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Psychische Erkrankungen zeichnen sich üblicherweise durch eine längere Genesungs- und somit Krankenstandsdauer aus. Psychische Erkrankungen waren bei Frauen für 11,5 % und bei Männern für 6,7 % aller Krankenstandstage verantwortlich. Bei Frauen dauerten 18,5 % der Krankenstandsfälle länger als sechs Wochen (42 Tage) und verursachten rund 73 % der Krankenstandstage. Bei den Männern bewirkten 19,7 % der Fälle einen Krankenstand mit einer Dauer von mehr als sechs Wochen und führten zu 74 % der Krankenstandstage.
Psychische Erkrankungen sind zudem die häufigsten Ursachen von Neuzugängen in die Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitspension und bei Rehabilitationsgeld-Zuerkennungen. Ein ähnliches Bild zeigt sich aber auch bei der Entwicklung des Pensionsstandes, indem der Anteil an psychischen Erkrankungen von 36,1 % (2011) über 43,8 % (2019) weiter auf 45,7 % (2020) stieg.
Die Produktivität eines Betriebes und auch die Gesamtwirtschaft hängen maßgeblich von qualifizierten und gesunden Arbeitskräften ab. Daher ist die Notwendigkeit von Frühintervention und Wiedereingliederung, auch im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung, auch aus ökonomischen Gesichtspunkten sinnvoll. Mittlerweile sind die Auswirkungen der steigenden Zahl an Erkrankungen und die damit einhergehenden langen Krankenstände bis zur völligen Arbeitsunfähigkeit auch volkswirtschaftlich bedeutsam. Die Reduktion gesundheitlicher Beeinträchtigungen, die Erhöhung der langfristigen Arbeitsfähigkeit haben erhebliche positive Rückwirkungen auf die Wohlfahrt der Gesellschaft eines Landes. Das Ziel muss sein, dieses positive Potenzial mit gezielten, umfangreichen und nachhaltigen Maßnahmen zu heben.
Was ist also zu tun?
Frühintervention – Wiedereingliederung
Hohe psychische Arbeitsanforderungen können zu gesundheitlichen Einschränkungen führen, wenn sie mit keinen entsprechenden Belohnungen (materiell und immateriell) verbunden sind, also wenn ein unausgewogenes Verausgabungs-Belohnungs-Verhältnis vorliegt. Daher ist bei Maßnahmen zur Gesundheitsverbesserung neben der betroffenen Person auch die starke Einbindung des betrieblichen Umfelds sowie des Gesundheitssystems erforderlich.
- Early Intervention in Österreich
Unter dem Begriff Frühintervention (Early Intervention) werden Handlungen verstanden, die auf die positive Beeinflussung des gesundheitlichen Zustands der Beschäftigten durch frühzeitiges Eingreifen abzielen. Es kann hierfür kein allgemein gültiger Zeitpunkt bestimmt werden, die empirische Forschung zeigt aber, dass gesundheitliche Probleme umso wahrscheinlicher irreversibel sind, je später die ersten Interventionen gesetzt werden. Gesundheitsförderliche Effekte zeigen insbesondere Interventionen, die eine Neugestaltung des konkreten Arbeitsplatzes durch veränderte Aufgaben und Verantwortlichkeiten oder durch reduzierte Arbeitszeiten ermöglichen.
Da es bei psychischen Erkrankungen nicht notwendigerweise zu Abwesenheiten am Arbeitsplatz kommt, wäre gerade in solchen Fällen ein frühzeitiges Eingreifen erforderlich.
Als eine konkrete Maßnahme der Frühintervention verschickt die ÖGK (Österreichische Gesundheitskasse) Einladungen zu einer persönlichen Beratung an Versicherte, die ohne Unterbrechung seit mindestens 28 Tagen im Krankenstand sind. In diesem freiwilligen Gespräch werden der weitere Krankheits- und Heilungsverlauf erörtert und Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen besprochen. Auch die Situation am Arbeitsplatz kann mitberücksichtigt werden, insbesondere Belastungen, Arbeitszeit, konkrete Tätigkeiten, welche die Heilung beeinflussen. Eine weitere Maßnahme ist das Einladungsschreiben zu fit2work, welches ASVG-Versicherte nach mindestens 40 nicht zusammenhängenden Krankenstandstagen im Jahr erhalten.
Der Vorteil dieser Instrumente liegt darin, dass kürzere, aber wiederkehrende Krankenstände dadurch miterfasst werden. Allerdings nehmen lediglich 8 % der Betroffenen das Beratungsangebot an, oftmals auch viel zu spät. Eine große Herausforderung ist hier, weitere Anreize für die Inanspruchnahme zu schaffen.
Frühzeitiges Eingreifen muss individualisiert erfolgen, je nachdem, in welcher Phase sich die betroffene Person befindet. Die Intervention kann – wenn sie rechtzeitig passiert – das Auftreten einer Krankheit verhindern oder diese frühzeitig bekämpfen, das Fortschreiten aufhalten oder die Folgen und Symptome reduzieren.
- Re-Integrationsinstrumente in Österreich
Die zwei bedeutendsten Instrumente der Wiedereingliederung in Österreich sind fit2work und die Wiedereingliederungsteilzeit. Beide setzen nach einer sechswöchigen Fehlzeit ein.
Der Fehlzeitenreport hat bedauerlicherweise gezeigt, dass das freiwillige und kostenlose Beratungsangebot fit2work sowohl von den Betrieben als auch von den Betroffenen noch zu wenig in Anspruch genommen wird.
Im Jahr 2019 gab es insgesamt 135.834 Krankenstandsfälle von unselbständig Beschäftigten, die länger als sechs Wochen dauerten. Die Zahl der fit2work-Erstberatungen von Betroffenen betrug dagegen lediglich 17.189 (2020: 13.728, 2021: 19.439), somit 16,7 % der Langzeitkrankenstände. Dieser Zahl reduzierte sich im Zeitverlauf sogar noch weiter, da nicht alle Erstberatungsfälle durch ein Case-Management weiterbetreut wurden. Personen mit langen Krankenständen konnten dennoch besser mit dem Beratungsangebot von fit2work erreicht werden. Beispielsweise haben Personen mit psychischen Krankheitsursachen oder bei Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparates deutlich häufiger eine fit2work-Beratung in Anspruch genommen, als dies dem Anteil an den Krankenstandsfällen entsprochen hätte.
Die Zahl der fit2work-Betriebsberatungen zwischen 2012 und 2019 lag bei 3.042 (2020 und 2021: 2.972). In Relation zur Gesamtzahl der Betriebe des Jahres 2019 waren das 0,8 %. Die Reichweite ist damit noch geringer als die Personenberatung. Betriebsberatung wird zum überwiegenden Teil von jenen Betrieben in Anspruch genommen, welche unterdurchschnittliche Krankenstände haben, also dort, wo bereits ein hoher Sensibilisierungsgrad bei langen Krankenständen der Mitarbeiter:innen besteht. Die Erhöhung des Bekanntheitsgrades von fit2work in den Betrieben, mit der Betonung der positiven Effekte dieser Maßnahme auch für den Betrieb, könnte zu einer vermehrten Inanspruchnahme führen.
- Wiedereingliederungsteilzeit (WIETZ)
Die WIETZ soll Menschen helfen, nach einer längeren Erkrankung (z. B. Burn-out, Krebserkrankungen) bei einer Krankenstandsdauer von mindestens sechs Wochen schrittweise und langfristig in den Arbeitsprozess zurückzukehren. Dazu ist eine Teilzeitvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vorgesehen. Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) unterstützt die Wiedereingliederungsmaßnahmen und bezahlt für die Dauer der Maßnahme das Wiedereingliederungsgeld. Die Möglichkeit, diese Re-Integrationsmaßnahme in Anspruch zu nehmen, besteht seit 1.7.2017 und wird gut angenommen. Sie ist ein zielführendes Instrument bei vorübergehenden Erkrankungen.
Bis Mitte 2019 beantragten insgesamt 7.331 Personen WIETZ. Personen mit psychischen Erkrankungen nahmen diese Form der Teilzeit am häufigsten in Anspruch (32 %), gefolgt von Personen mit Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems (15 %) und Krebserkrankungen (14 %).
Die WIETZ wird überwiegend von Arbeitnehmer:innen in Großbetrieben beantragt, da solche Betriebe schneller auf ihr qualifiziertes Ersatzpersonal zurückgreifen können. Im Jahr 2019 zählten rund 346.200 Unternehmen in Österreich zu den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), das sind 99,6 % aller heimischen Unternehmen der marktorientierten Wirtschaft. Bei rund 87 % der KMU handelte es sich um Kleinstbetriebe mit weniger als zehn Beschäftigten. In dieser Größenklasse sind auch Ein-Personen-Unternehmen inkludiert, welche 2019 rund 38 % aller Unternehmen ausmachten. In Anbetracht dieser Strukturen wird nachvollziehbar, dass die Inanspruchnahme dieser Maßnahme in der derzeitigen Form limitiert ist. Es sind daher auch Unterstützungskonzepte für Kleinbetriebe im Bereich der Humanressource anzudenken, damit die Mitarbeiter:innen diese Form der krankheitsbedingten Teilzeit – wenn erforderlich – uneingeschränkt in Anspruch nehmen können.
Die Weiterentwicklung der konkreten Ausgestaltung der WIETZ würde zu einem Mehrwert führen. Anzudenken wäre zum Beispiel eine künftige Einbeziehung von jenen Menschen, die an chronischen Krankheiten leiden, welche in Schüben verlaufen, aber keinen sechswöchigen durchgehenden Krankenstand verursachen.
Best Practice: „graded work“ – Abgestufte Arbeitszeit
Die in Österreich vorhandenen Instrumente der Wiedereingliederung setzten auf Freiwilligkeit der Betriebe und der betroffenen Personen, somit auf „ermöglichende Ansätze“. International werden demgegenüber mehrheitlich „fordernde Ansätze“ eingesetzt (vgl. Schweiz, Niederlande). Hier sind Regelungen für alle Beteiligten sehr niederschwellig – etwa verpflichtende Gespräche zwischen Beschäftigten, Unternehmen und Sozialversicherung -– vorgesehen. Insbesondere die Betriebe sind gefragt, da Re-Integrationsmaßnahmen vor allem bei psychischen Erkrankungen nur dann erfolgreich sind, wenn unmittelbar am Arbeitsplatz Adaptierungen im Zuge der Wiedereingliederung vorgenommen werden.
Fazit
Frühintervention und Wiedereingliederung im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung sind nicht nur für die Betroffenen von immenser Wichtigkeit, sondern nehmen in modernen Ökonomien an Bedeutung zu.
Um Arbeitnehmer:innen ein „gesundes“ Arbeiten bis zum Regelpensionsantrittsalter zu ermöglichen, sind klare politische Ziele und rechtliche Rahmenbedingungen notwendig. Vor allem der Zunahme der psychischen Erkrankungen in der Erwerbsbevölkerung muss mit einer Zunahme der Interventionsmaßnahmen begegnet werden. Zur Bewältigung der Herausforderungen am Arbeitsmarkt sind gesundheitsfördernde Maßnahmen am Arbeitsplatz, die Etablierung von Koordinierungsmechanismen zwischen allen Stakeholdern (Beschäftigte, Betrieb, Sozialversicherungsträger), der Ausbau eines integrativen Systems mit individualisierten Unterstützungsmöglichkeiten, eine rechtzeitige Rehabilitation und die Weiterentwicklung der bestehenden Instrumente, wie Early Intervention und Wiedereingliederungsteilzeit, unumgänglich.
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