Steuergesetze sind geschlechtsneutral formuliert, d.h. sie gelten für Frauen und Männer gleichermaßen. Aufgrund der unterschiedlichen sozio-ökonomischen Realitäten der Geschlechter wie etwa Einkommensunterschiede, ein unterschiedliches Ausmaß der Arbeitszeit und die ungleiche Verteilung von unbezahlter Arbeit haben Steuergesetze aber de facto geschlechtsspezifische Auswirkungen.
Steuern haben für Frauen und Männer sowohl unterschiedliche Verteilungs- als auch Anreizwirkungen – letzteres insbesondere mit Blick auf die Erwerbsbeteiligung. Zudem liegen den Gesetzen und der konkreten Ausgestaltung verschiedener Steuern normative Annahmen zugrunde, die „gesellschaftliche und politische Vorstellungen über Geschlechterverhältnisse spiegeln“ (Spangenberg, Wersig, 2013, 17) und bestimmte Lebensformen und Familienmodelle fördern. Aus diesen Gründen ist es aus einer gleichstellungspolitischen Sicht wichtig, das Steuersystem kritisch zu analysieren und Forderungen für eine Steuergestaltung mit emanzipatorischen Wirkungen zu formulieren (Klatzer, 2013).
Letztlich sollten alle Steuern aus der Gleichstellungsperspektive geprüft werden, also etwa auch Vermögens- und Erbschaftssteuern sowie Konsumsteuern. Zentral bleiben aber Steuern und Abgaben auf das Arbeitseinkommen, denn diese beeinflussen durch ihre Anreizwirkung die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern. Hier stellt sich zunächst die Frage, ob Individuen oder der Haushalt besteuert werden. Insbesondere die Ausgestaltung der Besteuerung der Zweitverdienerin/des Zweitverdieners – aktuell meist die Frau – macht normative Konzepte von Familienmodellen (Förderungen von Ein- oder ZweiverdienerInnen-Konzepten) deutlich. Wie in der Mehrzahl der europäischen Länder gilt in Österreich die aus Gleichstellungssicht fortschrittlichere Individualbesteuerung. International vergleichende Studien zeigen, dass „[d]er Einverdiensthaushalt (…) in den meisten EU-Ländern nicht mehr die Norm [ist]“ und in den durchgerechneten Konstellationen „ist er außer in Frankreich und Deutschland auch steuerlich nicht mehr besser gestellt als der Zweiverdiensthaushalt mit Kindern“ (Maier, 110).
Deutschland: Steuervorteil für Ehepaare
In Deutschland führt das Ehegattensplitting bei unterschiedlichen Einkommenshöhen zu einer Besserstellung des Ehepaares gegenüber unverheirateten Paaren. Es kommt ein gemeinsamer Grenzsteuersatz zur Geltung. Der Grenzsteuersatz gibt den Steuersatz des jeweils nächsten zu versteuernden Euros an. Da die beiden (unterschiedlich hohen) Einkommen addiert und dann durch zwei geteilt werden und der Einkommensteuertarif progressiv verläuft, wird das höhere Einkommen gegenüber einer Individualbesteuerung entlastet. Umgekehrt unterliegt das Einkommen der Zweitverdienerin oder des Zweitverdieners einem höheren Grenzsteuersatz – mit entsprechend negativen Erwerbsarbeitsanreizen. Insbesondere aufgrund des geschlechtsspezifischen Einkommensunterschiedes und höherer Teilzeitquoten sind in den meisten Fällen Frauen die ZweitverdienerInnen. Das deutsche Ehegattensplitting hemmt demnach die Erwerbsbeteiligung von (verheirateten) Frauen und fördert die Ausweitung der Erwerbstätigkeit der Männer (Geyer, Wrohlich, 92).
Grundannahme für das Ehegattensplitting ist die „intakte Durchschnittsehe“, dabei wird implizit angenommen, dass innerhalb eines Haushaltes das Geld von beiden PartnerInnen gleichermaßen verwendet wird. Eine aktuelle, experimentelle Studie widerlegt jedoch diese zentrale Annahme. Konsumentscheidungen werden im Haushalt nicht unabhängig davon getroffen, wer das Geld empfangen hat. Die StudienautorInnen Miriam Beblo und Denis Beninger empfehlen, dass diese Tatsache „auch in der praktischen Ausgestaltung von familien- und steuerpolitischen Instrumenten berücksichtigt werden“ sollte (Beblo, Beninger, 114, 126 f).
Österreich: Negative Effekte trotz Individualbesteuerung
Nicht zuletzt aufgrund der Individualbesteuerung stellt sich die Betrachtung des österreichischen Steuersystems aus der Gleichstellungsperspektive positiver als in Deutschland dar. Dennoch können auch hier geschlechtsspezifische Auswirkungen festgemacht werden. So wird die aus der Gleichstellungsperspektive positive Progression der Lohn- und Einkommensteuer durch einige Begünstigungen abgeschwächt, die überwiegend männlichen Steuerzahlern zugute kommen. Hierzu zählen insbesondere die Pendlerpauschale, Begünstigungen von Auslandstätigkeiten und steuerfreie Zulagen sowie Zuschläge, etwa für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit. Sowohl die steuerliche Behandlung als auch die Gründe für die steuerfreien Zulagen und Zuschläge sind aus der Gleichstellungsperspektive zu hinterfragen. Auch der „Alleinverdienerabsetzbetrag“ wirkt sich stärker zugunsten von Männern aus, während der „Alleinerzieherabsetzbetrag“ tendenziell Frauen begünstigt (Rainer, 51). Wesentlich für die geschlechtergerechte Wirkung eines Steuermodells ist zudem die Ausgestaltung des Steuertarifs, insbesondere die Höhe des Steuerfreibetrags und des Eingangssteuersatzes – die Sozialabgaben sind ebenfalls zu berücksichtigen.
Gender Mainstreaming und Gender Budgeting als gute Basis
Spannend dürfte die weitere Umsetzung von Gender Mainstreaming und Gender Budgeting in der Bundes-Finanzverwaltung werden. Denn grundsätzlich bildet die Rechtslage in Österreich „eine sehr gute Basis für eine gleichstellungsorientierte Steuergesetzgebung“. Zentral sind dabei die Verankerung von Gender Budgeting in der Bundesverfassung und die seit Anfang Jänner 2013 geltende gleichstellungsorientierte Gesetzesfolgenabschätzung. Hiernach müssen bei legistischen Vorhaben die Auswirkungen auf die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern anhand eines Fragebogens geschätzt werden. Zudem stellt Elfriede Fritz einige konkrete Zielsetzungen im Rahmen der Umsetzung von Gender Budgeting auf Bundesebene vor. Besonders spannend ist das Wirkungsziel in der „Untergliederung 16 Öffentliche Abgaben“, das lautet: „Bessere Verteilung der Erwerbsarbeit wie auch der unbezahlten Arbeit zwischen Frauen und Männern wird durch das Abgabensystem unterstützt“. In den Ausführungen zur Umsetzung dieses Ziels werden Maßnahmen zum „Abbau von negativen Erwerbsanreizen im Abgabensystem“, wie bspw. eine Senkung des Eingangssteuersatzes aufgeführt. Die Verringerung des Gender Pay Gaps ist ein Maß für einen Erfolg. Nach einer insgesamt positiven Einschätzung hält Fritz fest: „Den Worten müssen Taten folgen.“ (zu diesem Absatz: Fritz, 193f.)
Insgesamt sollte bei der Betrachtung des Steuersystems aus der Gleichstellungsperspektive nicht vergessen werden, dass der Staat über die Gestaltung des Steuersystems vor allem einen Einfluss auf die (Sekundär-)Verteilung der Einkommen hat. Ganz unterschätzt sollten die Wirkungsmöglichkeiten des Staates aber auch bei der Primärverteilung – also bei der Verteilung der Bruttoeinkommen – jedoch nicht werden. So ist ein Einfluss bei den Bezügen der öffentlich Bediensteten und der Besetzung von leitenden Positionen in staatlichen oder staatsnahen Unternehmen möglich. Ebenso sind langfristig positive Wirkungen durch den Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten und der Beteiligung von Vätern bei der Kinderbetreuung zu erwarten (Rainer, 55).
In dem von Ulrike Spangenberg und Maria Wersig herausgegebenen Buch „Geschlechtergerechtigkeit steuern. Perspektivenwechsel im Steuerrecht“ werden die hier skizzierten Thesen ausführlich dargelegt. Alle Zitate sind diesem Sammelband entnommen.
Dieser Beitrag erschien auch in den „wirtschaftspolitik-standpunkten 1/2014“, die sie hier nachlesen und abonnieren können.