichen Behauptungen von Impfgegner:innen. Dennoch kann die Impfung für einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung eine gesundheitliche Gefahr darstellen. Diese Personen sind selbstverständlich von der Impfpflicht ausgenommen. Aus den Erläuterungen ist jedoch ersichtlich, dass es sich hier um eine sehr kleine Personengruppe handelt. Als Beispiele werden Erkrankungen mit „Graft vs. Hose Disease“ und potenzielle Gesundheitsgefährdungen sechs Monate nach einer Organtransplantation genannt. Wichtig ist, dass diese Personen auch über das bestehende Risiko aufgeklärt werden. Um eine umfassende und einheitliche Aufklärung durch die behandelnden Ärzt:innen zu gewährleisten, ist notwendig, dass das Gesundheitsministerium den Mediziner:innen entsprechendes Informationsmaterial zur Verfügung stellt. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass Ausnahmen von der Impfpflicht aus medizinischen Gründen in das „e-Impfregister“ eingetragen werden. Dieses wird zwar derzeit von der ELGA GmbH betraut, hat jedoch keine sonstige inhaltliche Überschneidung mit der Elektronischen Gesundheitsakte. Eine Abmeldung vom „e-Impfregister“ ist daher nicht möglich.

Der vorliegende Entwurf sieht vor, dass die Eintragung in das „e-Impfregister“ vorrangig durch Vertragsärzt:innen zu erfolgen hat. Um niedergelassene Ärzt:innen, die zumeist in einer jahrelangen Beziehung zu ihren Patient:innen stehen, nicht zusätzlich unter Druck zu setzen, sollte die Eintragung eines Befreiungsgrundes ausschließlich durch Amtsärzt:innen oder den chefärztlichen Dienst der Krankenversicherungsträger erfolgen. Aufklärung und Information sollte durch alle Vertragsärzt:innen erfolgen, da es wichtig ist, die Menschen darauf hinzuweisen, dass bei den allermeisten Erkrankungen (Diabetes, Asthma etc.) die Impfung schützt und nicht gefährdet.

Einzel- oder Dauerdelikt?

Aufgrund von unterschiedlichen Formulierungen im Entwurf ist unklar, ob es sich beim Verstoß gegen die Impfpflicht um ein Dauerdelikt oder um ein Einzeldelikt handelt. Der Wortlaut des § 1, welcher die Impfpflicht definiert, lässt auf ein Dauerdelikt schließen, da grundsätzlich alle in Österreich wohnhaften Personen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, von der Impfpflicht umfasst sind. Erst in der Strafbestimmung des § 7 wird auf die Impfung zum sogenannten Impfstichtag abgestellt, was die Auslegung als Einzeldelikt zulassen würde.

Diese Unterscheidung hat jedoch massive Auswirkungen. Ein Dauerdelikt stellt zwar bis zur Beendigung des strafbaren Verhaltens eine dauerhafte Verwaltungsübertretung dar, eine Verhängung einer neuerlichen Strafe ist jedoch nur möglich, wenn bereits ein vorhergehendes Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen wurde. Wenn die Impfpflicht als Dauerdelikt konzipiert ist, könnte durch zahlreiche Rechtsmittel und die damit verbundene Überlastung der Bezirksverwaltungsbehörden und Landesverwaltungsgerichte die Wirksamkeit der Regelung untergraben werden, da es sehr lange dauert, bis ein Verfahren abgeschlossen und eine Strafe verhängt werden kann. Ein Einzeldelikt könnte grundsätzlich ohne Beschränkung mehrfach bestraft werden. Der Gesetzgeber muss insbesondere bei einem so massiven Grundrechtseingriff dafür Sorge tragen, dass die erlassenen Normen möglichst klar und widerspruchsfrei sind. Daher ist eine Klarstellung dringend empfohlen.

Der Gesetzesentwurf regelt zwar die Intervalle, in denen die Auffrischungsimpfungen zu erfolgen haben; unklar ist allerdings, wie eine Auffrischungsimpfung zu qualifizieren ist, die außerhalb der vorgegebenen Intervalle erfolgt. Es ist vorgesehen, dass die Zweitimpfung zwischen 14 und 42 Tagen nach der Erstimpfung durchzuführen ist. Nicht geregelt sind hingegen die Rechtsfolgen, wenn die Zweitimpfung verspätet – beispielsweise erst nach 45 Tagen – erfolgt.

Immenser Verwaltungsaufwand

Die Ausstellung von möglicherweise bis zu 850.000 Strafverfügungen (unter der Annahme, dass sich bis 15. März noch 400.000 Menschen impfen lassen) verursacht einen immensen technologischen und personellen Mehraufwand bei den Bezirksverwaltungsbehörden und Landesverwaltungsgerichten. Jede Bezirksverwaltungsbehörde muss mit etwa 10.000 Strafverfahren rechnen und jedes Landesverwaltungsgericht mit Zigtausenden Verfahren. Ein solches Massenverfahren gefährdet einerseits die gesamte Verwaltung und andererseits die Effektivität der Impfpflicht.

Es ist daher dringend notwendig, die Zahl der Impfungen durch eine breite Impfkampagne vor Beginn der Strafbarkeit am 15. März 2022 massiv zu erhöhen. Die notwendige Information und Aufklärung zur Impfung sind auf allen Wegen anzubieten, um Ängste zu nehmen und Skepsis und Ablehnung entgegenzuwirken. Dabei muss berücksichtigt werden, dass zahlreiche Medien in Österreich massiv falsche Informationen über die Impfung, behauptete Nebenwirkungen und Langzeitwirkungen verbreitet haben. Diese Falschinformationen sind wirkmächtig und haben große Auswirkungen auf das Verhalten unter anderem im familiären Kontext. Zum Beispiel ist es für viele Jugendliche schwierig, sich gegen den Willen oder ohne das Wissen der Eltern impfen zu lassen. Auch für Menschen, die im Freundes- und Familienkreis selbst sehr impfkritisch waren oder von impfkritischen Personen (emotional) abhängig sind, muss ein gesichtswahrendes Ausstiegsszenario geschaffen werden, das eine Impfung ermöglicht (z. B. auch Einsatz von sogenannten „Totimpfstoffen“, sobald diese in Österreich zugelassen sind). Dies bedeutet auch individuelle Gesprächsangebote für Menschen, die Angst oder Bedenken haben. Sinnvoll wäre daher ein abgestufter Prozess aus Information, Beratung, Anreizen und nachdrücklicher Erinnerung. Das Gesundheitssystem und die Verwaltung sind mit ausreichend personellen Ressourcen auszustatten, um alle notwendigen pandemischen Maßnahmen auch umsetzen zu können.

Hat die Impfpflicht Auswirkungen auf …

… den Arbeitsplatz?

Schon kurz nach der Ankündigung der Impfpflicht wurde befürchtet, dass Arbeitgeber:innen ungeimpfte Arbeitnehmer:innen nicht in den Betrieb einlassen dürften. Rechtlich sind jedoch die allgemeine Impfpflicht und Betretungsbeschränkungen der COVID-19-Maßnahmenverordnungen zu trennen. Die Impfpflicht ist nicht von Arbeitgeber:innen, sondern von den zuständigen Behörden zu kontrollieren – was von der BAK sehr begrüßt wird. Polizeiliche Maßnahmen haben im Arbeitsverhältnis nichts zu suchen. Für die Übergangszeit wurde die Beibehaltung der 3G-Regelung bei der Arbeit angekündigt, um das Sicherheitsniveau aufrechtzuerhalten. Bei lückenlosem Entfall der 3G am Arbeitsplatz könnten ansonsten Ungeimpfte im Betrieb auch ohne aktuellen Test zu einer erhöhten Gefährdung der Betriebsangehörigen führen.

Die Verordnungen bieten die Möglichkeit, je nach regionaler epidemiologischer Situation entsprechende kurzfristige Maßnahmen zu setzen, die der Verbreitung von COVID-19 entgegenwirken. Es kann sein, dass gerade infolge der Wirksamkeit der Impfpflicht weitere Einschränkungen wie Lockdowns bzw. Ausgangssperren nicht mehr notwendig sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass mit dem Wegfall von Maßnahmen der COVID-19-MaßnahmenVO die Impfpflicht automatisch verfassungswidrig wird. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die Impfpflicht im Vergleich zu den akuten Mitteln der Verordnungen eine langfristige Maßnahme darstellt. Es kann aber umgekehrt der Fall sein, dass mit gelinderen Mitteln, wie Abstandhalten oder einer Maskenpflicht, längerfristig das Auslangen gefunden wird und damit eine Impfpflicht nicht mehr zulässig wäre.

Zu Eingriffen in das Grundrecht auf Erwerbsfreiheit nach Art 6 StGG bzw. Art 15 GRC im Zusammenhang mit einer Impfpflicht gibt es noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung. Bei einem so weitreichenden Eingriff würde sich die Frage der Verfassungsmäßigkeit jedenfalls stellen. Bisher hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in den Entscheidungen Solomakhin und Vavřička bloß zur Zulässigkeit einer Impfpflicht im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Wahrung der Privatsphäre nach Art 8 EMRK entschieden.

Insbesondere in der Pflege und Betreuung arbeiten viele Beschäftigte aus Osteuropa, die bereits mit einem in Österreich nicht zugelassenen Impfstoff, vorrangig Sputnik V, geimpft worden sind. Eine 2G-Verpflichtung am Arbeitsplatz, die bloß die zugelassenen Impfstoffe umfasst, würde die Grenzpendler:innen und das österreichische Pflegesystem vor immense Probleme stellen.

… Krankenstände?

Weiters benötigt es eine rechtliche Klarstellung, ob die Nichtvornahme der Impfung als Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit im Sinne der § 8 Angestelltengesetz bzw. § 2 Entgeltfortzahlungsgesetz zu werten ist und daher auch zu keinem Verlust der Entgeltfortzahlung im Krankenstand – beispielsweise aufgrund von „Long COVID“ – führt, wie das in ähnlichem, aber rechtlich anderem Zusammenhang in Deutschland diskutiert wurde.

… das Arbeitslosengeld und Notstandshilfe?

Zusätzlich sollte geklärt werden, ob eine nicht vorgenommene Impfung zum Verlust, zur Sperre oder Kürzung der Leistung nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz führt. Hier müssten vom Ministerium entsprechende Handlungsanleitungen an das Arbeitsmarktservice (AMS) gegeben werden, um Problemfälle zu vermeiden. Die Leistungen dürfen nicht von einer zeitintensiven Klärung durch die Höchstgerichte abhängig gemacht werden, da dies zu existenziellen Notlagen bei den Betroffen führen kann. Es muss geklärt werden, ob und welche Sozialleistungen es für ungeimpfte Menschen und ihre Familien geben soll, wenn zukünftig anzunehmen ist, dass der Großteil der österreichischen Arbeitgeber:innen auf die Schutzwirkung der Impfung nicht verzichten wollen wird und daher die Erlangung einer neuen Stelle weitgehend unmöglich wird. Durch die gewählte Konstruktion kann eine Beschäftigung zwar weiter erfolgen, muss aber nicht. Sollte das AMS Sperren beim Arbeitslosengeld verhängen und keine Mindestsicherung gebühren, sind diese Familien potenziell einkommenslos.

Zusammengefasst

Einerseits sind die maßgeblichen Kernbestimmungen des Gesetzesentwurfs lückenhaft oder missverständlich, andererseits bestehen weiterführende rechtliche Unsicherheiten, die jedenfalls vor dem geplanten Inkrafttreten einer – wie auch immer ausgestalteten – Impfpflicht mit 1.2.2022 beseitigt werden müssen.

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